Agile Organisation – Methoden, Prozesse und Strukturen im digitalen VUCA-Zeitalter. Группа авторов

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am Laufen zu halten (Exploitation), als auch neues Wissen generiert und nach neuen Technologien geforscht wird, um Innovationen hervorzubringen und das Unternehmen zukunftsfähig auszurichten (Exploration) – und das zur gleichen Zeit (vgl. Abbildung 24).142 Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen, die über einen längeren Zeitraum erfolgreich sind, es schaffen, sich kontinuierlich an neue Marktbedingungen anzupassen und zu verändern und gleichzeitig die eigene Identität zu bewahren, indem sie sich auf bestehende Strukturen und Kulturen stützen und diese bewusst reflektieren und weiterentwickeln.143

      Vor diesem Hintergrund haben unterschiedliche organisatorische Ansätze unter einem „Dach“ also nach wie vor ihre Berechtigung. Trotz dieser Erkenntnisse wurden klassische Organisationsansätze in den letzten Jahrzehnten immer wieder abgeschrieben und stehen aktuell mehr denn je im Kreuzfeuer der Kritik.144 Tatsächlich werden aber viele der zentralen Kernaspekte klassischer Organisation nach wie vor angewendet – und auch agile Ansätze bedienen sich an diesen, wie in Kapitel 4.5 aufgezeigt wurde.

      Abb. 24: Organisatorische Beidhändigkeit145

      Die Hartnäckigkeit, mit der sich klassische Ansätze im aktuellen Kontext behaupten, liegt also nur zum Teil an der mentalen Starrheit und der fehlenden Veränderungsbereitschaft von Entscheidern. Es liegt eben auch daran, dass ein gesundes Maß an organisatorischen Regeln und Ordnung sinnvoll ist und sich auch für die Arbeitsteilung und Koordination in komplexen und unbeständigen Umfeldern bewährt. Es gilt: „There is nothing inherently virtuous in agility, or … nothing inherently evil in bureaucracy. They are only tools in the service of a strategy for achieving results.“146

      Arten der Beidhändigkeit

      Es werden meist zwei Ansätze der organisatorischen Beidhändigkeit unterschieden – und vor dem Hintergrund der Wirkungsweise sozialer Systeme wird unten noch ein dritter ergänzt. Bei der strukturellen Ambidextrie finden Exploitation und Exploration in organisatorisch getrennten Strukturen bzw. Organisationseinheiten/ -bereichen statt, was folglich die Herausforderung mit sich bringt, mit durchaus unterschiedlichen Arbeitsweisen, Führungsstilen und Kulturen unter einem Dach umzugehen. ARNDT/METTNER erläutern in ihrem Buchbeitrag am Beispiel der R+V, wie strukturelle Ambidextrie in der Praxis aussehen kann.

      Im Gegensatz zu dieser Form der beidhändigen Organisation, findet bei der kontextuellen Ambidextrie keine strukturelle Trennung von Exploitation und Exploration statt, sondern es wird je nach Kontext bzw. konkreter Aufgabe situativ aus unterschiedlichen Organisationsprinzipien gewählt und nach diesen agiert, was die Beidhändigkeit im Denken und Handeln von jedem einzelnen Organisationsmitglied erfordert. Die Beiträge von STELZMANN/REININGER (TELE HAASE) und FISCHERMANNS (IBO) zeigen, wie kontextuelle Beidhändigkeit in der Praxis funktionieren kann.

      Exploitation und Exploration stehen also nicht im Widerspruch. Wie Stabilität und Wandel bedingen sie sogar einander. Sie befinden sich wie zwei Pole in einem permanenten Spannungsfeld, das es immer wieder neu auszutarieren gilt. Wenn einer von beiden wegfällt, dann gerät die dynamische Balance aus der kontinuierlichen Optimierung des Bestehenden sowie der Innovation in und am System ins Wanken – und das Unternehmen in eine gefährliche Schieflage. Dieses Verständnis ermöglicht es, dass in ein und demselben Unternehmen der Fokus auf der effizienzgetriebenen Vermeidung von Verschwendung, dem fehlerfreien Ablauf standardisierter Prozesse und der kontinuierlichen Optimierung von Prozessen liegt (Exploitation), während zur gleichen Zeit in Experimente und neue Geschäftsmodelle mit ungewissem Ausgang investiert wird und Recruiting betrieben wird, um neue Talente und Kompetenzen zu gewinnen. Diese vermeintliche Paradoxie bzw. diesen Widerspruch gilt es im unternehmerischen Alltag mitzudenken und auszuhalten.147 Denn zum einen ist die Investition in Exploration im engeren Sinne nur möglich durch eine effiziente und wertschöpfende Exploitation. Zum anderen hängt die zukünftige Exploitation und damit die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs maßgeblich von der erfolgreichen Exploration ab, die in der Gegenwart betrieben wird.

