Alles ist Zufall. Theodor Fontane
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Die unterschiedlichen Veranlagungen der Eltern und die Umgebung, in die Fontane hineinwuchs, prägten seinen Lebensweg. Sie halfen ihm, schwierige Zeiten zu meistern, führten ihm aber auch oft den Abgrund vor Augen. Schließlich, wenn auch erst in fortgeschrittenem Alter, fand er für sich einen Weg, diese Mitgift produktiv für sich als freier Schriftsteller zu nutzen. In dem Roman Schach von Wuthenow heißt es im Schlusskapitel: »Ein Rest von Dunklem und Unaufgeklärtem bleibt, und in die letzten und geheimsten Triebfedern andrer oder auch nur unsrer eignen Handlungsweise hineinzublicken, ist uns versagt.« So ist es wohl auch. Und deshalb kann diese Einleitung auch nicht mehr sein, als der Versuch einer Annäherung an einen großartigen, in seiner Menschenkenntnis, Beobachtungsgabe und poetischen Kraft herausragenden Schriftsteller.
Die Auswahl der nachfolgenden Texte spiegelt die literarische und zeitkritische Entwicklung des Autors. Zudem zeigt sie seine Vielfältigkeit und Meisterschaft als Dichter, Schriftsteller, Briefeschreiber und Publizist. Neben sehr bekannten Texten finden sich auch solche, die in Vergessenheit geraten sind oder weniger Beachtung gefunden haben, aus welchen Gründen auch immer. Allen gemeinsam ist, dass ihnen etwas Besonderes eigen ist. Dieses Besondere ergibt sich daraus, dass sie wie etwa die Balladen und einzelne Gedichte über Jahrzehnte zum Literaturkanon zählen. Es ergibt sich aber auch aus der getroffenen Zusammenstellung selbst und aus dem Eigenleben, das sie als Auszug aus einem größeren Zusammenhang dadurch zu entwickeln vermögen, weil sie sich hier ein Stückchen weit verselbständigen, so dass sie inhaltlich und sprachlich ihre Kraft und ihren Glanz losgelöst von einem weiteren Kontext entfalten können.
Die Gedichte und Balladen werden ungekürzt wiedergegeben. Sie finden sich zum Teil in einzelne Kapitel eingestreut, wenn sich dies thematisch empfiehlt. Das Kapitel 3: »Vom Pathos zum Alltäglichen, von der Geschichte zur Gegenwart« schenkt ihnen besondere Aufmerksamkeit. Fontane hat bis zu seinem Lebensende Gedichte geschrieben. Verse zu schmieden, gehörte zu seinem Leben. Doch so wie sich seine Prosa im Alter veränderte, veränderten sich auch seine Gedichte. Dies soll hier sichtbar werden.
Die Texte sind in acht Kapitel gegliedert, in die eingeführt wird. Die Überschriften stammen von Fontane, wenn nicht sind sie durch * gekennzeichnet. Zitiert wird nach der Nymphenburger Gesamtausgabe von 1959 ff., die Briefe nach der Gesamtausgabe von Hanser 1976 ff.
Günther Rüther
Vorbemerkung
Fontane veröffentlichte schon als Apotheker-Lehrling seine ersten Texte. In diesen folgte er der Mode der Zeit. Nicht zufällig finden sich darin Anklänge an Eichendorffs Romantik sowie Herweghs und Freiligraths Freiheits- und Einheitspathos. Neben Gedichten, die noch epigonale Züge verraten, entwickelte Fontane aber bereits seinen eigenen Ton, und lässt die Vielfalt seiner dichterischen Ausdruckskraft erkennen. Die Strandbuche weist auf seine Balladen voraus. Die kurzen Prosastücke zeigen, dass der junge Fontane nicht nur als Dichter, sondern auch als Publizist voller Leidenschaft war. Das Gedicht Unterwegs und wieder daheim entstand während seines dritten Englandaufenthalts nach einem Besuch in der Heimat. Es leitet zum zweiten Kapitel, seinen Wanderungen, über.
Frühlingslieder
I.
Der Frühling hat des Winters Kette
Gelöst nach altem, gutem Brauch;
O, daß er doch zerbrochen hätte
Die Ketten unsrer Freiheit auch!
Er nahm das weiße Totenlinnen,
Das die gestorb’ne Erde trug,
Und sieht die Fürsten weiterspinnen
An unsrer Freiheit Leichentuch.
Wird nie der Lenz der Freiheit kommen?
Und werden immer Schnee und Eis
Und nimmer Ketten uns genommen?
Es seufzt mein Herz: Wer weiß, wer weiß?
II.
Der Frühling kam, der Weltbefreier,
Die Erde liebt und grünt und blüht,
Am Himmel keine Wolkenschleier,
Und ohne Wolken das Gemüt.
Die Vögel und die Menschen singen,
Und wie die Lerche himmelwärts,
Will sich empor zur Gottheit schwingen
In Dankgebet das Menschenherz.
O, Herz! Es brach die Frühlingssonne
Des Winters Ketten wohl entzwei;
Wohl ziemt der Erde Dank und Wonne,
Doch bist auch du von Ketten frei?
um 1841, Sämtliche Werke, im Folgenden SW, S. 415 f.
Einigkeit
(bei Gelegenheit des Hamburger Brandes, 1842)
Kein Jubel mehr! die Freude sei bemeistert
Ob deutschen Sinns und deutscher Einigkeit;
Es gilt nicht viel, wenn sich ein Volk begeistert
In unsrer krankhaft-überreizten Zeit.
Was Ihr gesehn – des Mitleids frommes Walten
Erlöst noch lang vom alten Fluch uns nicht,
Und