Der Königstein und seine Gefangenen. Gunter Pirntke
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Doch zurück zu Mirus. Nach dem Tod seines Vaters und der Übernahme der Regierung 1586 zeigte Christian I. wenig Interesse an den Staatsgeschäften und gab sich Vergnügungen, vor allem der Jagd und dem Alkohol hin. Die Auseinandersetzung zwischen lutherischer Orthodoxie und dem an Melanchthon anlehnenden Philippismus (Die Bezeichnung geht auf Philipp Melanchthon zurück, der nach dem Tode Martin Luthers 1546 die Führungsrolle im Protestantismus übernahm und deren Linie bestimmte.), der während der Regierungszeit seiner Eltern geherrscht hatte, war Christian zuwider. Schon 1585 als Mitregent seines Vaters erließ er ein Gesetz gegen das Theologengezänk. Auch die von seinem Vater veranlasste Konkordienformel lehnte er ab.
Mirus begleitete 1575 den Vater des Kurfürsten, Kurfürst August, auf den Immerwährenden Reichstag zu Regensburg und hielt hier sieben scharfe Predigten gegen das Papsttum. Im Auftrag des Kurfürsten beteiligte er sich auch eifrig an der Konkordienformel vom Lichtenburger Konvent am 15. Februar 1576 bis zu dessen Vollendung.
1580 wurde Mirus Mitglied des Oberkonsistoriums in Dresden. Er genoss in hohem Grade das persönliche Vertrauen seines Fürsten und hat bei allen erfreulichen und traurigen Ereignissen in der kurfürstlichen Familie sein Amt als Seelsorger und geistlicher Berater mit großer Gewissenhaftigkeit verwaltet.
Als Mirus dann als Beichtvater von Christian I. den Kurfürsten wegen dessen calvinistischen Bestrebungen zur Rede stellte, wurde er mehrfach vernommen, als Hofprediger entlassen und auf Betreiben von Kanzler Krell am 29. Juli 1588 auf die Festung gebracht. Nachdem er seine Verfehlungen eingestanden hatte, konnte er am 16. November 1588 die Festung verlassen und ging nach Jena. Nach dem Tod von Christian I. 1591 holte ihn die Kurfürstinwitwe Sophie zurück und setzte ihn wieder in seine Ämter ein. Nun war es seinerseits Mirus, der nach dem Sturz von Kanzler Krell dessen Verbringung nach dem Königstein betrieb. Dazu in unserem erstes Kapitel mehr.
Von den insgesamt 993 Festungsgefangenen, die das Häftlingsbuch der Festung zwischen 1591 und 1922 verzeichnet, waren die meisten in der Georgenburg und im alten Zeughaus inhaftiert. Aus dieser großen Zahl sollen nur einige Wenige genannt werden, die wie Kanzler Krell im Bewusstsein der Menschen geblieben sind, die einen festen Platz in der sächsischen Geschichte haben und deren Namen von Generation zu Generation weitergegeben werden. Da wurde am 27. Oktober 1632, mitten im Dreißigjährigen Krieg, der Prager Jurist Dr. Joachim Kratz auf Befehl von Kurfürst Johann Georg I. von der Burg Hohnstein auf den Königstein verlegt und im Krellturm „über den Gemach, da D. Krell gesessen“, verwahrt. Kratz war auf dem Landtag 1631 in Leipzig, auf dem der Kurfürst mit seinen Landständen über einen Wechsel von der katholischen Liga zu der evangelischen Union beriet, als Spion des Kaisers entlarvt und verhaftet worden. Nach 18 Jahren Haft auf dem Königstein kam er schließlich nach dem Westfälischen Frieden auf Ansuchen Kaiser Ferdinands III. am 15. März 1650 frei.
Als dann der starke August die Regierung übernahm, nahm die Zahl der Staatsgefangenen merklich zu. Es begann sogleich bei Übernahme der Regentschaft 1694 nach dem unerwarteten plötzlichen Tod seines älteren Bruders Johann Georg IV., zu dem er immer nur ein gespanntes Verhältnis hatte. Da wurde die Mutter der Mätresse Johann Georgs, Ursula Margarete von Neitschütz, und der Kammerdirektor Ludwig Gebhard von Hoym verhaftet und als Staatsgefangene auf den Königstein gebracht. Die gegen sie eingeleitete Untersuchung wegen Zauberei, in deren Verlauf sie 1695 mit Daumen schrauben und Schnüren gefoltert worden war, wurde auf Befehl des Kurfürsten, nachdem das Vermögen der Reichsgräfin von Rochlitz an den Fiskus zurückgelangt war, eingestellt. Die „Generalin“ Neitschütz wurde aus der Haft
entlassen und Kammerdirektor von Hoym kaufte sich mit 200.000 Talern frei. Wir kommen noch darauf zurück.
