Rachemokka. Hermann Bauer
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Thomas Korber hatte sich auf einen Platz beim Fenster zurückgezogen, um kurz vor Notenschluss noch ein paar Deutschhefte durchzusehen. Er hatte bei Leopold ein weiteres Krügel Bier bestellt. In letzter Zeit verspürte er wieder mehr Verlangen nach Alkohol. Es schmerzte ihn, dass Leopolds uneheliche Tochter Sabine Patzak nicht mehr bei ihm wohnte.
Korber und Sabine waren einander ohne Leopolds Wissen nähergekommen. Als die Burgenländerin ein Studium in Wien beginnen wollte, hatte Korber ihr deshalb eine Wohngemeinschaft mit ihm angeboten, bis sie eine eigene Bleibe hatte. Das Zusammenleben hatte gut funktioniert. Obwohl ihm Sabine klargemacht hatte, dass es sich dabei um ein Arrangement auf Zeit handelte, hatte Korber bis zum Schluss gehofft, dass sich daraus etwas Dauerhaftes entwickeln würde. Deshalb war nun die Enttäuschung groß, weil sie, wie angekündigt, ausgezogen war.
Er suchte die Schuld bei sich, fragte sich, welche Fehler er gemacht hatte. Er grübelte, ob er, jenseits der 40, zu alt für die Beziehung mit einer 22-Jährigen war. Aber so sehr er auch nachdachte, es nützte nichts. Derzeit waren ihm die Hände gebunden. Das Semester neigte sich, ebenso wie das Schuljahr, dem Ende zu. Sabine würde zu ihrer Mutter nach Halbturn fahren und dort den Großteil des Sommers verbringen. Zwischendurch würde sie sicher noch die eine oder andere Reise unternehmen. Es würde Wochen, vielleicht Monate dauern, bis er sie wieder zu Gesicht bekam. Ob er dann wieder den geeigneten Draht zu ihr finden würde, stand in den Sternen.
Korber trank während des Verbesserns schneller. Wie es aussah, würde er sich in der nächsten Zeit und in den Sommerferien treiben lassen, und das war gefährlich. Nicht erst einmal hatte ihn das Trinken in unliebsame Situationen gebracht. Zunächst jedoch dachte er nicht darüber nach und übte sich in Selbstmitleid.
Seine Arbeit erforderte keine allzu große Konzentration. Deshalb blickte Korber ab und zu auf und schaute, wer zur Tür hereinkam. Gerade bemerkte er eine Frau seines Alters, die ihr dunkelblondes schulterlanges Haar aus der Stirn streifte und einen hilfesuchenden Eindruck machte. Er vermeinte, ihr Gesicht bereits einmal irgendwo gesehen zu haben. Aber wo? Daran konnte er sich nicht erinnern. Sie kam ihm jedenfalls bekannt vor. Da rief sie schon: »Thomas? Was machst du denn hier?«
Jetzt dämmerte ihm, wen er vor sich hatte. »Marion! Was für eine Überraschung«, grüßte er sie. »Eigentlich sollte ich dich fragen, was du hier tust. Wien ist meine Heimat, und du kommst immerhin aus Deutschland. Zumindest haben wir einander dort das letzte Mal gesehen.« Korber kannte Marion Kirchner von seiner Studienzeit in Heidelberg. Das war allerdings schon eine Weile her.
»Entscheidend ist nicht, wo man herkommt, sondern wo man sich im Augenblick befindet«, gab Marion zurück und ging dabei lächelnd auf ihn zu. Sie umarmten und drückten sich fest. »Immer beim Verbessern, was?«, bemerkte sie mit einem Kennerblick auf die Aufgabenhefte.
»Ob du’s glaubst oder nicht, ich bin Lehrer geworden«, gab ihr Korber Bescheid. »Und du?«
»Ich doch auch«, ließ Marion ihn wissen. »Und wie es der Zufall will, unterrichte ich seit zwei Jahren in eurem schönen Österreich, in Korneuburg.«
Korber schüttelte lachend den Kopf. »Wie klein die Welt ist. Magst du etwas mit mir trinken? Das ist mein Stammlokal, quasi mein zweites Wohnzimmer, und Leopold, der Oberkellner, ist mein Freund. Er hat nur gerade hinten bei den Kartentischen zu tun.«
Marion wehrte gleich ab. »Ich habe nicht viel Zeit«, erklärte sie. »Darum wäre es gut, wenn der Ober schnell käme. Ich bin nur da, um einen Tisch für übermorgen Abend zu reservieren.«
»Das kann ich doch machen«, bot ihr Korber an. »Übermorgen bin ich sicher auch hier. Vielleicht kommen wir da zum Plaudern.«
Marion lächelte verlegen. »Ich glaube nicht, dass das geht. Wir sind eine größere Gruppe und haben etwas Wichtiges zu besprechen.« Sie beugte ihren Kopf nun vertraulich zu ihm herab. »Es geht um das Eichendorff-Projekt am Bisamberg«, sagte sie merklich leiser. »Ich weiß nicht, ob du schon davon gehört hast.«
»Klar«, nickte Korber. »So etwas spricht sich schnell herum.«
»Die machen Ernst«, teilte Marion ihm flüsternd mit. »Wir sind der Meinung, dass man die Zerstörung dieses Naherholungsgebietes nicht widerspruchslos hinnehmen kann. Deshalb tun wir uns zusammen.«
»Und warum trefft ihr euch hier und nicht in Korneuburg?«, wollte Korber wissen.
