MIND. Daniel Siegel
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Andere Tiere verfügen auch über Geist, mit Gefühlen und Informationsverarbeitung wie beispielsweise Wahrnehmung und Gedächtnis. Aber unser menschlicher Geist hat unseren Planeten bis zu einem Grad geformt, dass wir nun dazu gekommen sind – ja wir, die wir mit der Sprache Dinge benennen können –, diese Epoche als das „menschliche Zeitalter“ zu bezeichnen (Ackermann, 2014). Den Geist in diesem neuen planetarischen Zeitalter letzten Endes zu definieren, könnte uns dazu befähigen, eine konstruktivere und kollaborativere Art und Weise des Zusammenlebens zu finden, mit anderen Menschen und allen Lebewesen auf diesem gefährdeten und kostbaren Planeten.
Den Geist zu definieren könnte dergestalt vom Persönlichen bis zum Planetarischen eine wichtige Angelegenheit sein.
Der Geist ist die Quelle unserer Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen und Veränderungen vorzunehmen. Um die Richtung des globalen Zustandes unseres Planeten zu ändern, werden wir unseren menschlichen Geist verändern müssen. Auf einer persönlicheren Ebene, wenn es erworbene Störungen in unserer Gehirnfunktion gibt, aufgrund von Erfahrungen oder der Gene, könnte uns das Wissen darüber, was der Geist ist, dazu in die Lage versetzen, das Gehirn effektiver zu verändern, so wie viele Studien nun zeigen, dass der Geist das Gehirn in einer positiven Art und Weise zu verändern vermag. Das ist wahr: Ihr Geist kann Ihr Gehirn verändern. Und so kann der Geist unsere grundlegende Physiologie und unsere breiteste Ökologie beeinflussen. Wie kann Ihr Geist das tun? Dies ist das, was wir in diesem Buch erforschen werden.
Eine genaue Definition des Geistes zu finden ist mehr als eine bloße akademische Übung; den Geist zu definieren, könnte jeden von uns dazu befähigen, mehr Gesundheit in unserem individuellen, aber auch in unserem kollektiven Leben zu schaffen, so dass wir hoffentlich mehr Wohlbefinden in unsere Welt bringen können. Um sich diesen drängenden Problemen zu nähern, wird dieses Buch die einfache, aber herausfordernde Frage, was der Geist ist, anzugehen versuchen.
Eine verbreitete Sichtweise: Der Geist ist das, was das Gehirn macht
Eine von vielen zeitgenössischen Wissenschaftlern verschiedenster akademischer Disziplinen, wie beispielsweise Biologie, Psychologie und Medizin, verbreitete Sichtweise lautet, dass der Geist lediglich das Ergebnis der Aktivität der Neuronen im Gehirn sei. Dieser häufig bekundete Glaube ist tatsächlich nicht neu, da er über Hunderte und sogar Tausende von Jahren hochgehalten wurde. Diese in akademischen Kreisen so oft vertretene Sichtweise wird konkret folgendermaßen ausgedrückt: „Der Geist ist das, was das Gehirn macht.“
Wenn so viele angesehene und umsichtige Akademiker dieser Ansicht sind und sie mit fester Überzeugung vorbringen, wäre es nur natürlich, zu denken, dass diese Idee vielleicht die einfache und ganze Wahrheit sei. Wenn das in der Tat der Fall wäre, dann wäre Ihre innere, subjektive mentale Erfahrung meines „Hallos“ an Sie einfach das Feuern der Gehirnneuronen. Wie das geschehen kann – vom Feuern der Neuronen zur subjektiven Erfahrung innerhalb des Wissens zu gelangen –, versteht keiner auf dem Planeten. Aber die Vermutung innerhalb der akademischen Diskussionen ist, dass wir eines Tages herausfinden werden, wie die Sache zum Geist wird. Wir wissen es jetzt nur noch nicht.
So vieles deutet in der Wissenschaft und Medizin – wie ich auf der medizinischen Hochschule und in meiner Forschungsausbildung gelernt habe – auf die zentrale Rolle des Gehirnes bei der Formung unserer Erfahrung von Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen hin, was man sonst häufig als die Inhalte – oder Aktivitäten – des Geistes bezeichnet. Der Zustand des Gewahrseins, die Erfahrung des Bewusstseins selbst, wird von vielen Wissenschaftlern als ein Nebenprodukt neuronaler Verarbeitung betrachtet. Wenn sich daher herausstellt, dass „Geist = Gehirnaktivität“ die einfache und ganze Gleichung für den Ursprung des Geistes ist, dann könnten die wissenschaftliche Forschung nach der neuronalen Grundlage des Geistes, nach der Art und Weise, wie das Gehirn unsere Gefühle und Gedanken entstehen lässt, und das, was man die „neuronalen Korrelate des Bewusstseins“ nennt, lange und mühsame Bestrebungen sein, die sich aber auf der richtigen Spur befinden.
