Gott und die anderen Großen. Ernst Peter Fischer
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„Ich konnte gut nachvollziehen, wieso Archimedes so aus dem Häuschen geraten war“, so Jeanette Walls in ihrem Buch Das ungezähmte Leben, das aus der Perspektive eines Mädchens erzählt wird, die folgende Erfahrung gemacht hat: „Es gab doch nichts Schöneres als dieses Gefühl, das einen überkam, wenn es „klick“ machte und man plötzlich etwas begriff, das einem ein Rätsel gewesen war. So schöpfte man Hoffnung, dass es vielleicht doch möglich war, diese gute alte Welt in den Griff zu bekommen.“
Die gesamte öffentliche Einstellung zum Vorgehen der Wissenschaft könnte sich ändern, wenn die Freude erwähnt wird, die mit dem Erkennen verbunden ist. Sie kann sowohl einem kleinen Mädchen ein herrliches Gefühl liefern als auch den großen Kepler in heilige Raserei versetzen. Sie hat im 20. Jahrhundert den französischen Biologen François Jacob und seinen aus Südafrika stammenden Kollegen Sydney Brenner dazu gebracht, „wie zwei Verrückte einen wilden Freudentanz“ aufzuführen, nachdem ihnen ein eleganter Einblick in das Funktionieren des genetischen Apparates einer Zelle gelungen war.
Gott muss doch ganz in der Nähe gewesen sein, wenn sich Menschen so unbändig darüber freuen, dass sie mit ihren geistigen Mitteln etwas von seiner Schöpfung verstehen können. Zumindest Keplers Gott wird bei dem Blick auf die tanzenden Forscher Wohlgefallen gefunden haben. Keplers Gott hat nämlich zum einen dafür gesorgt, dass die Welt durch ihre Schönheit den Menschen zugänglich ist. Und er hat seine sterblichen Ebenbilder ermutigt, ihr Wissen mit seiner Hilfe – mit seinen uns eingepflanzten Urbildern – zu erwerben und vermehren. Auf diese Weise wird Wissenschaft genau zu dem Gottesdienst, den Kepler in seinem astronomischen Tun gesehen und täglich praktiziert hat. Er muss sich trotz aller finanziellen Not dabei glücklich gefühlt haben.
Galileis Gehabe
Nur wenige Wissenschaftler verfügen über den Bekanntheitsgrad des Italieners Galileo Galilei (1564–1642), was vermutlich aber weniger an seinen fachlichen Qualifikationen und sachlichen Einsichten, sondern mehr an seinem polternden Auftreten und polemischem Engagement liegt, die beide zudem mit einem unübersehbaren Geltungsbedürfnis gepaart waren. Galilei ging es vor allem um die Priorität von Ideen und Entdeckungen. Ich kann mir gut vorstellen, dass er heute ein gefragter und gern gesehener Gast in televisionären Talkrunden wäre, der sich lärmend und stets selbstsicher über Gott und die Welt auslassen und alles besser wissen würde.
Es sind wohl vor allem diese menschlichen Eigenschaften gewesen, die den Poeten Bertolt Brecht auf die Idee brachten, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Theaterstück über das „Leben des Galilei“ zu schreiben, in dem der lebendige Dichter dem toten Forscher wunderbare Sätze wie den folgenden in den Mund legt:
„Ich halte dafür, dass das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern.“
Brecht lässt seinen Galilei zum einen als leidenschaftlichen Wissenschaftler erscheinen, der „wie ein Liebender, wie ein Betrunkener“ herausbrüllt, was er erfahren hat und den eine große Sehnsucht auszeichnet: „Ich denke manchmal: ich ließe mich zehn Klafter unter der Erde in einen Kerker einsperren, zu dem kein Licht mehr dringt, wenn ich dafür erführe, was das ist: Licht“, lässt Brecht Galilei sagen.
Auf der anderen Seite führt der deutsche Dichter in seinem Theaterstück einen eher aggressiven Galilei vor, der gegen die unübersehbare öffentliche Dummheit kämpft und denjenigen in hoher Erregung „keine Gnade“ gewähren will, „die nicht geforscht haben und doch reden.“
Der letzte Satz passt ganz vorzüglich auf die vielen Ethiker und andere Philosophen, die in unseren Tagen etwa den biologischen und chemischen Wissenschaften unentwegt mit moralisch erhobenen Zeigefingern in die praktische Quere kommen wollen, ohne selbst auch nur das geringste Wissen erworben zu haben oder anbieten zu können, das den zahlreichen bedürftigen Personen unserer Tage die zitierte „Mühseligkeit der menschlichen Existenz“ tatsächlich nehmen kann (statt sie unnötig zu vergrößern).