      So befindet sich der gesamte Bankensektor aktuell in einem schwierigen Spannungsfeld. Gerade traditionelle Banken, dazu zählen z. B. Privathäuser sowie Sparkassen und Volksbanken, haben mit der andauernden Niedrigzinsphase und den damit verbundenen Margenrückgängen zu kämpfen. Um diese Entwicklungen zu kompensieren, werden beispielsweise Aufgaben und Zuständigkeiten gebündelt, in Beratungs- und Kundencentern zentralisiert und das Filialnetz verschlankt. Damit einher gehen umfangreiche Vorhaben zur Prozessautomatisierung und Standardisierung. Gleichzeitig müssen sich die Banken aber auch neu erfinden und den aufstrebenden Fintechs Paroli bieten, wenn sie weiterhin für Kunden attraktiv bleiben wollen. So hat z. B. die SPARKASSE DÜSSELDORF die sogenannte „netzwerkstatt“ gegründet. In eigens dafür geschaffenen Räumen wird in cross-funktionalen Teams und mithilfe agiler Arbeitsmethoden offen und kreativ an innovativen Produktlösungen und Vertriebsansätzen gearbeitet.148

      Eine eindeutige und trennscharfe Unterscheidung der beiden Ambidextrieformen in der Praxis fällt oft nicht leicht. Das gilt insbesondere, wenn sich Unternehmen gerade in einer Transformation befinden. So lassen sich aktuell unzählige Organisationsvarianten und Spielarten beobachten, die auch als hybride Formen der Ambidextrie bezeichnet werden können, z. B. ausgeprägte agile Einheiten neben Einheiten mit klassisch-hierarchischen Rahmenstrukturen, innerhalb derer die Organisationsmitglieder mithilfe agiler Prozess- und Projektmanagementmethoden netzwerkartig interagieren (vgl. Kapitel 8.6). Es ist aber in den kommenden Jahren zu erwarten, dass der Anteil agiler Organisationselemente weiter zunehmen wird.149

      Für die BMW-Group-IT gilt seit November 2016 das Motto „100 % agile“. Zu diesem konsequenten Schritt hat sich die IT-Führung um CIO KLAUS STRAUB entschieden, nachdem er den Versuch des sogenannten bimodalen Modells der zwei Geschwindigkeiten – das Nebeneinander klassischer und agiler Ansätze – für gescheitert erklärt hatte. Das Ziel war es, bis Ende 2019 alle IT-Projekte auf agil umgestellt zu haben. Eine echte Herausforderung, bedeutete es doch, dass auch die Fachbereichsseite ihre Arbeitsweise ändern musste. Die klassische Projektorganisation und das bisherige Vorgehen in Projekten wurde durch eine agile Produktstruktur mit End-to-end-Verantwortung auf Teamebene ersetzt (vgl. Kapitel 4). IT und Fachbereiche arbeiten gemeinsam an Produkten. Die Konzern-IT erweitert damit den DevOps-Ansatz – die Verschmelzung von IT-Entwicklung (Development) und IT-Betrieb (Operations)150 – und bezieht auch die Fachbereiche konsequent in die agile Arbeitsweise ein (sog. BizDevOps). CIO STRAUB verfolgt damit einen agilen Ansatz, der auf alle Unternehmensbereiche ausstrahlt, mit Auswirkungen auf die gesamte Konzernorganisation und -kultur.151

      Die Transformationen bei BMW insgesamt lässt sich in ihren Ansätzen durchaus in den Bereich der strukturellen Ambidextrie einordnen – eine Phase, in der klassisch-hierarchische Organisationsformen und -elemente (in den meisten Bereichen der BMW Group) weiterhin neben agilen Formen der Zusammenarbeit (insb. in der BMW IT) bestehen, im weiteren Verlauf aber durchaus sukzessive in eine stärker kontextuelle Form der Ambidextrie übergehen können bzw. strukturelle und kontextuelle Beidhändigkeit mischen.152

      Das Festhalten an vermeintlich bewährten Mustern und das Verpuffen vieler mit dem Etikett der Agilität versehenen Initiativen verdeutlichen die Herausforderungen, mit denen viele Entscheider in der Praxis aktuell konfrontiert sind.153 Die oben aufgeführten Praxisbeispiele sowie die weiteren Beispiele in Kapitel 8.6 zeigen, dass für eine synergetische und erfolgreiche Koexistenz unterschiedlicher organisatorischer Ansätze eine Beidhändigkeit vonnöten ist, die nicht nur in Form

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