Im Verlauf des 1700 begonnenen Nordischen Krieges schickte August der Starke mehrere seiner engsten Minister und Ratgeber auf den Königstein, weil sie bei ihm in Ungnade gefallen waren oder ihm nach einem plötzlichen Politikwechsel im Wege standen. Als ersten traf es den Großkanzler Wolf Dietrich von Beichlingen, der im Frühjahr 1703 in den Verdacht geraten war, sich Unterschlagungen und Pflichtverletzungen schuldig gemacht zu haben. Kurzer Hand ließ August der Starke seinen langjährigen Vertrauten Beichlingen, dessen beide Brüder Oberfalkenmeister Gottlob Adolph und Erbpostmeister Hanns Siegfried sowie deren Mitarbeiter Pretten, Oferal und Alberti am 10. April 1703 zwischen 22 und 23 Uhr im polnischen Marienburg verhaften und in drei Wagen auf den Sonnenstein und auf den Königstein bringen.
Dort trafen sie am 19. April ein, wurden unter strengen Haftbedingungen in der Georgenburg untergebracht und ab 21. April 1703 begannen die Vernehmungen Beichlingens durch eine aus 12 Mitgliedern bestehende Kommission. Ohne Urteil blieben die Beichlingens bis zum 31. Januar 1709 in Festungshaft. Dann kamen sie unter Rückgabe ihres Eigentums und der Güter ihres Vaters am 1. Februar 1709 gegen das Versprechen frei, keine Rache zu nehmen und sich nicht ohne kurfürstliche Genehmigung von ihren Gütern zu entfernen. Auch dazu später mehr.
Besonders schlimm erging es Johann Reinhold Patkul, seit 1698 im Dienst Augusts und ab 1704 Gesandter des russischen Zaren Peter dem Großen bei August dem Starken. Sein erklärter Todfeind war der junge Schwedenkönig Karl XII. Im Dezember 1705 wurde Patkul plötzlich in Dresden unter dem Vorwurf verhaftet, russische Hilfstruppen an Österreich vermitteln zu wollen und mit dem Schwedenkönig Karl XII. in Verbindung getreten zu sein. Die Begründung war absurd. Beim Einfall der Schweden in Sachsen wurde Patkul dann vom Sonnenstein in Pirna auf die Festung Königstein verlegt und für ein halbes Jahr in der Georgenburg in einem Raum über demjenigen Beichlingens untergebracht. Auf Grund des Altranstädter Friedens, von Augusts Beauftragten Imhoff und Pfingsten ausgehandelt, musste Patkul entsprechend Artikel 11 des Vertrages an die Schweden ausgeliefert werden. Um dem zu entgehen, hatte man versucht, eine Flucht Patkuls vom Königstein zu arrangieren. Der Plan wurde jedoch dem Schwedenkönig verraten und dieser handelte. Spät am Abends des 6. April 1707 wurde Patkul einer schwedischen Eskorte übergeben, die ihn in einer Reisekalesche wegbrachte. Von einem schwedischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt, wurde er am 10. Oktober 1707 in der Nähe von Posen grausam hingerichtet. Der sächsische Kurfürst und polnische König muss ein schlechtes Gewissen gehabt haben, denn er ließ 1713 die Gebeine Patkuls einsammeln und in Warschau beisetzen.
Beim Anrücken der schwedischen Truppen nach Kursachsen Ende August 1706 wurden weitere Gefangene zur Sicherheit auf den Königstein gebracht, so am 28. August die beiden polnischen Prinzen Jakob und Constantin Sobiesky, die die Festung aber schon am 28. November wieder verlassen durften. Dazu gehörte auch der Leipziger Bürgermeister Franz Conrad Romanus, der wegen Betrügereien verhaftet worden war und am 5. September 1706 auf die Festung kam, wo er am 14. Mai 1746 als Staatsgefangener verstarb.
Die Festungschronik enthält für 1706 auch einen merkwürdigen Eintrag: Nomen nescio. Ein Herr mit drei Dienern. Sie waren vom 26. August 1706 bis zum 22. September 1707 in der Georgenburg untergebracht. Bei diesen vier Personen handelt es sich zweifelsfrei um Johann Friedrich Böttger und seine Gehilfen, die von der Albrechtsburg in Meißen auf den Königstein gebracht wurden. Böttger hatte schon einmal mit der Festung Bekanntschaft gemacht, als er nach seiner Flucht 1703 von Österreich nach Sachsen zurückgebracht worden war. Der Alchimist Böttger befasste sich in der Georgenburg unter der Aufsicht von Ehrenfried Walther von Tschirnhaus und Bergrat Gottfried Pabst von Ohain mit der Herstellung von weißem Porzellan, das nachweislich dann in Dresden am 15. Januar 1708 erstmals gelang. Das bewahrte sicher Böttger das Leben und brachte ihm ein Jahr später die Freiheit.
Einem anderen Alchimisten war am Hofe August des Starken ein schlimmeres Schicksal beschieden. 1713 war der aus einer Frankfurter Ratsfamilie stammende Johann Hektor von Klettenberg aus seiner Vaterstadt nach Kursachsen geflohen, um einer Verurteilung wegen Tötung eines Verwandten im Duell zu entgehen. Der im Ruf eines „Goldmachers“ stehende Klettenberg versprach das Goldmachen auch August dem Starken. Da der trotzdem völlig verschuldete Klettenberg kein Gold herstellen