Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart Hauptmann

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Das Abenteuer meiner Jugend - Gerhart Hauptmann Klassiker bei Null Papier

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teil­te mit Bru­der Carl ein Schlaf­zim­mer. Er war, was in die­sem Al­ter viel be­deu­tet, vier und ein hal­b­es Jahr äl­ter als ich. Er hat­te da­mals schon, ohne es zu ah­nen, in mir sei­nen stil­len Beo­b­ach­ter. Ich wun­der­te mich, ich freu­te mich, ich mach­te mich lus­tig über ihn. Heu­te ein selt­sa­mer Um­stand für mich, ein sol­ches Ver­hal­ten in frü­he­s­ter Ju­gend.

      Carl war ein großer En­thu­si­ast. Ich war ge­neigt, das für Schwä­che zu hal­ten. Von Zeit zu Zeit wur­de, eben­falls im Jah­re 66, der Durch­marsch der Trup­pen für eine ge­wis­se Nacht­stun­de an­ge­sagt. In sol­chen Fäl­len stell­te sich Carl einen großen Korb, ge­füllt mit Blu­men, un­ter das Bett, um sie aus dem Fens­ter über die Marsch­ko­lon­ne aus­zu­schüt­ten. Ich er­in­ne­re mich, wie er ein­mal völ­lig traum­be­fan­gen nach dem Kor­be griff, als von der Stra­ße der dump­fe Marsch­tritt zu uns her­auf­schall­te, wie er schla­fend, ge­schlos­se­nen Au­ges, da­mit zum Fens­ter lief, den Korb ent­leer­te und, ohne ganz er­wacht zu sein, ins Bett zu­rück tau­mel­te. Ich nahm dies nicht er­schreckt, son­dern ki­chernd als et­was über­aus Ko­mi­sches auf.

      *

      Na­tür­li­cher­wei­se wa­ren mir um die­se Zeit be­reits Va­ter und Mut­ter und mein Ver­hält­nis zu ih­nen be­wusst ge­wor­den, eben­so mein El­tern­haus, des­sen Na­men ich kann­te wie den des Or­tes, in dem es stand. Wie war die Kennt­nis un­zäh­li­ger klei­ner Be­zie­hun­gen, in de­nen ich zu al­le­dem stand, in mich ge­kom­men? Ich hät­te es da­mals nicht sa­gen kön­nen und kann es auch heu­te nicht. Die­se Mut­ter, die­ser Va­ter, die­ses Haus, sei­ne Räu­me und sei­ne Um­ge­bung, die­ser gan­ze klei­ne Ort, Ober-Salz­brunn ge­nannt, wa­ren da wie von Ewig­keit. Und eben der Va­ter, die Mut­ter, das Haus, der Ort wa­ren al­les in al­lem für mich: es gab nur das, es gab nichts an­de­res.

      Wai­sen­kin­der le­ben ohne Müt­ter, sie le­ben und ent­wi­ckeln sich. Die See­len­ein­heit, die mich mit mei­ner Mut­ter ver­band, mach­te mir das un­be­greif­lich. Durch das Herz mei­ner Mut­ter, durch ihre Lie­be bin ich im Ver­lau­fe des ers­ten De­zen­ni­ums erst so­zu­sa­gen aus­ge­tra­gen wor­den. Mein Va­ter war der mäch­ti­ge Gott, in des­sen Schutz wir bei­de stan­den. Nichts in der Welt konn­te wi­der ihn et­was aus­rich­ten. Wie stolz, wie dank­bar mach­te mich das, wie ge­noss ich das Glück ei­nes sol­chen Schut­zes im Ge­fühl glück­se­li­ger Si­cher­heit. Aber eine in­ni­ge, eine tren­nungs­lo­se Be­zie­hung und Ver­bin­dung be­stand zu mei­nem Va­ter nicht.

      Wie kann man in die so über­aus kom­pli­zier­ten Ver­hält­nis­se ei­ner Fa­mi­lie, ei­nes weit­läu­fi­gen An­we­sens, ei­ner Ort­schaft mit drei­ein­halb Jah­ren, kom­mend aus dem Nichts, wis­send hin­ein­ge­wach­sen sein? Ent­we­der auf Grund ei­ner geis­ti­gen Leis­tung oh­ne­glei­chen oder ei­ner Erb­schafts­s­um­me, die mit­ge­bo­ren ist.

      *

      Salz­brunn, wuss­te ich, ist ein Ba­de­ort. Hier quillt ein Brun­nen, der Kran­ke ge­sund ma­chen kann. Des­halb kom­men im Som­mer so vie­le hier­her. Sie wer­den in den Häu­sern der Orts­an­ge­ses­se­nen un­ter­ge­bracht. Auch in un­serm Haus, das der Gast­hof zur Preu­ßi­schen Kro­ne ist.

