Komplexe - und jetzt?. Daniel Reinemer

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Komplexe - und jetzt? - Daniel Reinemer

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unser persönlicher Part dabei war. So erhalten wir schließlich bestenfalls Kontrolle darüber. Beim nächsten Mal können wir solche Situationen schon besser erkennen und womöglich Maßnahmen ergreifen.

      Wenn wir Situationen, Gedanken, Gefühle nicht verstehen, sondern immer nur verdrängen, werden sie uns immer wieder passieren.

      Stellen Sie sich vor, Sie fahren mit dem Auto auf einer etwas unübersichtlichen Landstraße. In absoluter Dunkelheit, vielleicht scheint schwach der Mond. Die Straße ist zudem eng, und an der Seite verläuft jeweils nur ein schmaler Kiesstreifen. In einer Kurve kommen Sie nun ein wenig von der Fahrbahn ab. Sie fahren auf einen dieser Kiesstreifen, die Reifen drehen durch, und Sie driften noch weiter von der Straße weg. Nicht mehr rechtzeitig treten Sie auf die Bremse. Es kommt zur Gefahrensituation: Sie verlassen die Fahrbahn komplett. Glücklicherweise ist Ihnen nichts weiter passiert – noch nicht.

      Ausgeschlafen erzählen Sie am nächsten Morgen jemandem davon, reflektieren die Situation noch einmal. Sie können sagen: »Ich war ja auch hundemüde und deshalb nicht konzentriert.« Oder: »Es war ja so dunkel, ich konnte natürlich nichts sehen.«

      Diese Analyse der Situation könnte zunächst helfen, nicht mehr in eine solche Lage zu kommen. Aber ob es allerdings sinnvoll wäre, als Maßnahme nicht mehr im Dunkeln zu fahren, wage ich zu bezweifeln.

      Was könnte aber wirklich helfen?

      Sie könnten am nächsten Tag bei Tageslicht zur Unfallstelle zurückgehen und sich die Straße, die Kurve und den Kiesstreifen genauer betrachten. Sich fragen, wie der Unfall passieren konnte, wie Sie mit den Reifen auf diese Spur gekommen sind, was hätte helfen können und warum das passiert ist. Wenn Sie so vorgehen, werden Sie das nächste Mal bei einer solchen Straße vermutlich sofort den Kiesstreifen bemerken und die erforderlichen Schritte einleiten und achtsam sein.

      Also gilt hier wie bei der Dame in Schwarz: Schicken Sie die Ereignisse nicht einfach weg, sondern betrachten Sie sie genauer. Betrachten Sie unangenehme, stressige, beunruhigende Situationen bei Tageslicht – sodass Sie die Ursache erkennen.

      Genau so sehe ich meine Arbeit und meine Rolle. Zu erforschen, welche Faktoren, welche Umstände zu einer jeweiligen Situation beigetragen haben. Sie zu erkennen, sie zu verstehen und sie dann ins Leben einzubauen und zu lösen – und die Problematik nicht nach außen und ans Außen zu schieben.

      Umso sinnvoller ist es, unsere Begleiter und Strukturgeber möglichst zu kennen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

      Aus diesem Grund habe ich dieses Buch geschrieben – denn ein Unfall ist schnell passiert.

       Das Leben bildet eine Oberfläche, die so tut, als ob sie so sein müsste, wie sie ist, aber unter ihrer Haut treiben und drängen die Dinge.

      ROBERT MUSIL

      Der Zusatz im Buchtitel »Und jetzt?« könnte vermuten lassen, es ginge um ein »Na und?« oder ein »Und weiter?«, ein »Was interessiert mich das, mir macht das nichts aus«. Wie Sie aber sicher erkannt haben, ist dieser Zusatz eben nicht trotzig gemeint. Er ist vielmehr ein optimistisches Eingestehen und ein interessiertes »Und, wie geht es jetzt weiter, was kann ich tun?«

      Dieses Buch ist eine Einladung – eine Einladung hinabzutauchen in Ihre Psyche, ins Unbewusste. Vorzudringen zu Ihren eigenen Komplexen. Ich als ihr ausgebildeter Tauchlehrer versehe Sie mit der Taucherbrille und der sonstigen Ausrüstung. So können Sie lernen, wie Sie auch Tauchgänge allein unternehmen können. Sie werden erstaunt sein, welche Schätze Sie mit an die Oberfläche bringen werden und wie Ihr Leben reicher wird. Seien Sie gespannt.

