Mit Kindern wachsen. Jon Kabat-Zinn
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Daniel Goleman, Emotionale Intelligenz
Die Konsequenzen aus derartigen Untersuchungen sind weitreichend. Nach den Erkenntnissen des Forschers und Psychiaters Daniel Stern, den Goleman zitiert, sind diese kleinen, wiederholten kommunikativen Transaktionen zwischen Eltern und Kindern Grundlage für die elementarsten emotionalen Lernprozesse. Wenn das stimmt, ist es für die kontinuierliche Entwicklung der Kinder zu emotional kompetenten, heilen und selbstbestimmten Wesen von entscheidender Bedeutung, dass sich ihre Eltern aus ganzem Herzen dem ständigen kommunikativen Austausch mit ihren Kindern widmen.
Aus dieser Perspektive betrachtet könnte das „gute“ Baby, das nach zehn Minuten zu schreien aufhört, schon gelernt haben, aufzugeben. Und wollen wir unseren Kindern tatsächlich beibringen, aufzugeben? Meinen wir tatsächlich, wir könnten unseren Kindern „Unabhängigkeit“ beibringen, indem wir sie lehren, sich mit der Nichterfüllung ihrer Bedürfnisse abzufinden? Wollen wir wirklich, dass unsere Kinder sich emotional verschließen und ihre Lebendigkeit und Offenheit verlieren? Oder wollen wir ihnen vermitteln, dass ihre Gefühle wichtig sind und dass wir bereit sind, auf sie einzugehen? Dass es Menschen gibt, auf deren Sensibilität sie vertrauen und sich verlassen können? Und dass es nicht gefährlich ist, offen zu sein, sich auszudrücken und um das zu bitten, was sie brauchen – kurz gesagt, in einer Wechselbeziehung zu ihrer Umgebung zu stehen?
Wenn Babys zu Kleinkindern werden und anfangen, die Welt zu erforschen, entwickeln sie eine natürliche Neugier und Freude an allem, was sie umgibt. Gleichzeitig werden sie mit zahllosen Frustrationen konfrontiert, weil sie versuchen, Dinge zu tun, die sie noch nicht können und weil ihnen noch viele Fähigkeiten fehlen. Auf ihren Entdeckungsreisen brauchen sie eine liebevolle und verständnisvolle Person, zu der sie immer wieder zurückkehren können. Krabbelkinder brauchen die Sensibilität und das Verständnis ihrer Eltern (oder, wenn diese nicht zu Hause sind, eine ähnliche Situation in der Kinderkrippe), um sich eine Umwelt erobern zu können, die ihrer Neugier genügend Anregung bietet, in der sie gefahrlos ihren Forschungs- und Entdeckungsdrang befriedigen können und die ihnen gleichzeitig Wärme und Sicherheit gibt – zum Beispiel in Form eines aufnahmebereiten Schoßes oder indem es gehalten oder getragen wird.
Wenn unsere Kinder älter werden, nimmt unsere Empathie ihnen gegenüber andere Ausdrucksformen an, obgleich es auch dann noch Situationen gibt, in denen das Wichtigste, was sie brauchen, eine stille Umarmung ist oder dass wir ihnen die Hand halten. Die Signale, die wir von ihnen empfangen, sind oft verwirrend und schwer zu verstehen. In einem Augenblick sind sie freundlich und kommunikativ, im nächsten wütend und ablehnend.
Unsere Fähigkeit oder auch nur die Möglichkeit, zu kommunizieren, hängt zu einem großen Teil davon ab, ob wir selbst dann zu unserem vollkommenen und tiefen Engagement unserem Kind gegenüber stehen, wenn es die Beziehung zu uns in Frage stellt oder auf unsere Vorschläge oder Fragen nicht eingeht.
Um trotz einer Zurückweisung weiterhin empathisch sein zu können, dürfen wir uns nicht durch unsere eigenen verletzten Gefühle an dem Bemühen hindern lassen, uns in den Schmerz hineinzuversetzen, den unsere Kinder in der Situation empfinden. Sie müssen spüren, dass wir ihnen verbunden bleiben, ganz gleich, wie sehr uns ihr Verhalten missfallen mag, und ganz gleich, wie finster die Masken auf uns wirken mögen, die sie aufsetzen. Wenn wir diese achtsame Beharrlichkeit auch in schwierigen Situationen aufrecht erhalten, so nicht aus dem Wunsch heraus, die Macht über unsere Kinder zu behalten, sie zu kontrollieren, zurückzuhalten oder uns aus unserer eigenen Bedürftigkeit heraus an sie zu klammern, sondern aus unserem Bemühen heraus, für sie da zu sein; ihnen zu zeigen, dass sie nicht allein sind, dass wir nicht aus dem Blick verloren haben, wer sie sind und was sie uns bedeuten.