William James, ein Mediziner, den viele als Vater der modernen Psychologie ansehen, stellte in seinem 1890 veröffentlichten Lehrbuch The Principles of Psychology [dt. „Die Prinzipien der Psychologie“, A.d.Ü.] Folgendes fest: „Die Tatsache, dass das Gehirn die unmittelbare körperliche Voraussetzung für mentale Operationen ist, ist in der Tat heute derart allgemein anerkannt, dass ich keine weitere Zeit damit zubringen muss, sie zu erläutern, ich werde es einfach behaupten und fortfahren. Der ganze Rest des Buches wird mehr oder weniger ein Beleg dafür sein, dass das Postulat richtig ist“ (S. 2). Natürlich betrachtete James das Gehirn als zentral für das Verständnis des Geistes.
James stellte auch fest, dass die Introspektion eine „schwierige und fehlbare“ Informationsquelle über den Geist ist (S. 131). Diese Sicht, nebst der Schwierigkeit, vor der sich Wissenschaftler beim Quantifizieren subjektiver mentaler Erfahrungen gestellt sahen – (ein wichtiges Messverfahren, dessen sich viele Wissenschaftler bedienen, um wesentliche statistische Analysen vorzunehmen) –, machten das Studium neuronaler Prozesse und von außen sichtbarer Verhaltensweisen viel ansprechender und nützlicher, als sich die akademischen Disziplinen Psychologie und Psychiatrie entwickelten.
Doch ist das „Zeug in Ihrem Kopf“, das Gehirn, wirklich die einzige Quelle des Geistes? Was ist mit dem Körper als Ganzem? James erklärte daher, dass „körperliche Erfahrungen, und insbesondere Erfahrungen des Gehirnes, unter jenen Bedingungen des mentalen Lebens stattfinden müssen, welche die Psychologie in Betracht ziehen muss“ (S. 9). James wusste, wie auch die Physiologen seiner Zeit, dass das Gehirn in einem Körper lebt. Um dies zu betonen, verwende ich manchmal den Begriff „verkörpertes Gehirn“, was meine jugendliche Tochter mir mit Nachdruck als lächerliche Aussage vorhält. Warum? Ihre Antwort darauf lautete: „Papa, hast du jemals ein Gehirn gesehen, das nicht in einem Körper lebt?“ Meine Tochter hat eine wunderbare Art und Weise, mich über alle möglichen Dinge zum Nachdenken zu bringen, die ich ansonsten nicht berücksichtigen würde. Obgleich sie natürlich Recht hat, vergessen wir in der heutigen Zeit oftmals, dass das Gehirn im Kopf nicht nur ein Teil des Nervensystems, sondern des ganzen Körpersystems ist. James sagte: „Der mentale Zustand verändert sich auch aufgrund der Durchlässigkeit (sic) der Blutgefäße oder der Veränderung des Herzschlags oder noch subtilerer Vorgänge, in den Drüsen und inneren Organen. Wenn man diese in Betracht zieht, und zwar genauso als Ereignisse, die viel später erfolgen, da der mentale Zustand dem vorausging, kann mit Sicherheit die allgemeine Regel aufgestellt werden, dass niemals eine mentale Veränderung stattfindet, die nicht von einer körperlichen Veränderung begleitet wird oder der eine solche nachfolgt“ (S. 3).
Hier können wir sehen, dass James wusste, dass der Geist nicht bloß im Schädel saß, sondern im ganzen Körper. Nichtsdestoweniger akzentuierte er die körperlichen, mit dem Geist verbundenen Zustände oder jene, die dem Geist folgen, die aber keine mentalen Aktivitäten verursachen oder erschaffen. Das Gehirn wurde von alters her als Quelle des mentalen Lebens betrachtet. Geist ist in akademischen Kreisen ein Synonym für Gehirnaktivität – Ereignisse im Kopf und nicht im ganzen Körper. Um ein erläuterndes, aber verbreitetes Beispiel anzuführen – ein moderner psychologischer Text bietet folgende Sichtweise als komplette Begriffserklärung von Geist an: „Das Gehirn und seine Aktivitäten, einschließlich der Gedanken, Emotionen und Verhaltensweisen“ (Cacioppo & Freberg, 2013).
Diese Sichtweisen des Geistes als vom Gehirn herrührend sind mindestens 2500 Jahre alt. Wie der Neurowissenschaftler Michael Graziano darlegt: „Der erste wissenschaftliche bekannte Beitrag,