Mit Kindern wachsen. Jon Kabat-Zinn

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Mit Kindern wachsen - Jon Kabat-Zinn

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legen die Handflächen vor ihrem Herzen zusammen und verneigen sich leicht voreinander. Das bedeutet: „Ich verneige mich vor dem Göttlichen in dir.“ Diese Geste ist ein Zeichen dafür, dass wir die jedem Wesen innewohnende Ganzheit in jedem Menschen anerkennen, die in jedem Augenblick gegenwärtig ist. Wir verneigen uns mit unserer eigenen wahren Natur vor der des anderen, indem wir uns vergegenwärtigen, dass beide im tiefsten Sinne ein und dasselbe sind, auch wenn wir auf anderen Ebenen alle unterschiedliche, einzigartige Ausdrucksformen dieser Einheit sind. Manchmal verneigen sich Menschen vor Katzen und Hunden, manchmal vor Bäumen und Blumen, manchmal vor Wind und Regen. Und manchmal verbeugen sich dann auch die Katzen und Hunde, die Bäume und Blumen und sogar Wind und Regen. Denn alles, was ist, hat eine Wesensnatur, die es zu dem macht, was es ist und ihm hilft, seinen Platz innerhalb des Ganzen einzunehmen; und die Beziehung zwischen uns selbst und all diesen Wesen ist immer wechselseitig. Ich (jkz) verneige mich gern auf diese Weise vor Babys und vor meinen Kindern. Manchmal tue ich das, wenn sie schlafen. Meist verneige ich mich innerlich vor ihnen.

      Unsere elterlichen Entscheidungen darüber, in welcher Form wir unseren Kindern Selbstbestimmung ermöglichen wollen, fallen natürlich je nach Alter und Wesensart der Kinder und je nach den Umständen unterschiedlich aus. Was sich hingegen nicht ändern wird, ist hoffentlich unsere tiefe innere Verpflichtung, das grundsätzliche Geburtsrecht unserer Kinder auf Selbstbestimmung zu respektieren. Die Voraussetzung hierfür ist, dass wir uns als Eltern der Selbstbestimmung, des grundlegenden Gutseins und der wesenseigenen Schönheit unserer Kinder bewusst sind, selbst wenn wir mit diesen Eigenschaften in bestimmten Momenten absolut nicht in Kontakt sind oder wenn es einmal keinerlei äußere Anhaltspunkte für ihr Vorhandensein gibt.

      Wie alle Eltern wissen oder zumindest bald herausfinden, kommt jedes Kind mit individuellen Eigenschaften, einem eigenen Temperament und ganz persönlichen Begabungen in diese Welt. Unsere Aufgabe als Eltern ist es, unsere Kinder in ihrer Einzigartigkeit zu erkennen und zu würdigen, indem wir ihnen, so wie sie sind, Raum geben statt sie zu ändern versuchen – so schwer uns das manchmal auch fallen mag. Da sie sich ihrer eigenen Natur gemäß ohnehin ständig verändern, ermöglicht diese Art des Gewahrseins ihnen vielleicht, auf eine Weise zu wachsen und sich zu verändern, die am besten für sie ist und die wir nicht durch unseren Willen beeinflussen können.

      Kinder werden mit innerer Selbstbestimmung geboren, insofern sie genau als die geboren werden, die sie sind. Während Selbstbestimmung für unsere menschliche Natur fundamental ist, wächst unsere Fähigkeit, dies zu spüren und zu nutzen, mit zunehmender Lebenserfahrung, wobei es eine entscheidende Rolle spielt, wie wir selbst in unserer Kindheit und Jugend behandelt wurden. Denn unser Wissen über unsere eigene Selbstbestimmung als Person und über die Selbstbestimmung anderer sowie unser Gefühl dafür kann durch Vernachlässigung oder schlechte Behandlung verblassen.

      Doch was wir Selbstbestimmung nennen, ist so tiefgreifend, so hartnäckig, so lebenswichtig und so unverzichtbar für unsere Natur – weil es unsere wahre Natur ist –, dass viele Menschen trotz extrem problematischer Kindheitserfahrungen Nahrung und Stärke daraus beziehen. Manchmal übernimmt anstelle der Eltern ein anderer Erwachsener die wichtigste Rolle im Leben eines Kindes: zu sehen, wer dieses Kind wirklich ist, und seine Entwicklung durch Ermutigung und Güte, Anerkennung und Verständnis zu unterstützen. Viele Menschen sind sich dessen bewusst, dass sie ihren Erfolg im Leben einer ganz bestimmten Person zu verdanken haben, die ihr Wesen erkannt und sie dazu ermutigt hat, diesem Wesen entsprechend zu leben. Dass Menschen, die zu einem gewissen Grad ihre Ganzheit erkannt haben und so zur Entfaltung der Ganzheit und inneren Schönheit in anderen beitragen können, Kinder und Jugendliche unterstützen, ist die heilige Pflicht von Erwachsenen in jeder gesunden Gesellschaft.

