Mit der Dakota in die Freiheit. Slavomír Michálek
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Am gleichen Tag nahm neben Chile auch das Außenministerium der Vereinigten Staaten Stellung zum Umsturz in der Tschechoslowakischen Republik. In einer formalen und vertraulichen an den Prager Botschafter Lawrence Steinhardt gesandten Information kommentierte das Ministerium zunächst Papáneks Unterfangen in den Vereinten Nationen und verurteilte den Prager Februarumsturz. Darüber hinaus schlug das Ministerium vor, konkrete Schritte zu unternehmen, namentlich die Verhandlungen mit der Tschechoslowakei über das Wirtschaft- und Handelsabkommen und über Kulturfragen abzubrechen, und forderte die sich in der Besatzungszone befindlichen amerikanischen Militärbehörden auf, den nicht kommunistischen Politikern, Beratern, Journalisten und anderen Personen Informationen über die Möglichkeiten einer Ausreise in die amerikanische Besatzungszone zu übermitteln. Desgleichen schlug es vor, die Außenpolitik der Vereinigten Staaten in Bezug auf den Umgang mit der tschechoslowakischen Regierung nach folgenden Prinzipien auszurichten:
Alle amerikanischen Vorhaben sollten mit Großbritannien und Frankreich abgestimmt werden;
mit der neuen tschechoslowakischen Republik sollten nur eingeschränkte diplomatische Beziehungen unterhalten werden;
wirtschaftliche Sanktionen, die zu einer allgemeinen wirtschaftlichen Isolation des gesamten Ostblocks führen sollten, sollten vorbereitet werden;
Kreditausgaben der Weltbank an die Tschechoslowakei sollten verhindert werden;
aufgrund der strategischen Stellung der ČSR, die als Zentrum des Schwer- und Rüstungsindustrie galt, im Ostblock, sollten mit Wirkung ab dem 1. März 1948 Exportlizenzen entzogen werden, um das tschechoslowakische militärische Potenzial zu schwächen.8
Die genannten Maßnahmen des Außenministeriums zeigen deutlich, dass die USA ihre Beziehung zur Tschechoslowakei vor allem als eine politische wahrnahm, und dass diese gleichzeitig durch ihre Position zur Sowjetunion bestimmt war. Eine Bestätigung dieser Annahme liefert ein weiteres Dokument, der an Washington adressierte Geheimbericht Nr. 309 vom 30. April 1948, dessen Autor wiederum Botschafter Lawrence Steinhardt war. Er äußerte darin seine persönlichen Beobachtungen und analytischen Bemerkungen zur Entwicklung in der Tschechoslowakei und verwies auf die innen- und außenpolitischen Hintergründe. So stellte er fest, dass der tschechoslowakische Februarumsturz 1948 bereits im tschechoslowakisch-sowjetischen Vertrag über die Freundschaft und Zusammenarbeit vom 12. Dezember 1943 verankert worden sei. Gleichzeitig vermittelte er einen Blick in die historische Seele des tschechischen Volkes. Er bezeichnete die Tschechen9 als „kleines Volk” inmitten Europas, fasste ihre Genese zusammen, befasste sich auch mit tschechischen Auswanderungswellen, infolge derer es zu einem Verlust der Eliten gekommen sei, sodass sich die Tschechen einem starken Verbündeten hatten annähern müssen. Ihm zufolge spielte Tschechien während des Zweiten Weltkriegs ein doppeltes Spiel und durch die Zuneigung Beneš‘ zu Stalin sei das Schicksal des Volkes besiegelt worden. Edvard Beneš habe durch seine janusköpfige Politik die Tschechen selbst von ihrer Einzigartigkeit überzeugt. Der kommunistische Umsturz sei also nur eine Frage der Zeit gewesen. Die Verantwortung für das Februardebakel schrieb der Botschafter in erster Linie Präsident Beneš zu. Gleichzeitig bemerkte er aber auch, dass die nicht kommunistischen Politiker ebenso eine Teilschuld trügen, weil ihr Zusammenhalt zu schwach und ihre Auffassungsgabe mangelhaft gewesen sei, da sie den Konflikt zwischen den zwei Gegenpolen, dem Kommunismus und dem Nichtkommunismus, nicht erkannt hatten.10 Diese Analyse kann nur Zustimmung finden.
