Network. Ansgar Thiel

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Network - Ansgar Thiel

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Fuller erzählte seinen Wellensittichen von Propriozeptiver Neuromuskulärer Fazilitation. Es störte ihn nicht, dass sich die Vögel der Sepiaschale in der Mitte des Käfigs widmeten und seinem Vortrag über diese physiotherapeutische Behandlungsmethode keinerlei Beachtung zu schenken schienen. Er referierte über Exterozeptoren, Telerezeptoren und Propriozeptoren als gäbe es nichts Interessanteres auf dieser Welt.

      Das Schrillen des schwarzen Weckers riss ihn aus seinen Ausführungen. Fuller schüttelte Arme und Beine aus und begann sein tägliches Karate-Training. Mentales Fokussieren nannte er diese Übung. Nach zehn Minuten hörte er auf und trocknete seinen nackten Oberkörper ab, ordnete seine schüttere Frisur und schlenderte ins Wohnzimmer.

      Dort legte er sich auf eine alte Massagebank, befestigte vorschriftsmäßig die Elektroden für die Virtual-Stimulation an Stirn, linker Schläfe und Brustbein und loggte sich ein.

      Fünf Minuten später räkelte sich eine nackte Frau auf der komfortablen Lederliege seiner virtuellen Praxis. Seine Hände wanderten von ihren Fußsohlen hinauf zu den Unterschenkeln. Langsam und gefühlvoll massierte er die wohlgeformten Waden. Die Frau hob ihren Kopf, schüttelte ihr langes schwarzes Haar und schenkte ihm ein aufreizendes Lächeln, was seinen Unterleib zum Kribbeln brachte. Derart animiert ließ er seine Hände mit sanftem Druck über die Oberschenkel gleiten, umkurvte ihre Pobacken, um schließlich mit kreisenden Bewegungen im Lendenbereich zu verweilen.

      Seine Patientin schien die Behandlung zu genießen. Fuller lächelte. Er war ein Virtuose, es gab keinen besseren: Der menschliche Körper war seine Klaviatur. Seine Kundinnen und Kunden schworen auf die sinnliche Magie seiner Fingerspiele. Er war sich sicher, dass er diesen Beruf sogar in der analogen Welt hätte ausüben können, wenn man dort noch Physiotherapeuten gebraucht hätte und nicht das meiste von Servanten erledigt worden wäre.

      Sein Blick fiel durch die Fensterfront seines Studios auf die überwältigende Kulisse der sonnenbestrahlten Berner Alpen – eine Aussicht, an der er sich nicht sattsehen konnte. Jetzt wanderten seine Hände an der Außenseite ihres Rückens empor bis zu den seitlichen Ansätzen ihrer Brüste, die nicht besonders groß, aber perfekt geformt waren. Kundig stimulierte er mit den Fingerspitzen die besonders sensiblen Punkte unterhalb der Achseln.

      Auch wenn ihn der morgendliche Übergang ins Arbeitsleben stresste, liebte er seinen Job. Er stieß einen zufriedenen Seufzer aus, was die Frau dazu veranlasste, sich nach ihm umzudrehen. Beruhigend lächelte er ihr zu. So gut hatte er sich früher nie gefühlt. Er liebte seinen Avatar, er war groß, muskulös, hatte lange, schwarz gelockte Haare, ein markantes Kinn und strahlend weiße Zähne. Die künstlich stimulierten Endorphine, die durch seine Adern flossen, verschafften ihm ein Wohlgefühl.

      Gerade als er sich an die Nackenmuskulatur der Frau machen wollte, richtete diese sich auf. Ihre blauen Augen musterten ihn eindringlich. Er spürte, wie seine Schultermuskulatur verkrampfte. Es fühlte sich alles vollkommen real an, auch das Hämmern seines Herzens. Wo hatte die Frau plötzlich die Pistole her? Und warum zielte sie auf ihn? Und wie konnte es sein, dass sich die Kugel so langsam auf ihn zubewegte und er dennoch nicht in der Lage war, ihr auszuweichen?

      Für einen kurzen Moment zuckte die Erinnerung an eine CNN-Meldung über einen Serienmörder im Netz durch sein Bewusstsein, bevor es um ihn herum schlagartig dunkel wurde.

      Fast-Buy

      30.11.2046

      David Fuller konnte sich nicht daran erinnern, wie lange er bereits durch die Stadt irrte. Sein Zeitgefühl war weg, seine Bewegungen waren ziellos. Bevor er den Mehringdamm überquerte, scannte er mit gehetztem Blick seine Umgebung ab. Er war sich sicher, dass man ihn verfolgte. Er hatte keine Ahnung, wer seine Verfolger waren oder wie sie aussahen, dennoch spürte er dieses Kribbeln im Nacken, als ob ihn jemand beobachtete. Er hatte Angst. Kältewellen durchfluteten seinen Körper und ließen ihn erschauern. Die Passanten, deren Augenkontakt er suchte, schauten eilig weg, als ob er etwas Ekelerregendes an sich hätte.