Und hilft es nicht uns allen, wenn wir uns verwirrt und hilflos fühlen, zu spüren, dass die Menschen, die uns am nächsten stehen, immer noch unsere Verbündeten sind, dass sie immer noch tief in unser Inneres zu sehen vermögen und dass sie uns immer noch lieben? Deshalb ist es unsere Aufgabe als Eltern, unsere Beziehung zu unseren Kindern immer wieder neu herzustellen. Dies erfordert Zeit, Aufmerksamkeit und eine wirkliche innere Verpflichtung. Wenn wir ständig abwesend sind – oder zwar körperlich anwesend, aber mit unserer Aufmerksamkeit und unserem Herzen abwesend –, spürt unser Kind wahrscheinlich nicht das Vertrauen und die Nähe, die es braucht, um uns seine Probleme mitteilen zu können.
Kinder verfügen über die wundervolle Fähigkeit, blitzschnell zum Kern eines Problems vorzustoßen. Eine Freundin erzählte uns die folgende Geschichte: Eines Abends brachte sie ihre achtjährige Tochter ins Bett. Das Kind hatte nachts seit einigen Jahren immer wieder große Angst vor Räubern und Kidnappern. Die Mutter saß auf dem Bett des Mädchens und hörte ihm zu. Dabei kämpfte sie innerlich mit dem Wunsch, das Kind zu beruhigen, es davon zu überzeugen, dass es nichts zu befürchten brauche. Doch es war ihr klar, dass es nichts nützen würde, gegen die tiefe immer wiederkehrende Angst der Tochter Argumente vorzubringen.
Stattdessen erzählte sie ihrer Tochter, auch sie habe in ihrem Alter abends oft große Angst gehabt. Das Mädchen schaute die Mutter erstaunt an und sagte: „Wirklich?“ Die Mutter bestätigte dies mit einem Nicken. Daraufhin dachte die Tochter einen Augenblick lang nach und fragte sie dann sehr ernst: „Konntest du es deiner Mami erzählen?“ Die Mutter dachte an ihre Kindheit zurück und antwortete dann: „Nein, das konnte ich nicht.“
Mit ihren acht Jahren wusste die Tochter aus eigener direkter Erfahrung, wie wichtig es ist, einem vertrauten Menschen mitteilen zu können, wie man sich fühlt. Sie wusste, wie wichtig es ist, die Offenheit, das Verständnis und die mitfühlende Teilnahme einer Mutter oder eines Vaters zu spüren. Ihre Ängste wurden nicht als unbedeutend abgetan, und es wurden keine Witze darüber gemacht. Trotz der sehr realen Ängste fühlte sich die kleine Tochter geborgen genug, um der Mutter ihre Gefühle schildern zu können. Sie brauchte sich in ihrer Angst nicht allein zu fühlen.
Als Eltern lernen wir viel über uns selbst, indem wir uns mit Achtsamkeit der Gedanken und Gefühle gewahr werden, die wir empfinden, wenn ein Kind uns etwas Problematisches mitteilt. Wenn es uns gelingt, das Unbehagen zu beobachten, das gewisse Gefühle in uns erzeugen, und wenn wir jeden Impuls registrieren, bestimmte Sorgen oder Ängste zu beschönigen oder sie als unbedeutend abzutun, so kann uns das helfen, unsere automatischen Verhaltensweisen zu verändern und uns unseren Kindern gegenüber mitfühlender und fürsorglicher zu verhalten.
Stattdessen überschütten wir in manchen Augenblicken, in denen es das Beste wäre, einfach nur zuzuhören, empathisch zu sein und unserer Fürsorglichkeit Ausdruck zu geben, unsere Kinder mit unseren eigenen starken Gefühlen und Reaktionen. Schließlich kann es sogar soweit kommen, dass das Kind glaubt, es müsse sich um uns kümmern, statt umgekehrt.
Wenn wir solche Augenblicke, in denen wir wider Willen auf Abwege geraten sind, mit Achtsamkeit betrachten, wird uns vielleicht klar, was da vor sich geht, und wir können innehalten oder unserem Verhalten vielleicht sogar eine andere Richtung geben. Dieses sensible Gewahrsein jedes einzelnen Augenblicks ermöglicht es uns, die Bewegungen unserer Energie zu verfolgen. Es erinnert uns daran, dass wir unsere Unterscheidungsfähigkeit wirklich entwickeln können; bewusst entscheiden können, wann es hilfreich ist, unsere Gefühle mitzuteilen, und wann es unnötig ist oder sogar negative Auswirkungen hat. Wir können durch ein inneres Zuhören lernen, wann es richtig ist, die Initiative zu ergreifen und wann wir die Dinge besser auf sich beruhen lassen; wann Sprechen und wann Schweigen die bessere Wahl ist und wie wir schweigend gegenwärtig sein können, so dass ein anderer Mensch das als empathische Präsenz empfindet und nicht als Ablehnung und Rückzug. Niemand kann uns diese Dinge lehren. Wir müssen sie durch eigene