Agile Organisation – Methoden, Prozesse und Strukturen im digitalen VUCA-Zeitalter. Группа авторов

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Agile Organisation – Methoden, Prozesse und Strukturen im digitalen VUCA-Zeitalter - Группа авторов

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seine Agilität aus klaren Regeln, die sich aus vier verbindlichen Unternehmensprinzipien ableiten: Freiheit, Selbstverpflichtung, Fairness und Waterline. Das Waterline-Prinzip vergleicht das Unternehmen mit einem Schiff, das sich bereits auf hoher See befindet, an dem jedoch ständig weitergebaut wird. Hier ist es wichtig, dass Entscheidungen unterhalb der Wasserlinie, die das Schiff ins Wanken oder sogar in eine existenzielle Schieflage bringen könnten, konsultativ und verantwortungsvoll getroffen und getragen werden. Dabei gelten die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und Eigenverantwortung – die Akteure entscheiden eigenverantwortlich, ob sie sich mit ihren Entscheidungen und Handlungen über oder unter der Wasserlinie befinden.113 Ein Lernprozess, der jedem Mitarbeiter (Associate/Teilhaber) abverlangt wird und nach eigenen Aussagen zwei bis drei Jahre dauern kann, bis man dieses Prinzip verinnerlicht hat.114

      Ebenfalls inspirierend ist das Beispiel des US-amerikanischen Chemieunternehmens WD-40 COMPANY. Hier gilt für die Mitarbeiter bezogen auf ihren Verantwortungsbereich: “I am responsible for taking action, asking questions, getting answers, and making decisions. I won’t wait for someone to tell me. If I need to know, I’m responsible for asking. I have no right to be offended that I didn’t get this sooner. If I’m doing something others should know about, I’m responsible for telling them.”115 Diese Aussage, WD-40 spricht von „Maniac Pledge“ (verrücktes Versprechen), bringt sehr klar zum Ausdruck, welche Freiheiten, aber auch welche Verantwortung mit Selbstorganisation verbunden sind.

      Viele agile Initiativen kranken an einer Überdosis verordneter Selbstorganisation und missverstandener Delegation. Agiles Management bedeutet aber nicht „laissez faire“, Verantwortung einfach zu delegieren und auf Mitarbeiter oder Teams zu übertragen, eine „Open Door Policy“ auszurufen oder ab „jetzt sofort“ auf Dress-Codes zu verzichten. So gesehen ist auch die Selbstorganisation zu organisieren.

      Definierte Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse

      Wenn die Organisation durch die operativen Mitarbeiter (Rolleninhaber) selbst bzw. durch die Mitglieder der agilen Teams – und nicht durch Fremdorganisation einer „höheren“ Instanz – erfolgt, dann ist es für ein effizientes Vorgehen wichtig, dass genau festgelegt ist, wer welche Entscheidungen treffen darf bzw. wie Entscheidungen getroffen werden. Lange Diskussionen mit unklaren Verantwortungen sind weder effektiv noch effizient. Aus diesem Grund gibt es auch in agilen Organisationen definierte Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse.

      Es gibt eine Vielzahl an konkreten Entscheidungsverfahren bzw. -werkzeugen. Einige der Beiträge in diesem Buch gehen auf diese Thematik ein und erläutern die im jeweiligen Unternehmen angewendeten Verfahren (vgl. bspw. HEILER/BORCK, FISCHERMANNS, SCHULLER/FUCKER und TILLMANNS-ESTORF et al.).116 Etwas vereinfacht lassen sich die verschiedenen Entscheidungsverfahren in dem Kontinuum von Abbildung 21 verorten. Auf der einen Seite gibt es Themen und damit Entscheidungen, für die eine Rolle verantwortlich ist und eigenständig und autonom entscheiden kann. Dies ist insbesondere bei operativen Aufgaben sinnvoll, die vielzahlig auftreten, keine weitere Kompetenz benötigen, keinen wesentlichen Einfluss auf andere Rollen haben und vor allem kein Risiko für das Gesamtsystem darstellen. Auf der anderen Seite des Kontinuums stehen Entscheidungen von strategischer Bedeutung für das Gesamtsystem (vgl. auch GORE-Beispiel weiter oben). Hier sind Gruppenentscheidungen im Konsens (alle stimmen zu), im Konsent (keiner hat einen begründeten, schwerwiegenden Einwand) oder nach Mehrheitsregeln möglich. In agilen Teams wird dabei häufig dem Konsentverfahren gefolgt. Wenn keiner einen schwerwiegenden Einwand hat, dann ist es „safe enough to try“, was übersetzt so viel heißt wie: „Wenn es momentan keine nachgewiesenen Einwände gegen diesen Vorschlag gibt, dann hindert uns nichts daran, ihn auszuprobieren.“ Ebenfalls sehr beliebt ist der konsultative Einzelentscheid, bei dem die verantwortliche Rolle oder eine gemeinschaftlich bestimmte Person verpflichtet ist, relevante Stakeholder bzw. Experten zum Thema zu konsultieren und deren Meinung einzuholen.