      Es geht mir nicht darum, Fehler bei Ihnen zu suchen – Sie zu optimieren in einer Zeit von Achtsamkeitskursen für Manager und lösungsorientierten Schweigeseminaren. Sondern Sie hinzuführen zu einem bewussteren Leben. Ihnen die Erlaubnis zu erteilen, zu Ihren Gefühlen zu stehen. Leiden ist ein gesunder Gegenpol des Glücks, den wir zulassen sollten, vielleicht sogar müssen.

      Mein persönlicher Ansatz ist dabei auf Jungs Haltung aufgebaut. Jeder Mensch hat Komplexe, und zwar in unterschiedlicher Ausprägung. Aber jeder Mensch ist anders. Deshalb sollen die folgenden Seiten kein dogmatischer Tunnel sein, durch den wir kriechen, in der Hoffnung auf Licht und Erlösung. Sondern vielmehr möchte ich die Sicht auf das eigene Leben freimachen.

      In meiner Praxisarbeit sind die Komplexe ein wichtiger, wenn nicht sogar zentraler Teil, sie bilden eine Art Basis, zu der ich immer wieder zurückkehren und von der ich ausgehen kann. Natürlich spielen unsere frühkindlichen und die späteren Erfahrungen eine wichtige Rolle, wie wir als Erwachsener reagieren.

      Regen Sie sich auf, wenn Ihre Partnerin oder Ihr Partner zu spät nach Hause kommt? Fühlen Sie sich oft überfordert, wenn jemand Erwartungen an Sie stellt? Scheinbar banale Alltagssituationen, über die Sie sich ärgern, können Ausdruck eines Komplexes sein.

      »Warum habe ich denn jetzt schon wieder so extrem reagiert?« Kennen Sie dieses Gefühl der Ohnmacht gegenüber den eigenen Emotionen?

      Keinem von uns dürfte das unbekannt sein. Es sind häufig Momente, in denen scheinbar alles in Ordnung ist. Von außen oder von innen kommt dann ein Reiz, und die komplette Stimmung ist auf den Kopf gestellt. Wir regen uns auf, sind außer uns, empören uns!

      Dafür wird dann gern der Reiz verantwortlich gemacht. Der Chef ist ja wirklich unfair, der Partner könnte aber endlich mal aufmerksamer sein oder die Freundin nicht so egoistisch. Die Reize können dabei beispielsweise Gesten, Worte, Handlungen, Gerüche sein.

      Was aber passiert wirklich in solchen Momenten? Was bedeutet es, wenn ein Reiz auf einen Komplex trifft und dieser dann ausbricht? Was ist überhaupt ein Komplex? Wie können wir damit umgehen, wenn wir plötzliche Gefühlsausbrüche haben? Kann ein solcher Ausbruch sogar verhindert werden?

      Diesen Fragen möchte ich gern intensiv nachgehen. Denn Komplexe können zu einer echten Belastung und Einschränkung für den betroffenen Menschen und häufig auch für sein Umfeld werden. Heftige Gefühle, wie zum Beispiel Angst, lähmen uns und führen uns weg von unserer Selbstwahrnehmung. Wenn uns diese Wahrnehmung aber abhandenkommt, können wir nicht mehr auf Situationen reagieren, wie sie sind, sondern wie es uns der Komplex vorgibt. Wir sind fremdgesteuert.

      Das, was uns umtreibt, treibt auch viele andere Menschen um. Wir alle haben Komplexe, und wir alle brauchen sie. Komplexe haben eine gesellschaftliche und kollektive Ebene. Wenn wir es schaffen, zu uns zu stehen und dies der Umwelt zu zeigen, können wir dadurch auch unseren Mitmenschen näherkommen. Mehr Verständnis für sie aufbringen. Uns einander echter begegnen.

      Meine Haltung ist, wie bereits erwähnt, sehr deutlich gegen ein Bekämpfen oder Verdrängen der Komplexe. Doch das Gegenteil gibt es leider viel zu häufig. Gerade in einer Welt und Gesellschaft, die eher darauf programmiert ist, zu funktionieren und Leistung zu erbringen. Es scheint häufig leichter, das störende Element einfach auszuschalten, zu verdrängen und weiterzumachen.

      Da es wohl aber schwer möglich ist, die Komplexe einfach auszuschalten oder komplett zu löschen, ist die gesunde und sinnvollere Variante, sich ihnen zu stellen und die Themen in die bewusste Psyche zu integrieren.

      Wer sich besser kennt, hat die Chance, ein erfüllteres Leben zu leben. Sicherlich ist es nicht immer einfach, mehr von sich zu erfahren. Die Themen in uns sind aber dennoch da. Da scheint es schlauer zu sein, sich ihnen zuzuwenden, als so zu tun, als wären sie nicht vorhanden.

       Nach den Jahren meiner intensiven Auseinandersetzung mit der Tiefenpsychologie

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