»Die Politiker dort sind Feuer und Flamme für das Projekt«, weihte Marion ihn ein. »Wir wären zu nahe am Feind. Was wir brauchen, ist ein ruhiger Ort, wo wir uns stressfrei unsere Vorgangsweise überlegen können. Das Heller ist für alle Teilnehmer gut erreichbar, und hier vermutet uns keiner.« Sie warf Korber einen besorgten Blick zu. »Du wirst uns doch nicht verraten!«
»Wo denkst du hin?«, wehrte Korber sofort ab. »Ich habe ja auch meine Zweifel, ob da alles mit rechten Dingen zugeht.«
»Dann bin ich beruhigt«, seufzte sie. Marion wirkte aber gar nicht ruhig, sondern ziemlich nervös. Besorgt warf sie einen Blick auf die Uhr. Sie schien wirklich in Eile zu sein.
»Du musst nicht auf Leopold warten«, versicherte Korber ihr. »Wenn du mir vertraust, übernehme ich die Reservierung.«
Marion überlegte. »Das würdest du wirklich tun?«, fragte sie.
»Selbstverständlich! Das ist mein Stammcafé, Leopold ist, wie gesagt, mein Freund, und die Chefin kenne ich auch. Wir machen es auf meinen Namen, da kann nichts schiefgehen«, setzte Korber ihr auseinander. »Sag mir nur, für wann und für wie viele Personen.«
»Wir sind zu zehnt und treffen uns übermorgen um 19.30 Uhr«, gab Marion an.
»Also Donnerstag um 19.30 Uhr, zehn Personen«, notierte Korber sich. »Da wird man euch nach hinten zu den Kartentischen setzen. Um diese Zeit habt ihr dort genügend Platz.«
»Danke«, atmete Marion kräftig durch. »Bitte zu niemandem ein Wort über den Zweck unseres Treffens, das ist sehr wichtig! So, jetzt muss ich aber!«
Korber versprach, dass er alles zu Marions vollster Zufriedenheit erledigen würde. Sie verabschiedeten sich mit einer weiteren Umarmung, ehe sie nach draußen flüchtete. Korber schaute ihr gedankenverloren nach. Selbstverständlich würde er am Donnerstagabend auch da sein. Er hoffte, dass sich trotz der Versammlung eine Gelegenheit ergeben würde, mit ihr ein wenig über vergangene Zeiten zu plaudern. Er erinnerte sich daran, mit ihr in Heidelberg viel Spaß gehabt zu haben. Jetzt wirkte sie ernster und ein wenig gezeichnet von den Spuren vergangener Jahre.
Korber hatte Marion damals sehr gemocht, war aber nie richtig in sie verliebt gewesen. Nun schloss er die Anbahnung einer intensiveren Beziehung nicht aus. Dabei fiel ihm ein, dass sie wahrscheinlich schon vergeben war. Ob sie wohl noch, wie ehedem, den Familiennamen Kirchner trug? Egal. Er speicherte sie vorerst so in seinem Gedächtnis ab. In seiner augenblicklichen Situation suchte er weibliche Nähe, das war das Wichtigste. Er hoffte deshalb, dass sich am Donnerstag etwas ergeben würde.
Als Leopold wieder nach vorne kam, zahlte er und tätigte ohne jeden weiteren Kommentar die Reservierung bei seinem erstaunten Freund. Dann verließ auch er das Café Heller.
Kapitel 2
Dienstag, 29. Juni, abends
Leopolds Lebensgefährtin Erika Haller konnte zufrieden sein. Ihr neues Buch- und Papiergeschäft, das sie vor kurzer Zeit von Herrn Lederer übernommen hatte, lief besser, als sie es erwartet hatte. Thomas Korber