Fakemedizin. Christian Kreil

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Fakemedizin - Christian Kreil

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Manifestationen einer Kultur geht: Spirituelles, Religiöses, Schamanismus, Voodoo und Ähnliches. Wenn mir am Blauen Nil, im Hochland von Neuguinea oder am Amazonas ein Regenmacher vorgestellt wird, werde ich als Ethnologe dort natürlich nicht sagen: »Hört mir auf mit dem Blödsinn, keiner kann Regen machen.« Ich höre mir natürlich geduldig an, wie der Regenmacher den Regen herbeizaubert, und höre den Leuten, die dem Regenmacher vertrauen, und den Bauern, die sehnlichst auf den Regen warten, zu. Natürlich ist die Technik des Regenmachens letztlich nicht relevant. Was wirklich wichtig ist und relevant: Ich muss herausfinden und hinterfragen, warum die Menschen dem Regenmacher glauben, warum sie seiner Zauberei eine Wirksamkeit attestieren. Natürlich wissen wir, dass ein Regenmacher keinen einzigen Tropfen Niederschlag herbeizaubern kann. Das scheinbar Irrationale oder Geheimnisvolle lässt sich in der Regel rational recht einfach erklären. Der Regenmacher ist vermutlich ein Mann, der ein Wissen über Wolken und das Entstehen von Wetter hat. Das hat er vermutlich von seinem Vater gelernt, der die Profession des Regenmachens in der Familie bewahrt haben will. Vielleicht hat der Regenmacher auch einfach ein Wissen über den Jahresverlauf des Klimas, er hat die Fähigkeit, sich die Tage, Wochen und Monate zu notieren oder hat gar so etwas wie einen Kalender, der dem »gewöhnlichen Volk« nicht bekannt ist. All das sind Dinge, die in einer schriftlosen Gesellschaft durchaus außergewöhnlich sind und die allerhand Informationsvorsprung bedeuten. Und der Regenmacher wäre dumm, wenn er nicht bei einer durch Cumulus-Wolken angekündigten Regenfront oder kurz vor dem Beginn der Regenzeit ein kleines Regenmacher-Fest organisiert, bei dem er auch ein wenig die Hand aufhalten darf für seine Dienstleistung. Die Wahrheit ist oft so herrlich unromantisch. Man muss scheinbar unerklärlichen Phänomenen nur ein wenig auf den Zahn fühlen. Ich mache beim Homöopathen, beim Heilpraktiker und beim Energetiker nichts anderes als beim Regenmacher. Ich lasse mir ins Notizheft zitieren, wie der Zauber wirkt, ich höre tapfer und aufmerksam zu, lese die Bücher der Gurus, lausche ihren Vorträgen, ziehe meine Schlüsse und stelle die entscheidende Frage: Warum glaubt eine erkleckliche Anzahl der Menschen in meiner Gesellschaft diesen ­Leuten? Interessant ist nicht, wie Homöopathen oder andere Heilversprecher zaubern (oder zu zaubern vorgeben), sondern welchen Stellenwert die Kunden und Patienten dieser Zauberei einräumen. Wenn etwas nicht wirkt, ist es irrelevant, wie es nicht wirkt. Interessant ist, wie sich die Kundschaft des Regenmachers und des Fakemediziners täuschen lässt oder warum sie bewusst nicht genau hinsieht oder die Täuscherei zwar erkennt, aber verteidigt.

      4 Wenn es ernst wird, landen alle beim echten Arzt. Was macht der Geistheiler, wenn er an einer akuten Blinddarm­entzündung leidet? Wandert er zum Schamanen ins Nachbardorf? Lässt er sich russische Heilzahlen auf den Bauch malen? Schließt er sich an ein Bioresonanzgerät an, um den entzündeten Wurmfortsatz mit der passenden Frequenz wegzubrummen? Oder sucht er doch ehestmöglich ein sauberes Krankenhaus auf? Auf welche Narkose vertraut der überzeugte Homöopathie-Kunde, ehe der Chirurg sein Skalpell ansetzt? Der Homöopathie-Hersteller Remedia aus Eisenstadt im Burgenland, zum Beispiel, preist auf seiner Webseite gut 5.000 verschiedene homöopathische Mittel an: Darunter sind Fundstücke wie die indische Kakerlake, Leopardenurin, die Muttermilch des Dackels oder die Käseschmiere von der Haut Neugeborener und: Cola Light. Alles ist sauber verschüttelt und sehr, sehr verdünnt und wird in Globuli aus Zucker feilgeboten. Allerdings, wenn es jetzt pressiert und der Chirurg das Messer am Bauch ansetzen muss, um uns rasch von unserem schmerzenden Appendix am Darm zu befreien, dann gibt es unter den 5.000 Mittelchen kein einziges, das uns in den für eine Operation nötigen Tiefschlaf versetzt. Vermutlich ist selbst der überzeugteste Homöopathie-Gläubige in dieser Situation recht froh darüber, dass Big Pharma proper wirkende Anästhetika entwickelt hat. Diese befördern uns in Sekundenschnelle zuverlässig ins Reich der Träume und holen uns erst dann wieder von dort ab, wenn die blutige Metzelei in unseren Eingeweiden erfolgreich über die Bühne gegangen ist und unsere Wunden gut versorgt sind. Das sind die Momente, in denen wir den kalten Apparaten der »Schulmedizin« und den Ärzten mit den scharfen und sterilen Messern vertrauen. Der Fernheiler, der sich gegen einen feinen »Energieausgleich« mordsmäßig auf unser Leiden zu konzentrieren verspricht, der hat in dieser Situation keinen Auftrag, und unsere Sozialversicherungsnummer ist ein wenig mehr wert als alle russischen Heilzahlen zusammen. Zusammengefasst: Das, was wir unter westlicher Medizin verstehen, was uns hilft, wenn wir krank sind und uns im Ex­tremfall das Leben rettet, ist nichts anderes als evidenzbasierte Medizin, und die ist das Maß der Dinge. Gurus und Scharlatane wissen das am besten. Sie erzählen es nur ihren Kunden nicht, aus verständlichen Gründen. Der brasilianische Wunderheiler João de Deus soll täglich bis zu mehreren Tausend Kunden geholfen haben – quasi im Vorbeigehen. Als er selbst an Magenkrebs erkrankte, gönnte er sich eine Privatklinik mit den besten Ärzten des Landes.

