Meditation ist nicht, was Sie denken. Jon Kabat-Zinn
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Die ursprüngliche Absicht von MBSR in Form eines achtwöchigen ambulanten Kurses bestand darin zu überprüfen, welchen Nutzen Achtsamkeitstraining potenziell dafür haben kann, das mit Stress, Schmerzen und Krankheit einhergehende Leid von Patienten mit chronischen Erkrankungen zu lindern, die nicht auf die medizinischen Standardbehandlungen ansprechen und daher durch das Raster des regulären Gesundheitssystems fallen. MBSR sollte eine Art Sicherheitsnetz sein, das die Menschen in solchen Fällen auffangen und sie dazu auffordern würde, etwas für sich selbst zu tun und daran mitzuwirken, ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden zu verbessern. MBSR war nicht als eine neue medizinische Behandlung oder eine Therapieform gedacht. Vielmehr sollte es eine gesundheitsfördernde edukative Maßnahme sein, die im Laufe der Zeit und durch die Teilnahme von immer mehr Menschen das Potenzial haben könnte, für mehr Gesundheit, Wohlbefinden und Weisheit in der Gesamtbevölkerung zu sorgen. In einem gewissen Sinne brachten wir den Menschen bei, besser mit dem zu kooperieren, was auch immer die Ärzte und das Krankenhaus für sie tun konnten, indem sie durch die Achtsamkeitspraxis ihre eigenen inneren Ressourcen mobilisierten. Dadurch, so glaubten wir, würden sie nicht mehr oder zumindest sehr viel seltener ins Krankenhaus müssen, da sie lernten, sich besser um sich zu kümmern und neue Umgangsweisen mit ihrem Stress- und Schmerzpegel sowie ihren gesundheitlichen Problemen und chronischen Krankheiten zu entwickeln.
Wir wollten so genau wie möglich herausfinden und dokumentieren, ob meditative achtsamkeitsbasierte Praktiken (während der acht Kurswochen täglich 45 Minuten und an sechs Tagen in der Woche praktiziert) einen signifikanten Unterschied in der Lebensqualität und der Gesundheit der Teilnehmenden bewirken würden. Und bei der Mehrheit der Teilnehmenden bestand von Anfang an keinerlei Zweifel daran, dass das der Fall war. Wir konnten es den Menschen im Verlauf der acht Wochen geradezu ansehen. Im Kurs erzählten sie erfreut von einigen der Veränderungen, die sie erlebten und die ihnen ein Gefühl der Kraft gaben, und unsere Datensammlung bestätigte diese Entwicklung zusätzlich.
Im Jahr 1982 veröffentlichten wir unsere Erkenntnisse erstmals in der medizinischen Fachliteratur. Innerhalb weniger Jahre schlossen sich weitere Wissenschaftler und Ärzte der immer strengeren Kriterien genügenden Achtsamkeitsforschung an und leisteten ihren Beitrag zu dem inzwischen sehr umfassenden Kenntnisstand in der wissenschaftlichen Gemeinschaft.
Heute floriert die Forschung zum Thema Achtsamkeit und deren potenziellem Nutzen in der Medizin, der Psychologie, der Neurowissenschaft und vielen anderen Feldern. Das ist schon an und für sich ziemlich bemerkenswert, da es die Zusammenführung von zwei Wissensbereichen repräsentiert, die sich noch nie zuvor begegnet sind: moderne Medizin und Wissenschaft auf der einen Seite und uralte kontemplative Praktiken auf der anderen.
Als die amerikanische Ausgabe im Januar 2005 erschien, gab es in der medizinischen und wissenschaftlichen Literatur lediglich 143 Veröffentlichungen, die den Begriff „Mindfulness“ im Titel trugen. Das entspricht gerade einmal 4,6 Prozent der über 4000 Veröffentlichungen zum Thema „Achtsamkeit“, die bis zum Jahr 2017 erschienen. In der Zwischenzeit ist in der Medizin und in weiteren Disziplinen ein ganzes Feld entstanden, in dem die Auswirkungen von Achtsamkeit auf so ziemlich alles untersucht werden, von der bemerkenswerten Fähigkeit des Gehirns, seine Gestalt zu verändern (Neuroplastizität), über die Auswirkungen auf die Gene und die Genregulation (Epigenetik), auf die Telomere und damit auch auf den biologischen Alterungsprozess, auf Gedanken und Gefühle (insbesondere im Hinblick auf Depressionen, Ängste und Süchte) bis hin zum Familien-, Arbeits- und Sozialleben.