      Aber was ist ein Ge­sun­der, was ist ein Kran­ker? Wie­so und wo­her wuss­te ich das? Wie­so wuss­te ich tau­sen­de, aber­tau­sen­de Din­ge, nach de­nen ich kaum ir­gend­je­man­den ge­fragt hat­te? Die un­end­li­che Viel­falt der Er­schei­nun­gen schenk­te sich mir mit Leich­tig­keit, es war al­lent­hal­ben ein hei­te­res Auf­neh­men.

      Ich hat­te am Da­sein un­un­ter­bro­chen lei­den­schaft­li­che Freu­de wie an ei­ner über alle Be­grif­fe herr­li­chen Fest­lich­keit. Ich sträub­te mich, wenn ich sie abends durch den Schlaf un­ter­bre­chen soll­te. Im Ein­schla­fen pack­te mich Freu­de und Un­ge­duld in Ge­dan­ken an den kom­men­den Mor­gen.

      Frei­lich, das Haus war trau­lich und ne­st­ar­tig wohl­tu­end. Aber das Schöns­te dar­an wa­ren die Fluglö­cher. Ich ge­noss sie vollauf, als ich ei­ner schnel­len und selbst­stän­dig frei­en Be­we­gung fä­hig ge­wor­den war. Ich stürz­te des Mor­gens mit ei­nem Sprung und Freu­den­schrei ins Freie; manch­mal wur­de der Schrei nicht laut, son­dern lag nur im über­schäu­men­den Ge­fühl mei­nes gan­zen We­sens. Al­les in der Na­tur schenk­te sich mir: der Gras­halm, die Blu­me, der Baum, der Strauch, die Ber­be­rit­ze, die rote Mehl­bee­re, der Holz­ap­fel, al­les und al­les wur­de mir da­mals zur Kost­bar­keit. Da­bei hat­ten sich be­reits Hö­he­punk­te des Er­le­bens mei­nem Geis­te un­ver­lier­bar ein­ge­prägt. Das He­rum­krab­beln auf ei­nem son­nen­be­schie­ne­nen Ab­hang mit gel­bem Laub und Le­ber­blüm­chen un­ter kah­len Bäu­men war ein sol­cher Hö­he­punkt. Ich hät­te ihn gern zur Ewig­keit aus­ge­dehnt, so wunsch­los, so pa­ra­die­sisch fühl­te ich mich. Aber er blieb eine Ein­ma­lig­keit, ich such­te ver­ge­bens, ihn zu er­neu­ern.

      Und nun auf ein­mal über­kam mich die­se all­ge­mei­ne, ich möch­te fast sa­gen kos­mi­sche Trau­rig­keit. Ich hat­te alle die­se Blü­ten, die da tot und welk über­ein­an­der la­gen, tot ge­macht. Wie­so aber konn­te ich das ge­tan ha­ben? War ich mir doch be­wusst, dass ich aus Lie­be zu ih­nen ge­han­delt hat­te und nicht in der Ab­sicht, ihr Le­ben zu zer­stö­ren oder auch nur ih­nen wehe zu tun. Ich woll­te mir eben doch nur ihre Schön­heit an­eig­nen.

      *

      Der Be­fehl ei­nes mensch­li­chen Got­tes war mei­nes Va­ters Ge­bot.

      Eine Mut­ter wird ihre Klei­nen täg­lich vie­le Male ver­geb­lich mit den Wor­ten er­mah­nen: »Bett­le nicht!« Die ers­ten Wor­te der Kleins­ten sind: »Ha­ben, ha­ben!« Mein Va­ter aber woll­te un­be­dingt ver­mie­den se­hen, dass un­se­re Be­gehr­lich­keit etwa gar den Kur­gäs­ten zur Last fie­le. Ich, ein bes­se­rer klei­ner Adam, hielt mich mit be­ben­dem Ge­hor­sam an sein Bet­tel­ver­bot. Ei­nes Ta­ges kam je­doch ei­nem al­ten Kur­gast, Öko­no­mie­rat Huhn, der Ge­dan­ke, mich mit ei­nem Spiel­zeug zu be­schen­ken, das ich mir sel­ber beim Händ­ler aus­su­chen soll­te. Ich wähl­te einen herr­li­chen blau­en Roll­wa­gen mit Fäs­sern dar­auf und vier Pfer­den da­vor, drück­te das Rie­sen­ge­schenk mit aus­ge­brei­te­ten Ar­men an mei­ne Brust und ver­moch­te es kaum fort­zu­schlep­pen. Un­ter­wegs nach Hau­se fiel mir des Va­ters Ver­bot aufs Herz. Zwar ge­bet­telt hat­te ich nicht, aber man konn­te es leicht vor­aus­set­zen, und schließ­lich soll­ten wir über­haupt

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