      Die Erfahrung der Selbstbestimmung wird vertieft, wenn ein Kind lernt, mit der Welt aus eigener innerer Stärke und eigenem Selbstvertrauen heraus in Kontakt zu treten, in dem Wissen, dass es geliebt wird und liebenswert ist, so, wie es ist, und akzeptiert wird als das, was es ist.

      Dass die innere Selbstbestimmung von Kindern so betont wird, könnte beim ersten Hinsehen in der Weise missverstanden werden, dass wir denken, Kinder sollten nun wie Königinnen und Könige behandelt werden, die ständig bedient werden müssen. Darum geht es natürlich nicht. Nichts läge unserem Verständnis von Selbstbestimmung ferner. Obgleich uns die Selbstbestimmung unserer Kinder wichtig ist, lassen wir nicht zu, dass sie sich über die Bedürfnisse und Interessen anderer Menschen in ihrer Umgebung hinwegsetzen. Es geht uns nicht darum, hier für eine falsche Vorstellung von „Selbstachtung“ einzutreten, die nicht dem Verhalten und den realen Erfahrungen der Kinder entspricht. Selbstbestimmung bedeutet nicht, dass wir den Kindern erlauben, zu tun, was sie wollen, oder dass alles, was sie tun, in Ordnung ist, oder dass sie immer bekommen sollten, was sie wollen, weil sie in jedem Fall ihren Willen bekommen und immer glücklich sein sollten.

      Selbstbestimmung – bezogen auf die wahre Natur eines Menschen – ist eine universelle Qualität des menschlichen Lebens und vor allem eine Gelegenheit zu verstehen, was jene wahre Natur ist und wie sie bei jedem von uns zum Ausdruck kommt. Kinder sind in sich selbst souverän, und das gleiche gilt natürlich auch für ihre Eltern und für alle anderen Menschen.

      Um die Selbstbestimmung in Kindern zu stärken, so dass sie ihren eigenen Weg in der Welt finden können, müssen wir uns fragen: Wie können wir ihre Selbstbestimmung würdigen und gleichzeitig unsere eigene Selbstbestimmung respektieren? Wie unterstützen wir sie darin, alle Aspekte ihres Seins zu entwickeln, mit ihrer Ganzheit in Kontakt zu sein und dadurch zu lernen, zentriert und selbstsicher zu sein? Und wie können wir ihnen gleichzeitig vermitteln, dass sie die Selbstbestimmung anderer Menschen sehen und respektieren?

      Selbstbestimmung ist etwas völlig anderes als ein hemmungsloses Sich-Ausleben. Selbstbestimmung bedeutet nicht, dass Kinder alles bekommen sollten, was sie wollen, oder dass andere für sie die Arbeit tun sollten. Unsere Aufgabe besteht darin, die Selbstbestimmung unserer Kinder zu respektieren, ohne ihnen gleichzeitig das Gefühl zu vermitteln, alles, was sie tun, sei völlig in Ordnung, egal, was dabei herauskommt, weil nur sie wichtig seien und nur ihre Sicht der Dinge oder ihre Wünsche zählten. Die Selbstbestimmung eines Menschen kann nie isoliert gesehen werden, sondern steht immer zur Selbstbestimmung aller anderen Menschen in Beziehung, weil wir alle Teile eines größeren Ganzen sind und weil alles, was wir tun, alles andere beeinflusst.

      Natürlich haben unsere Kinder ein Recht auf viele Dinge. Und natürlich haben auch Erwachsene Rechte. Doch weist die Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern wichtige Ungleichgewichte auf: Die Erwachsenen sind für die Kinder verantwortlich. Die Kinder haben ein Recht darauf, geliebt, versorgt und von ihren Eltern oder von anderen Erwachsenen beschützt zu werden. Als Erwachsene und als Eltern können wir von unseren Kindern nicht erwarten, dass sie unsere emotionalen Bedürfnisse erfüllen, weil wir sie damit überfordern würden. Um diese Bedürfnisse zu erfüllen, müssen wir uns um uns selbst kümmern oder uns die emotionale Zuwendung, die wir brauchen, von anderen Erwachsenen holen. Den Segen, den unsere Kinder uns unablässig schenken, ohne dass wir sie darum bitten – einfach dadurch, dass sie so sind, wie sie sind –, dürfen wir natürlich ohne Schuldgefühle annehmen und genießen.

      Es mag durchaus sein, dass wir als Erwachsene und Eltern eine stärkere Verbindung zu unserer eigenen grundlegenden Selbstbestimmung entwickeln müssen, da diese so wichtig und gleichzeitig auch so vage ist. Das ist die innere Arbeit, die nötig ist, damit wir zu unserer eigenen wahren Natur erwachen. Möglicherweise werden wir einwenden, dass wir die meiste Zeit über zu beschäftigt sind, um Aufforderungen wie jenes berühmte „Erkenne dich selbst“ der alten Griechen überhaupt beherzigen zu können. Doch könnte es nicht sein, dass wir es uns im Grunde nicht leisten können, nicht nach unserer wahren Natur zu suchen und zu lernen, im Einklang mit ihr zu leben? Wenn wir es nicht tun, schlafwandeln wir dann nicht über weite Strecken unseres Lebens

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