Meditation ist nicht, was Sie denken. Jon Kabat-Zinn
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Meditation ist nicht, was Sie denken - Jon Kabat-Zinn страница 7
Wie neuere Entwicklungen in der Medizin, der Neurowissenschaft und der Epigenetik gezeigt haben, kann man ohne Übertreibung sagen, dass es uns Menschen möglich ist, tiefe innere Kraftquellen anzuzapfen, die uns von Natur aus zu eigen sind: Ressourcen des Lernens, des Wachsens, der Heilung und der Transformation, die uns während unseres gesamten Lebens zur Verfügung stehen. Diese Fähigkeiten sind in unseren Chromosomen, Genen und Genomen angelegt, in unseren Gehirnen, Körpern und Geistern und auch in unseren Beziehungen zueinander und zu der Welt. Zugang zu ihnen bekommen wir immer nur von dem Punkt aus, an dem wir uns gerade befinden, nämlich „hier“, und in dem einzigen Augenblick, der uns zur Verfügung steht, nämlich „jetzt“. Wir alle haben das Potenzial zu Heilung und Transformation, ganz gleich, in welcher Situation wir uns befinden und ob diese Situation schon lange anhält oder erst kürzlich entstanden ist, ob wir sie als „gut“, „schlecht“, „unschön“, „hoffnungslos“ oder „hoffnungsvoll“ betrachten, ob wir die Gründe im Inneren oder im Außen vermuten. Diese inneren Ressourcen sind unser Geburtsrecht. Sie stehen uns während unseres ganzen Lebens zur Verfügung, da sie in keiner Weise etwas von uns Getrenntes sind. Es liegt in unserer Natur als Spezies, zu lernen, zu wachsen, heil zu werden und mehr Weisheit in unserer Sichtweise und in unseren Handlungen sowie mehr Mitgefühl mit uns selbst und anderen zu entwickeln.
Dennoch müssen diese Fähigkeiten erst einmal entdeckt, entwickelt und genutzt werden. Darin liegt die Herausforderung unseres Lebens: die Chance zu nutzen, aus den Augenblicken, die uns gegeben sind, das Beste zu machen. Nur allzu leicht vergeuden wir die kostbaren Momente unseres Lebens mit allem möglichen Kram, sei es beabsichtigt oder unabsichtlich. Doch es ist ebenso leicht, uns bewusst zu werden, dass uns im Leben nun einmal nicht mehr zur Verfügung steht als ebendiese Augenblicke, dass es ein Geschenk ist, wirklich darin gegenwärtig zu sein, und dass interessante Dinge geschehen, wenn wir es sind.
Diese lebenslange Herausforderung – die Entscheidung für das Lernen, Wachsen, Heilen und die Transformation in genau diesem Augenblick – ist zugleich auch das Abenteuer des Daseins. Hier beginnt der Weg zur Erkenntnis dessen, was wir wirklich sind, und dazu, unser Leben so zu führen, als käme es wirklich darauf an. Es zählt tatsächlich – viel mehr, als wir glauben mögen oder uns vorstellen können, und zwar nicht bloß im Hinblick auf unser eigenes Vergnügen oder unsere Leistung, auch wenn diese Erkenntnis unserer Freude, unserem Wohlbefinden und unserer Leistungsfähigkeit ebenfalls zugute kommt.
Dieser Weg zu mehr Gesundheit und geistiger Klarheit beginnt damit, dass wir die Ressourcen, die wir bereits besitzen, mobilisieren und weiterentwickeln. Die wichtigste davon ist unsere Fähigkeit, aufmerksam zu sein, insbesondere für jene Aspekte unseres Lebens, um die wir uns bisher wenig gekümmert haben, von denen wir vielleicht sagen würden, dass wir sie schon eine gefühlte Ewigkeit ignorieren.
Wenn wir aufmerksam sind, kommen wir unserem Bewusstsein näher, jenem Aspekt unseres Daseins, der neben der Sprache das Potenzial unserer Spezies zum Lernen und zur Transformation ausmacht. Wir entwickeln und verändern uns, wir lernen und werden uns gewahr durch die direkte Wahrnehmung mittels unserer fünf Sinne in Verbindung mit der Kraft des Geistes, der im Buddhismus als ein eigenständiger Sinn betrachtet wird. Wir sind fähig wahrzunehmen, dass jeder einzelne Aspekt unserer Erfahrung innerhalb eines unendlichen Geflechts von Beziehungen existiert, von denen einige für unser unmittelbares und langfristiges Wohlergehen von großer Bedeutung sind. Zwar mögen wir viele dieser Beziehungen nicht sofort erkennen, und vielleicht handelt es sich dabei um bislang eher verborgene Dimensionen im Gefüge unseres Lebens, die noch der Entdeckung harren. Aber dennoch sind diese verborgenen Dimensionen – oder das, was wir „neue Grade der Freiheit“ nennen könnten – uns potenziell zugänglich, und sie werden sich nach und nach enthüllen, wenn wir unsere Fähigkeit zum bewussten Gewahrsein kultivieren und darin verweilen, indem wir unsere Aufmerksamkeit staunend und liebevoll auf das verblüffend komplexe und doch grundlegend geordnete Universum gerichtet halten, auf das Terrain – sei es die Welt, das Land, den sozialen Kreis, die Familie, den Körper, den Geist –, innerhalb dessen wir uns befinden und orientieren. All das ist auf allen Ebenen in einem ständigen Wandel und Fluss, ob wir uns dessen nun bewusst sind oder nicht, ob es uns gefällt oder nicht, und gibt uns somit unzählige und unerwartete Möglichkeiten, aufzuwachen und klarer zu sehen. Dann können wir wachsen, in unseren Handlungen mehr Weisheit verkörpern und das quälende Leid in unserem aufgewühlten Geist lindern, der für gewöhnlich so weit von seiner Heimat, von innerer Ruhe und Frieden, entfernt ist.