Ein neues Format für eine neue Zeit
In Anbetracht all dessen, was seit 2005 geschehen ist, erschien es mir sinnvoll, das Buch für eine neue Generation von Lesern in vier kürzere Bände zu unterteilen. Da Sie gerade das erste dieser Bücher in der Hand halten, nehme ich an, dass Sie zumindest ein wenig neugierig auf Meditation im Allgemeinen und Achtsamkeit im Besonderen sind, sonst hätten Sie es wohl nicht aus dem Regal genommen und bis hierher gelesen. Aber selbst wenn Sie nicht mal besonders neugierig sind oder den Gedanken, Meditation in Ihren Alltag zu integrieren, eher abschreckend finden – noch etwas, was Sie tun müssen und was Zeit in Anspruch nimmt, kostbare Augenblicke, die Sie nicht zu haben glauben, oder die Sorge darüber, was Ihre Familie und Freunde denken könnten … vielleicht ist Ihnen auch bereits die bloße Vorstellung von formaler Meditation unangenehm, oder so etwas erscheint Ihnen weit hergeholt und unnütz –, brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Das alles ist kein Problem. Denn Meditation, und ganz besonders Achtsamkeitsmeditation, ist wirklich nicht das, was Sie denken.
Was Meditation tatsächlich für Sie tun kann, ist, Ihr Verhältnis zu Ihrem Denken zu verwandeln. Sie kann Ihnen helfen, sich mit Ihrer Denkfähigkeit anzufreunden als eine, aber eben nur eine von verschiedenen Intelligenzen. Da Sie bereits darüber verfügen, können Sie sie zur Ihren Gunsten nutzen, statt sich davon gefangen nehmen zu lassen, wie es uns nur allzu oft mit unseren Gedanken geschieht, wenn wir vergessen, dass es sich dabei lediglich um Gedanken handelt, also um Ereignisse im Feld unseres Gewahrseins und nicht etwa um die Wahrheit. In diesem Sinne könnte man sagen, dieses Buch handelt von dem Was und dem Warum der Achtsamkeit.
Der nächste Band mit dem Titel Wach werden und unser Leben wirklich leben befasst sich ausführlich damit, wie sich Achtsamkeit im alltäglichen Leben systematisch kultivieren lässt. Die heilende und verwandelnde Kraft der Achtsamkeit liegt in der Praxis selbst. Achtsamkeit ist keine Technik. Sie ist ein Weg, eine weise Beziehung zu der Gesamtheit der inneren und äußeren Erfahrung zu pflegen. Das bedeutet, dass Ihre Sinne, und zwar all Ihre Sinne – denn es gibt weitaus mehr als nur fünf, wie Sie noch sehen werden –, eine große und bedeutsame Rolle spielen. Wir könnten also sagen, dass dieses zweite Buch detailliert von dem Wie der Achtsamkeit handelt, sowohl im Sinne einer formalen Meditationspraxis als auch im Sinne einer Seinsweise.
Band drei Das heilende Potenzial der Achtsamkeit ist ganz dem Versprechen gewidmet, das der Achtsamkeit innewohnt. Die potenziellen positiven Auswirkungen von Achtsamkeit werden darin aus verschiedensten Blickwinkeln geschildert, unter anderem aus dem zweier Studien, an denen ich unmittelbar beteiligt war. Ich habe darauf verzichtet, die Ergebnisse all der neuen wissenschaftlichen Studien vollständig zu dokumentieren, die seit 2005 erschienen sind; das würde nicht nur den Rahmen sprengen, es werden zudem auch ständig neue Studien veröffentlicht. Stattdessen finden sich im Vorwort dieses Bandes eine Zusammenfassung des derzeitigen Forschungsstandes und Verweise auf weiterführende Literatur, in der einige der spannendsten aktuellen Studien beschrieben werden.
Neben wissenschaftlichen Erkenntnissen weckt dieses dritte Buch der Serie auch etwas von der Schönheit und der Poesie, die dem ganzen Spektrum von Perspektiven und Umständen innewohnen, die sowohl erhellend als auch heilsam für uns sein können. Einige basieren auf meditativen Traditionen, insbesondere auf Zen, Vipassanā, Dzogchen und Hatha-Yoga, die mich persönlich tief berührt und dazu bewegt haben, Achtsamkeit in mein eigenes Leben zu integrieren, seit ich einundzwanzig Jahre alt war. Sie alle deuten auf den Wert von verkörperter Wachheit und unserer intrinsischen wechselseitigen Verbundenheit hin, und ihre kraftvollen Perspektiven, Einsichten und Praktiken sind über Jahrhunderte hinweg weitergegeben worden.
Der vierte Band Achtsamkeit für alle handelt von der Verwirklichung von Achtsamkeit in Ihrem eigenen Leben, wobei mit „Verwirklichung“ hier gemeint ist, Achtsamkeit zu etwas Realem werden zu lassen und sie auf Ihre eigene Weise zu verkörpern, so gut es Ihnen gelingt, und zwar nicht nur als Individuum, sondern auch als Angehöriger der Menschheitsfamilie. Dieser Band konzentriert sich mehr auf den politischen als auf den physischen Körper sowie auf den Wert, den die Erkenntnisse der Medizin aus den letzten vierzig Jahren und die der kontemplativen Traditionen aus den letzten Tausenden Jahren für uns als Homo sapiens sapiens in diesem Augenblick auf der Erde haben könnten. Außerdem geht es darin um unser Potenzial als einzigartige,