Wassergeflüster. Группа авторов

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Wassergeflüster - Группа авторов

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ich beim Auffüllen der Sandsäcke, doch das reichte mir immer noch nicht. Ich fühlte mich nutzlos und die Atmosphäre vor Ort wühlte mich auf. Wie eigentlich jeder, der sich mit Problemen trägt, landete ich im Internet. Beim Herumgoogeln fiel mir die Seite der Passauer Studenten auf, die via Facebook eine Hilfsaktion für ihre Stadt koordinierten. Warum machten wir das nicht an meiner Hochschule? Und schon war die Idee für all das hier geboren. Über eine Hotline können sich freiwillige Helfer melden und werden dann an Bewohner unserer Stadt, denen unter die Arme gegriffen werden muss, weitervermittelt. Daneben läuft das Meiste über das Internet: Auf unserer Pinnwand bei Facebook melden sich Menschen, die Kleidung übrig haben, oder Menschen, die Schaufeln suchen. Ich lasse meinen Blick schweifen und gähne, aber ich bin nicht der Einzige, der müde ist. Gerade habe ich nachgezählt: Ich bestreite meine fünfundneunzigste Arbeitsstunde in dieser Woche, der ersten Woche unserer Aktion. Es ist für heute bald Zeit, nach Hause zu gehen. Bei dieser einen Woche wird es wohl nicht bleiben.

      Mein Rücken tut weh. Als Student der Wirtschaftsinformatik bin ich es gewohnt, einige Zeit vorm Computer zu verbringen. Doch dieser Zustand ist anders, sonst kommuniziere ich ja auch nicht mit beinahe zehntausend Facebook-Fans. Ich darf nicht auf das Brennen meiner Augen, das Schmerzen meines Nackens und schon gar nicht auf die Hitze im Raum achten. Das hier ist so viel wichtiger als ich, der damals dreiundzwanzigjährige Dominik Fischer.

      Seit Tagen sind wir damit beschäftigt, unter dem Titel Deggendorf räumt auf die freiwilligen Helfer zu koordinieren: Wir schicken sie zu ihren Einsatzorten. Wer benötigt eine helfende Hand beim Ausräumen der Wohnung? Wir wissen es. Überall auf den Konferenztischen rollen Wasserflaschen und Stifte herum. Wir sind insgesamt dreißig Studierende, die planen und organisieren. Wir haben offizielle Bereitschaftszeiten, doch sind wir eigentlich im Dauereinsatz. Sonst studieren wir miteinander. Nun vermitteln wir gut sechstausend Helfer an konkrete Einsatzorte.

      Und es hat eigentlich nur einen halben Tag lang gedauert, die offizielle Anlaufstelle für hilfsbereite Hände von überall her zu werden.

      Sicher, es war ein Vorteil, dass ich sehr früh meinen Kumpel Beppo eingespannt hatte. Wo ich zu schüchtern bin, spricht er ganz locker mit der Hochschulleitung und regionalen Politikern. Mit einem ernsten Gesichtsausdruck brauchte er nur zu sagen: „Wir sind kein Kasperlverein!“ Und schon waren die zufrieden. So ein recht großes Team bedeutete auch für sie Entlastung. Besagtes Team hatten Beppo und ich gemeinsam zusammengerufen – Leute, von denen wir wussten, dass die so ein Vorhaben stemmen können –, und dann brachten die wiederum Bekannte mit. Vielleicht werde ich später sagen dürfen, hier einige gute, neue Freunde gefunden zu haben. Immerhin befinden wir uns nun auf einer Basis, auf der man sich nicht voreinander verstellt. Wir stoßen täglich an unsere Grenzen, das kann schon ganz schön zusammenschweißen. So ein Teamwork wie hier lernt man in den teuersten Seminaren nicht – und auch nicht, wie man die Zähne zusammenbeißt.

      Doch bevor ich nach Hause gehen kann, muss ich erst ein paar andere nach Hause schicken. Ein Blick in das fahle Gesicht einer Mitstudierenden genügt: „Du brauchst eine Pause!“

      Sie seufzt: „Nein, ich muss das hier noch fertig machen.“

      Ich schüttle vehement den Kopf: „Du musst jetzt eine Pause einlegen, sonst kippst du um.“

      Sie seufzt wieder, resigniert aber dann und hört schließlich auf mich. Ich bin einer der Teamleiter hier und fühle mich mittlerweile wie der Chef eines mittelständischen Unternehmens. Da empfinde ich schon etwas Wehmut – natürlich packe ich an, aber wirklich die Finger schmutzig mache ich mir nicht. Ich kenne meine Produkte und meine Mitarbeiter, doch wie kommen die alle da draußen an im Krisengebiet? Bevor auch ich mich auf den Weg nach Hause mache, beschließe ich, morgen mal wieder einen Bezug zu den Dingen vor Ort herzustellen.