Diese Reise hin zu Gesundheit und geistiger Klarheit ist nicht weniger als die Einladung, zur Fülle unseres Lebens zu erwachen, solange wir noch Zeit dazu haben, statt dies erst, wenn überhaupt, auf unserem Totenbett zu tun. Davor hat uns schon Henry David Thoreau so eindringlich gewarnt, als er in Walden schrieb:
Ich bin in den Wald gezogen, weil mir daran lag, bewusst zu leben, es nur mit wesentlichen Tatsachen des Daseins zu tun zu haben. Ich wollte sehen, ob ich nicht lernen könne, was es zu lernen gibt, um nicht, wenn es ans Sterben ging, die Entdeckung machen zu müssen, nicht gelebt zu haben.
Zu sterben, ohne wirklich gelebt zu haben, ohne zu unserem Leben erwacht zu sein, stellt eine stetige und ernste Gefahr für uns alle dar angesichts unserer automatisierten Gewohnheiten und des gnadenlosen Tempos, in dem sich die Dinge heutzutage entwickeln, viel schneller als noch zu Thoreaus Zeiten. Dazu trägt auch die Achtlosigkeit bei, die so oft unsere Beziehungen zu dem prägt, was uns vielleicht das Allerwichtigste im Leben, zugleich aber auch das am wenigsten Offenkundige ist.
Doch wie schon Thoreau uns rät, können wir lernen, uns in der uns innenwohnenden Fähigkeit zu weiser und offenherziger Aufmerksamkeit zu verankern. Er weist darauf hin, dass es sowohl möglich als auch äußerst erstrebenswert ist, das weite Gewahrsein in Herz und Geist zunächst zu kosten und dann darin zu verweilen. Wenn wir dieses Gewahrsein auf die richtige Weise kultivieren, kann es die Schleier unserer zur Routine gewordenen Gedankenmuster, Sinneswahrnehmungen und Beziehungen durchdringen und uns von ihnen sowie auch von den häufig sehr turbulenten und destruktiven Bewusstseinszuständen und Emotionen befreien, die mit ihnen einhergehen. Solche Gewohnheiten sind stets von der Vergangenheit bestimmt, nicht nur von unserem genetischen Erbe, sondern auch von unseren Erfahrungen: von Traumata und Ängsten, vom Mangel an Vertrauen und Sicherheit, von Gefühlen der Wertlosigkeit, die daher rühren, dass wir nicht gesehen und wertgeschätzt wurden, sowie von lange gehegtem Groll aufgrund alter Kränkungen, Ungerechtigkeiten oder ganz offensichtlichen und überwältigenden Verletzungen. Es sind diese Gewohnheiten, die heute unsere Sicht einschränken, unser Verständnis verzerren und uns, wenn wir uns ihnen nicht zuwenden, daran hindern, zu wachsen und heil zu werden.
Um zur Besinnung zu kommen, im wörtlichen wie auch im übertragenen Sinne, sowohl im Großen und Ganzen als Spezies als auch im Kleinen als Individuum, müssen wir als Erstes zum Körper zurückkehren, zu jenem Ort, an dem unsere biologischen Sinne und das, was wir den „Geist“ nennen, lebendig sind. Der Körper ist etwas, was wir meist ignorieren, mitunter bewohnen wir ihn kaum, wir schenken ihm zu wenig Aufmerksamkeit und achten ihn nicht genug. Unser eigener Körper ist seltsamerweise eine Landschaft, die uns sowohl vertraut als auch erstaunlich fremd ist. Manchmal fürchten wir uns vor ihm oder verabscheuen ihn geradezu, je nachdem, was wir erlebt haben oder zu erleben fürchten. Dann wiederum sind wir völlig eingenommen von ihm; wir sind besessen von seiner Größe, seiner Form, seinem Gewicht, seinem Aussehen und laufen Gefahr, in unbewusste und anscheinend endlose Selbstverlorenheit und Narzissmus zu verfallen.
Wie wir aus den zahlreichen Studien wissen, die in den letzten vierzig Jahren im Bereich der Geist-Körper-Medizin durchgeführt wurden, ist es auf der Ebene des Individuums möglich, zu einem gewissen Ausmaß Frieden in Körper und Geist zu finden – und damit mehr Gesundheit, Wohlbefinden, Glück und Klarheit, selbst inmitten großer Schwierigkeiten und Herausforderungen. Mittels des MBSR-Ansatzes sind bereits Tausende zu dieser Reise aufgebrochen und haben berichtet, wie viel sie für sich selbst,