      5 Religion spielt hier keine Rolle. Ich werde immer wieder kritisiert, dass ich etwas inkonsequent sei: weil ich zwar Esoterik und den Glauben an irrationale Heilmethoden kritisiere, nicht aber Religionen und deren irrationale Erzählungen. Da ist zunächst etwas dran. Diese Kritik nehme ich ernst, ich glaube, ihr aber begegnen zu können. Zugegeben: Ich glaube nicht daran, dass Moses das Rote Meer einfach so mithilfe seines Wanderstabs geteilt hat, dass Jesus Brot und Fische vermehrt hat, um ein Fest zu schmeißen. Dass der Prophet Mohammed mit einem Schimmel vom Tempelberg direkt in den Himmel geritten ist, halte ich für blühende Fantasie, das Konzept der Wiedergeburt bei den Buddhisten deute ich als recht nette Erbauungsphilosophie, mit der sich die Anhänger den Zustand der Welt schönreden. Auf die Wiederkehr des Messias warten – zumindest metaphorisch gesehen – Christen, Muslime und Juden in leicht unterschiedlichen Versionen, ich wünsche viel Geduld. Es gibt viele Gründe, Religionen zu kritisieren und zu hinterfragen. Mit Religionskritik, die zumal viel profunder ist, als meine Ausführungen hier sein können, beschäftigen sich kompetente Autoren. Fakemedizin blüht allerdings quer durch alle Milieus und Religionen. Religiosität der Akteure, so irrational sie im Wesen auch sein mag, ist kein Indiz dafür, dass die Person in medizinischen Fragen irrational handelt. Wir alle kennen Krankenhäuser, die von christlichen Orden oder von Diözesen geführt werden. Dort misst man der evidenzbasierten Medizin und einer Behandlung auf dem neuesten Stand der Wissenschaft einen ebenso großen Stellenwert zu, wie es in kommunalen, konfessionslosen Krankenhäusern der Fall ist. Ich kenne gläubige Christen und gläubige Muslime, die Ärzte sind. Die denken nicht einmal im Entferntesten daran, ihren Patienten Gebete oder Besuche von Kirchen, Moscheen oder Walfahrtsorten als Alternative zu echter Medizin und evidenzbasierten Therapien anzubieten. Gleichzeitig kenne ich ungläubige und an Religion völlig desinteressierte Menschen, die als Ärzte, Heilpraktiker oder Energetiker keinerlei Scham haben, ihren Patienten »alternativmedizinischen« Unfug aufzuschwatzen. Wenn es um Fakemedizin geht, ist Religion oder Religiosität mit Sicherheit nicht das Kriterium für Scharlatanerie. Dass im französischen Wallfahrtsort Lourdes Schindluder mit der Hoffnung gläubiger Kranker und deren Angehöriger betrieben wird, steht außer Frage. Derlei unwürdige Schauspiele werden aber auch von gläubigen Christen kritisiert. Und ehrlich gesagt: Pilgerreisen nach Lourdes sind – im Vergleich zu Pilgerreisen zu dubiosen Heilern – derzeit ziemlich out. Ich gehe sogar einen Schritt weiter: Wenn eine Apotheke beginnt, ernsthaft heilsames Weihwasser aus einer Quelle wie Lourdes zu verkaufen – eine Welle der Empörung wäre wohl die Folge. Zuckerkugeln ohne Wirkstoffe hingegen haben den Sanctus der Apotheker- und Ärztekammern. Der Gesetzgeber bereitet seit Jahrzehnten seine schützenden Schwingen über den Unfug aus. Die schiebt der Apotheker mit lachendem Gesicht über den Tresen. Dass sich Glaubensgemeinschaften und Religionen diese Ungleichbehandlung gefallen lassen, spricht fast für deren Gutmütigkeit.

      6 Bitte keinen Whataboutismus! Ich weiß, dass bei Ärzten und in Krankenhäusern vieles falsch läuft. Dass oftmals zu viele und zu starke Medikamente verschrieben werden, dass sich Ärzte zu wenig Zeit nehmen (können) für Patienten. Ich weiß, dass Krankenhauskeime ein enormes Problem darstellen, und dass sie Menschenleben kosten. Mir ist bewusst, dass es Kliniken gibt, die lieber einmal zu viel als einmal zu wenig operieren, weil es Geld bringt. Das alles sind keine Geheimnisse, derlei wird in wissenschaftlichen Studien aufgearbeitet, Gesundheitsökonomen und Sozialmediziner nehmen sich solcher Sachen an. Es gibt auch seriöse Literatur dazu. Doch die Tatsache, dass in der Medizin vieles falsch läuft, ist kein Argument dafür, dass in der Fakemedizin irgendetwas richtig läuft. Ich weiß, dass die Pharmaindustrie keine Wohlfahrtseinrichtung ist. Sie kümmert sich nicht darum, dass wir gesund sind. Sie kümmert sich darum,

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