Der Blick an den Himmel
Wer den Namen Galilei hört, denkt vermutlich zuerst daran, dass der Forscher doch mit der katholischen Kirche in Konflikt geraten ist und dann sogar die hässlichen Hände der unnachgiebigen Inquisition zu spüren bekommen hat, die ihm schwer zugesetzt und zu einem unnötigen Widerruf gezwungen haben.
Erst im Anschluss an dieses Trauerspiel fällt vielen Menschen bei dem Namen Galilei ein, dass dieser Physiker und Astronom Ansichten über die Bewegungen und das Aussehen von verschiedenen Himmelskörpern entwickelt hat, wobei Galilei als einer der ersten Astronomen seine Objekte nicht mehr nur mit bloßem Auge betrachten konnte, sondern dass ihm dabei maßgeblich die damals neue Konstruktion eines Fernrohrs zu Hilfe gekommen ist, das der Wissenschaft im Besonderen und der Menschheit im Allgemeinen ab 1609 eine stark erweiterte Sicht des Universums erlaubte.
Übrigens – für „Fernrohr“ kann man auch „Teleskop“ sagen, und es gehört zu meinen liebsten und leider nicht erfundenen Anekdoten, dass eine bekannte Philosophin in ihren Vorträgen über Galilei und andere Beobachter der Sterne in seiner Zeit stets von dem wunderbaren Teleskop mit einem „o“ in der Mitte sprach, das der italienische Physiker und seine Kollegen an den Himmel gerichtet haben. Mir gefällt das deshalb ausnehmend gut, weil in dem theologischen Versprecher die faktische Ferne (Tele) durch ein sinnvolles Ziel (Telos) ersetzt wurde und den Gedanken suggeriert, man habe mit dem Fernrohr einen Ort für den lieben Gott gesucht.
Natürlich zeigt sich selbst bei dem Einsatz neuester technischer Mittel weder der gewünschte Herr, noch war Galileis teleskopischer Blick an den Himmel im theologischen Sinn des Wortes zielgerichtet. Dem Helden von Brechts Theaterstück ging es nicht um einen Gottesbeweis, sondern schlicht und einfach um Beobachtung und eine Wissenschaft der Sterne mit besseren Methoden.
Als das besagte und wahrscheinlich in Holland zuerst gebaute Instrument im frühen 17. Jahrhundert Männern wie Galilei zur Verfügung stand und nach und nach – nicht zuletzt von ihm selbst – verbessert werden konnte, zeigten sich rasch zahlreiche Befunde am Himmel, die es zu verstehen und mit dem herrschenden Weltbild einer vornehmlich christlichen Menschheit zu versöhnen galt. Unter anderem offenbarte zum Beispiel der Mond eine merkwürdige Struktur seiner Oberfläche mit runden Kratern und länglichen Bergrücken, was ihm auf jeden Fall den Nimbus einer perfekten Kugel nahm, der ihm zukam, solange viele Götter oder ein Gott für ihn zuständig waren.
Weiter ließ die Sonne auf ihrer Oberfläche Flecken erkennen, was sie in einem göttlichen Sinn unrein machte, weshalb das auf Schmutz verweisende Wort „Sonnenfleck“ ja überhaupt als Fachausdruck gewählt wurde. Und um den Planeten Jupiter konnte man einige Monde kreisen sehen, was den Astronomen und anderen Erkundern des Himmels viel Stoff zum Denken gab, da es offenbar zu den Regelmäßigkeiten am Himmel gehörte, dass kleinere Objekte um ein größeres zirkulierten – wobei an dieser Stelle für heutige Leser sicher nicht eigens erwähnt zu werden braucht, dass es sich in wissenschaftlichen Kreisen längst herumgesprochen hatte und als Tatsache akzeptiert wurde, dass die Erde sehr viel kleiner als die sogar als riesengroß angesehene Sonne war, die sich der kirchlichen