In Bezug auf die US-amerikanische Außenpolitik schlug Steinhardt vor, der neuen Marionettenregierung weder materielle noch moralische Hilfe anzubieten, da dies im Widerspruch zu den Interessen der USA stünde. Um ein unmittelbar drohendes totales Aufgehen des Landes im Kommunismus zu verzögern, schlug er vor, über Rundfunk und andere Medien Propaganda zu verbreiten.11 Der Bericht des Botschafters wie auch die oben genannte Korrespondenz des Außenministeriums der USA schlossen Hilfe der USA für einen Neuaufbau der tschechoslowakischen Demokratie aus.
Andere offizielle Schriftstücke aus den USA, die auf den Umsturz in der ČSR reagierten, stammen aus der Feder politischer Institutionen in Washington. Dazu gehört ein Dokument des Auswärtigen Ausschusses des 80. Kongresses der Vereinigten Staaten, das bereits in der ersten Aprilwoche 1948 im US-Parlament vorgelegt wurde. Dieser Bericht war die erste ausführliche offizielle Information über den Februarumsturz, die durch die USA verfasst und im nachfolgenden Jahr unter dem Titel „Prager Umsturz“ als separater Anhang Nr. 3 der dokumentierenden Akte, die von dem 5. Unterausschuss des Auswärtigen Kongressausschusses unter dem Titel „Strategie und Taktik des Weltkommunismus“ herausgegeben wurde, erschien. Im genannten Bericht ist ausgeführt, dass diese Technik der Machtergreifung ihre Wurzeln bereits in Machiavellis Zeiten habe und der Prager Umsturz, der als „künstliche Revolution“ bezeichnet wurde, dafür ein Idealbeispiel sei.12
Die Autoren des Berichts behandelten auch die Außenpolitik der ČSR. Sie führten an, dass der tschechoslowakische Minister für Auswärtige Angelegenheiten unter dem Einfluss der Sowjetischen Union stand, die den zunächst von Berlin, dann von Frankreich besetzten Platz eingenommen hatte. Sie betrachteten diese Beziehung als logische Folge der historischen Tatsache, dass die sowjetische und kommunistische Politik von 1935–1939 viel positiver bewertet wurde als die in vielen anderen Staaten betriebene Politik. Die daraus gezogenen Schlüsse zeigen, wie groß und langwierig die Auswirkungen schwerer Fehleinschätzungen sein können und wie wichtig es ist, solche Irrtümer zu vermeiden oder, falls sie bereits geschehen sind, zu korrigieren.13
Die Autoren bieten ebenso eine interessante Perspektive auf Präsident Beneš, den sie den „Hüter der Grundsätze des Parlamentarismus“ nennen. Er sei jedoch mit Argumenten von unwiderstehlicher Überzeugungskraft konfrontiert worden. Die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei (KSČ) hatte doppelt so viele Mitglieder wie alle anderen politischen Parteien im Lande. Sie genoss die Unterstützung der Sowjetunion, die ihre Macht entlang der gesamten Landesgrenze ausübte. Die Sowjetunion war auch die einzige Weltmacht, die 1938 nicht in den „Münchner Ausverkauf der Republik“ verwickelt war. Das Offizierkorps der neuen Tschechoslowakischen Armee (ČSA) diente während des Krieges in der Sowjetunion, die Arbeitergewerkschaften wurden durch Kommunisten oder Sozialdemokraten mit prokommunistischer Orientierung geführt und waren im Mobilisierungszustand. Ebenso befand sich die Polizei in den Händen der Kommunisten und war mit Waffen ausgerüstet. Beneš sei machtlos gewesen, und habe den Umsturz so mit seiner Einwilligung versehen und legalisiert.14 Der umfassende Staatsputsch bestand in der Ergreifung der Macht durch eine einzige politische Partei, die mithilfe von legal erlangten Ämtern einige Staatsbehörden zu ihrem Vorteil nutzte, die anderen lähmte und einen Teil der Bevölkerung zu ihrer Unterstützung mobilisierte. Dem anderen Teil verunmöglichte sie es, politisch zu agieren. Das geschah nie vollständiger oder erfolgreicher als in der Tschechoslowakei im Februar 1948.