Alles ist Zufall. Theodor Fontane

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Alles ist Zufall - Theodor Fontane marixklassiker

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oder zu schulmeistern hielt er seinen Zeitgenossen den Spiegel vor. Diese »verantwortungsvolle Ungebundenheit«, wie sie Thomas Mann bezeichnete, erlaubte ihm, die Neureichen wie den sich an seine Privilegien klammernden Adel in die Pflicht zu nehmen und auf ihre gesellschaftliche Verantwortung hinzuweisen. Während dies in seinen Romanen in abwägender, stets vermittelnder Form geschah, die dem vorgetragenen Urteil oder der geäußerten Meinung Raum für Widerspruch ließ und dieser auch formuliert wurde, äußerte er sich in seinen Briefen oft unverblümt über die ihn bekümmernden Zeiterscheinungen. Dabei schonte er weder den Kaiser noch seine Umgebung. Bismarck, den er in mehreren Gedichten würdigte und in seinen Romanen hier und da mit kleinen Episoden einflocht, nahm er einerseits gegenüber Kaiser Wilhelm II. in Schutz, andererseits bezeichnete er ihn als größten Prinzipienreiter und zugleich größten Prinzipienverächter, je nachdem, wie es die politische Situation gerade erforderte. Fontane war kein Bismarckianer, aber er würdigte seine außergewöhnlichen Leistungen als Staatsmann. Dieses Sowohl-als-auch, die Achtung und der Respekt vor dem Alten und die Offenheit und Zugewandtheit gegenüber dem Neuen, wurde zur Partitur seiner »Lebensmusik« im Alter. Sein sich aus Tradition und Geschichtsbewusstsein speisender Konservatismus verband sich hier mit einer zukunftsoffenen Modernität, die dem Wandel der Zeit gerecht zu werden versuchte.

      Die unterschiedlichen Veranlagungen der Eltern und die Umgebung, in die Fontane hineinwuchs, prägten seinen Lebensweg. Sie halfen ihm, schwierige Zeiten zu meistern, führten ihm aber auch oft den Abgrund vor Augen. Schließlich, wenn auch erst in fortgeschrittenem Alter, fand er für sich einen Weg, diese Mitgift produktiv für sich als freier Schriftsteller zu nutzen. In dem Roman Schach von Wuthenow heißt es im Schlusskapitel: »Ein Rest von Dunklem und Unaufgeklärtem bleibt, und in die letzten und geheimsten Triebfedern andrer oder auch nur unsrer eignen Handlungsweise hineinzublicken, ist uns versagt.« So ist es wohl auch. Und deshalb kann diese Einleitung auch nicht mehr sein, als der Versuch einer Annäherung an einen großartigen, in seiner Menschenkenntnis, Beobachtungsgabe und poetischen Kraft herausragenden Schriftsteller.

      Die Auswahl der nachfolgenden Texte spiegelt die literarische und zeitkritische Entwicklung des Autors. Zudem zeigt sie seine Vielfältigkeit und Meisterschaft als Dichter, Schriftsteller, Briefeschreiber und Publizist. Neben sehr bekannten Texten finden sich auch solche, die in Vergessenheit geraten sind oder weniger Beachtung gefunden haben, aus welchen Gründen auch immer. Allen gemeinsam ist, dass ihnen etwas Besonderes eigen ist. Dieses Besondere ergibt sich daraus, dass sie wie etwa die Balladen und einzelne Gedichte über Jahrzehnte zum Literaturkanon zählen. Es ergibt sich aber auch aus der getroffenen Zusammenstellung selbst und aus dem Eigenleben, das sie als Auszug aus einem größeren Zusammenhang dadurch zu entwickeln vermögen, weil sie sich hier ein Stückchen weit verselbständigen, so dass sie inhaltlich und sprachlich ihre Kraft und ihren Glanz losgelöst von einem weiteren Kontext entfalten können.

      Die Gedichte und Balladen werden ungekürzt wiedergegeben. Sie finden sich zum Teil in einzelne Kapitel eingestreut, wenn sich dies thematisch empfiehlt. Das Kapitel 3: »Vom Pathos zum Alltäglichen, von der Geschichte zur Gegenwart« schenkt ihnen besondere Aufmerksamkeit. Fontane hat bis zu seinem Lebensende Gedichte geschrieben. Verse zu schmieden, gehörte zu seinem Leben. Doch so wie sich seine Prosa im Alter veränderte, veränderten sich auch seine Gedichte. Dies soll hier sichtbar werden.

      Die Texte sind in acht Kapitel gegliedert, in die eingeführt wird. Die Überschriften stammen von Fontane, wenn nicht sind sie durch * gekennzeichnet. Zitiert wird nach der Nymphenburger Gesamtausgabe von 1959 ff., die Briefe nach der Gesamtausgabe von Hanser 1976 ff.

      Günther Rüther

1. Der junge Fontane im Freiheits- und Einheitsfieber

      Vorbemerkung

      Fontane veröffentlichte schon als Apotheker-Lehrling seine ersten Texte. In diesen folgte er der Mode der Zeit. Nicht zufällig finden sich darin Anklänge an Eichendorffs Romantik sowie Herweghs und Freiligraths Freiheits- und Einheitspathos. Neben Gedichten, die noch epigonale Züge verraten, entwickelte Fontane aber bereits seinen eigenen Ton, und lässt die Vielfalt seiner dichterischen Ausdruckskraft erkennen. Die Strandbuche weist auf seine Balladen voraus. Die kurzen Prosastücke zeigen, dass der junge Fontane nicht nur als Dichter, sondern auch als Publizist voller Leidenschaft war. Das Gedicht Unterwegs und wieder daheim entstand während seines dritten Englandaufenthalts nach einem Besuch in der Heimat. Es leitet zum zweiten Kapitel, seinen Wanderungen, über.

      Frühlingslieder

      I.

      Der Frühling hat des Winters Kette

      Gelöst nach altem, gutem Brauch;

      O, daß er doch zerbrochen hätte

      Die Ketten unsrer Freiheit auch!

      Er nahm das weiße Totenlinnen,

      Das die gestorb’ne Erde trug,

      Und sieht die Fürsten weiterspinnen

      An unsrer Freiheit Leichentuch.

      Wird nie der Lenz der Freiheit kommen?

      Und werden immer Schnee und Eis

      Und nimmer Ketten uns genommen?

      Es seufzt mein Herz: Wer weiß, wer weiß?

      II.

      Der Frühling kam, der Weltbefreier,

      Die Erde liebt und grünt und blüht,

      Am Himmel keine Wolkenschleier,

      Und ohne Wolken das Gemüt.

      Die Vögel und die Menschen singen,

      Und wie die Lerche himmelwärts,

      Will sich empor zur Gottheit schwingen

      In Dankgebet das Menschenherz.

      O, Herz! Es brach die Frühlingssonne

      Des Winters Ketten wohl entzwei;

      Wohl ziemt der Erde Dank und Wonne,

      Doch bist auch du von Ketten frei?

      um 1841, Sämtliche Werke, im Folgenden SW, S. 415 f.

      Einigkeit

      (bei Gelegenheit des Hamburger Brandes, 1842)

      Kein Jubel mehr! die Freude sei bemeistert

      Ob deutschen Sinns und deutscher Einigkeit;

      Es gilt nicht viel, wenn sich ein Volk begeistert

      In unsrer krankhaft-überreizten Zeit.

      Was Ihr gesehn – des Mitleids frommes Walten

      Erlöst noch lang vom alten Fluch uns nicht,

      Und

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