      Nach einer kurzen Nacht kehre ich nicht an den Rechner zurück, sondern ziehe mir meine orangefarbene Weste mit der Aufschrift „Team Deggendorf räumt auf“ über. Besser als mit diesem Wort – „Team“ – kann man nicht auf den Punkt bringen, welcher Zusammenhalt in diesen Tagen vorherrscht. Die Menschen kommen von überall her, um anzupacken, nicht nur aus ganz Bayern, sondern auch aus anderen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg. Unser Beitrag zur Fluthilfe ist schließlich, den Helfer gut zu betreuen. Findet dieser online keine Infos, wird er nicht losfahren. Kommt dieser an und findet keine Aufgabe, wird er frustriert sein.

      Viele Betroffene sind überfordert. Ich plaudere mit ihnen, während ich als „Späher“ in Fischerdorf unterwegs bin. Zu Fuß, denn mit dem Auto ist es wegen des ganzen Schutts noch sehr schwierig, voranzukommen. Von meiner gelegentlichen Schüchternheit und Zurückhaltung keine Spur mehr – gewisse Dinge müssen nun einfach erledigt werden. Inzwischen kann man diesen Stadtteil wieder zu Fuß durchqueren, doch es riecht noch immer nach dem braungelben Brackwasser, das alles verschluckt hat, bis hin zu ganzen Verkehrsschildern und natürlich alles, was größenmäßig darunter lag. Obwohl viele Häuser kaum mehr bewohnbar sind, leben noch Menschen dort. Wo sollen sie auch sonst hin? Nun heißt es, das wieder aufzubauen, was die Flut ihnen genommen hat. Doch für viele wird es zu spät sein. Diese beklemmende Atmosphäre mag lähmen, doch uns ist es ein Bedürfnis, etwas dagegen zu tun, die Ärmel hochzukrempeln und das Beste aus einer furchtbaren Situation zu machen. Ich schirme meine Augen vor der Sonne ab, dieser unerbittlich brennenden Sonne.

      Im Angesicht der Flut spürt man Demut. Wenn die Isar von einem ruhigen Gewässer zu einem reißenden Fluss geworden ist und man selbst verschont bleibt, wird einem klar, wie gut es einem geht. Und wie kann man nur ruhig herumsitzen, während andere leiden? Da mag es noch so heiß, und man selbst noch so müde sein. So beschäftige ich mich den Vormittag über damit, per Funk Benzin für Notstromaggregate klarzumachen, Schaufeln, Handschuhe zu besorgen. Als ich in unser kleines Büro zurückkomme, wo die Infrastruktur bestens ist, bin ich frisch motiviert.

      Solche Begegnungen sind wichtiger als die mit VIPs. Vor ein paar Tagen stand plötzlich der Staatssekretär bei uns im Büro, und ich schickte ihn einfach weiter zu einer Kollegin, damit die sich mit ihm beschäftigte – im ganzen Stress hatte ich ihn nicht erkannt. So bin ich auch nicht allzu erpicht auf das Treffen mit dem Bundespräsidenten Joachim Gauck – denn das wird eineinhalb Stunden wertvolle Arbeitszeit füllen. Und das sage ich auch nur so halb im Scherz.

      Natürlich ist sein Lob schon sehr nett, als wir alle im Büro zusammensitzen und es dort sehr eng wird – Platz für die Presse ist da zum Glück keiner. Während es in meinen Fingern nach einem schnellen Statusupdate juckt, wird der Politiker sehr persönlich.

      Er ist ja auch stark couragiert und pusht uns für die letzten Tage – glücklich sei er, dass es, wenn es drauf ankommt, Leute gibt, die nicht abstumpfen. Vor allem junge Leute, bei denen es immer heiße, die lägen nur noch auf der faulen Haut rum, allen voran die Studenten. Er sei stolz darauf, sagt er fast großväterlich, diese Geschichte noch in fünfzig Jahren als mustergültiges Beispiel hernehmen zu dürfen. Beppo guckt ernst, ich reibe mir die Augen. Bald ist es geschafft. Doch dann geht der Trubel weiter, die Prüfungsphase steht uns bevor.

      Oh, und ein weiteres Ereignis kündigt sich in den nächsten Tagen an: Ich werde vierundzwanzig.

      Für eine große Feier hätte ich ohnehin nicht die Energie gehabt, und so machen wir zum ersten Mal das Beste aus dem sonnigen Wetter und setzen uns am vorletzten Tag unserer Aktion abends in den Biergarten. Das ganze Team ist anwesend; es ist wie ein Abschlussessen.

      Mit hintergründigem Blick erhebt sich Beppo, um dem Team zu Ehren eine Rede zu halten. Er redet laut und mit stolzgeschwellter Brust, als er sich für die letzten Tage bedankt.

      „Habe ich richtig gehört?“, erhebt sich in diesem Moment ein Herr vom Nachbartisch, „Ihr habt die Hilfsaktion durchgeführt?“

      Überschwänglich schüttelt er uns nacheinander

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