      Abb. 21: Kontinuum von Entscheidungsverfahren117

      Die konkreten, in agilen Organisationen vorzufindenden Entscheidungsverfahren, lassen sich prinzipiell in diesem Kontinuum einordnen. Entscheidend ist vor allem, dass es definierte Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse gibt und die Entscheidungen dort getroffen werden, wo das dafür notwendige Wissen am größten ist.

      Transparenz

      Eine Grundvoraussetzung für Agilität – für obsessive Kundenausrichtung, ein funktionierendes Pull-Prinzip, autonome Teams, Selbstorganisation usw. – ist es, dass die Rolleninhaber und agile Teams über alle notwendigen Informationen verfügen. Agilität benötigt Transparenz. Transparenz bzw. Offenheit ist die Voraussetzung für Freiheit und Verantwortung in agilen Prozessen und Strukturen.

      Damit Mitarbeiter die Bedeutung und Konsequenzen von Aufgaben und Entscheidungen einschätzen und im Sinne des Gesamtunternehmens sinnvoll eigenständig bearbeiten und entscheiden können, brauchen sie z. B. Transparenz über die strategische Ausrichtung, Priorisierungskriterien, Unternehmens-, Finanz- und Wirtschaftlichkeitskennzahlen sowie sonstige entscheidungsrelevante Informationen. Sichtbarkeit – in Verbindung mit Verständnis – ist eine wesentliche Voraussetzung für die Beseitigung von Problemen. Nur bei einer ausgeprägten Transparenz ist eine kurzfristige Einflussnahme und Anpassung möglich. Daher benötigen die Akteure jederzeit Zugang zu empirischen Informationen über Kunden, Produkte, Preise, wirtschaftliche Indikatoren und Kennzahlen. In agilen Organisationen gilt die Grundregel „transparency by default“ bzw. „open by default“.118 D. h. im Normalfall sind alle Informationen für alle zugänglich. Geheimhaltung gibt es nur in begründeten bzw. zu begründenden Ausnahmefällen.

      Etliche Beiträge in diesem Buch betonen die Bedeutung von Transparenz.119 Bei TELE HAASE beispielsweise wurden in den letzten Jahren vielfältige Informationsgrenzen – nach innen und auch außen – abgebaut und man hat sich ganz bewusst „in die Karten schauen“ lassen (vgl. STELZMANN/REININGER). Denn eine solche Offenheit wird als fruchtbarer Boden für neue Geschäftsmodelle in Zeiten der Digitalisierung betrachtet. Man hat erkannt, dass dann, wenn Menschen ins Gespräch kommen, anstatt sich hinter selbst gebauten Mauern zu verstecken, Dinge ins Rollen kommen und neue, innovative Ansätze entstehen. Auch bei HEILER (vgl. HEILER/BORCK) und IBO (vgl. FISCHERMANNS) wird eine ausgeprägte Transparenz verfolgt. Alle Mitarbeiter wissen über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens immer Bescheid. Gleiches gilt für die Performance und Wirtschaftlichkeit im eigenen Team und Verantwortungsbereich.

      Zur Umsetzung von Transparenz wird bei agilen Organisationsansätzen gerne und intensiv mit für alle zugänglichen digitalen und physischen Kommunikations- und Informationsplattformen gearbeitet. Bei agilen Methoden, wie bspw. Kanban und Scrum (vgl. Kapitel 6), spielen transparente Backlogs und Task-Boards meist eine zentrale Rolle in der Koordination der arbeitsteiligen Arbeit. Es ist wichtig, dass alle wissen, wo man steht, was noch zu tun ist und wie sich die Performance verändert. Bei SIEMENS wird deshalb mit Obeyas (japanisch für „großer Raum“) gearbeitet, in denen alle zentralen Projektinfos visualisiert sind und die Projektmeetings stattfinden (vgl. den Beitrag von KALNIK). Dadurch sind immer alle zentralen Infos für alle transparent und greifbar. Auf diese Weise wird für schnelle Kommunikation und kurze Entscheidungswege gesorgt.120

      Eine solche Transparenz bzw. Offenheit erfordert und fördert ein großes Vertrauen und Zutrauen in die Mitarbeiter (vgl. Kapitel 9). Dies sollte sich in einem hohen Engagement und verantwortungsvollen Mitentscheiden und Mitgestalten niederschlagen. Transparenz ersetzt so in agilen Systemen umfangreiche Kontrollsysteme.121

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