      Er ging schneller. Das vertraute Logo eines Fast-Buy stach ihm ins Auge. Er hatte Hunger, seit bestimmt 20 Stunden hatte er nichts mehr gegessen. Er öffnete die Tür und ging hinein, an den Security-Servanten vorbei, möglichst unauffällig, deren prüfende Blicke ignorierend.

      Der Fast-Buy war einer dieser vollautomatischen Supermärkte, die dem Kunden minutenschnelles Einkaufen garantierten. Man musste nur am Eingang einchecken, die gewünschten Artikel an einem der zehn Terminals eingeben, die in eine hüfthohe Aluminiumkonsole integriert waren, dann zum gegenüberliegenden Fließband gehen, das direkt an eine Röhrenverbindung zur Artikellagerung angebunden war und ohne Wartezeit mit Bankchip an einer der Kassen bezahlen. Wenn alles funktionierte.

      Er begab sich zum einzigen Terminal, das in Betrieb war. Die holografischen Darstellungen der Virtual-Work-Special-Price-Menüs, wie die staatlich subventionierten Tagesgerichte für die Networker genannt wurden, ließen ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Für einen kurzen Augenblick wurde ihm schwindlig. Er hielt sich mit einer Hand an der Aluminiumkonsole fest. Im Geist summierte er die Ausgaben der letzten drei Tage und überschlug, wie viel Geld noch auf seinem Bankchip war.

      Er kam zu dem Ergebnis, dass es für ein Kartoffelmenü mit Sojageschnetzeltem und ein Joghurtkaltgetränk reichen müsste. Kurz fragte er sich, was wohl passierte, wenn er das Guthaben auf seiner Chipkarte doch ganz aufgebraucht hatte. Sein Hunger war aber so stark, dass er diesen Gedanken gleich wieder verdrängte. Er gab sein Wunschmenü ein und ging zur Zahlstation, wurde zu Kasse eins geleitet und sah, wie die von ihm bestellten Artikel auf das Fließband fielen. Er steckte seine Karte in den Pay-Schlitz und wartete.

      Ein lautes Summen ließ ihn zusammenzucken. Irritiert schaute er sich um, bis er endlich merkte, dass der Alarm an seiner Kasse losgegangen war. Sein Atem beschleunigte sich. Eine neutrale Stimme teilte ihm mit, dass seine Karte gesperrt sei. Fassungslos sank er zu Boden und stützte den Kopf auf seine Hände.

      Vor ein paar Tagen war die Welt noch in Ordnung gewesen, er hatte eine Wohnung gehabt, nichts Besonderes, aber wenigstens war sie seine, er hatte ein Hobby und er ging pflichtbewusst seinem virtuellen Job nach, er war sogar ein richtiger Könner. Und dann eine so schöne Frau als Patientin – die ein Netzmörder war, ihn einfach abknallte und jetzt …

      Leise begann er zu weinen. Wenn er wenigstens gewusst hätte, wie es weitergehen sollte.

      *

      Mia Babic war eine Stunde zu früh. Sie schlenderte den Mehringdamm entlang und versuchte, wieder ein Gefühl für Berlin zu bekommen. Drei Jahre war sie nicht mehr hier gewesen, und es hatte sich einiges verändert.

      An jeder freien Häuserwand prangten digitale Werbebilder. Die meisten kamen vom größten europäischen Konzern, der European Assurance (EA). Wenn man den Anzeigen glaubte, dann brauchte die im Netz arbeitende Bevölkerung nichts dringender als Rentenversicherungsverträge, neue VR-Elektroden mit verbesserter audiovisueller Auflösung digitaler Sinnesreizungen (»für den Networker extra special-priced«, so der Slogan) oder EA-Aktienfonds, »die Fonds mit der besten Rendite seit Menschengedenken«.

      Babic massierte ihre Nasenwurzel. Sie hatte leichte Kopfschmerzen, was nicht nur vom langen Flug, sondern bestimmt auch vom ersten Eindruck herrührte, den ihr Berlin nach der langen Abwesenheit bot.

      Sie war enttäuscht. In den USA hatte sie noch gedacht, die Berichte der New York Times über das Erscheinungsbild der europäischen Großstädte entstammten amerikanisch-ignoranten Fantasien. Doch dem war nicht so. Das Zentrum der Innenstadt, einer der lebhaftesten Touristenmagneten Europas, glitzerte und flackerte. Die Gehwege sahen aus wie geleckt, das Farbenmeer der Reklamelichter suggerierte einen Wohlstand, den es nicht gab, zumindest nicht für alle.

      Hier

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