Theologie im Kontext des Ersten Weltkrieges. Группа авторов

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Theologie im Kontext des Ersten Weltkrieges - Группа авторов Erfurter Theologische Schriften

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gewesen sein, die es auch den Katholiken 1914 leicht machten, ihm in jenen Krieg zu folgen, der zum Ersten Weltkrieg werden sollte. Zwar wurde der Kaiser schon zu Beginn des Krieges politisch zur Randfigur degradiert. Aber propagandistisch stand er noch lange im Vordergrund. Und es erstaunt nicht, dass von katholischer Seite auch ausdrücklich auf Wilhelm II. rekurriert wurde, etwa, wenn der Jesuit Bernhard Duhr (1852–1930) in einer Predigt über den „echten Soldatengeist“ ausführte:

      „Unser Kaiser will fromme Soldaten: Im Jahre 1910 sagte er in weihevoller Stunde zu seinen jungen Gardisten: ‚Vergeßt euren Gott nicht, denn durch den Segen des Allerhöchsten wird euch der Dienst leicht und lernt ihr schwere Stunden überstehen. Scheut euch auch des Gebetes nicht, das einst eure Mutter euch gelehrt hat, denn ich will Soldaten haben, die ihr Vaterunser beten’“24.

      Zweifellos war der Kaiser als Integrationsfigur wichtig, gerade für die Katholiken, die aus ihrer geschichtlichen Erfahrung mit dem preußischen Militarismus eigentlich nichts anfangen konnten.

      Dass die Katholiken sich 1914 so geschmeidig mit dem Krieg arrangierten, war, zumal angesichts der zurückliegenden jüngeren Geschichte, alles andere als selbstverständlich. Hatten sie doch einen vom Protestantismus deutlich verschiedenen Weg durch das 19. Jahrhundert zurückgelegt, auch eine durchaus grundlegend differierende Ansicht über „Religion“ und „Nation“ adaptiert.

      Nur zur Erinnerung: Der erste große „Bruch“ der deutschen Katholiken mit der „Nation“ hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts stattgefunden: Der Untergang der kirchlichen Territorialherrschaften, die „Enteignung“ der Kirche, ihre politische und gesellschaftliche Marginalisierung, im Übrigen auch der Verlust religiöser Heimat durch eine veränderte Landkarte und eine übergestülpte Religionspolitik, machten die Katholiken in den damals entstehenden deutschen Flächenstaaten fast vollständig protestantischer Prägung zu Bürgern zweiter Klasse. Die jahrzehntelangen Emanzipationsbemühungen, das Ringen um kirchliche Freiheit und bürgerliche Gleichstellung, erlebten trotz mancher Erfolge herbe Rückschläge.

      Der deutsche „Bruderkrieg“ mit dem Sieg Preußens, das Ausscheiden Österreichs aus dem Deutschen Bund und die Reichsgründung von 1871 zementierten die inferiore Stellung der deutschen Katholiken. Im evangelisch geprägten preußisch-deutschen Reich stellten die Katholiken nur ein gutes Drittel der Bevölkerung und waren also schon zahlenmäßig in der Minderheit. Dazu kam ihr materielles Zurückbleiben. Auch im Hinblick auf soziale und berufliche Aufstiegschancen konnte von einer konfessionellen Gleichheit keine Rede sein. Es bestanden gesellschaftliche Barrieren und Regulative, die Katholiken bewusst etwa vom höheren Militärdienst sowie vom Staatsdienst fernhielten. Das infolge der Säkularisation entstandene katholische Bildungsdefizit25 verhinderte außerdem ein Eindringen in die akademischen Berufe26.

      Dazu kamen innere Faktoren, die den Katholizismus ins Ghetto führten: Zum einen die antimoderne Ausrichtung der Kirche während des langen Pontifikats Pius‘ IX (1846–1878). Bereits der Syllabus von 1864 wurde als „Fehdehandschuh an den modernen Staat und die moderne Gesellschaft“ gedeutet. Vollends desavouierte das 1. Vatikanische Konzil die Katholiken in den Augen protestantischer, liberaler und sozialistischer Kreise. Hier sprach man von einer offenen Kriegserklärung des Papstes an den neuzeitlichen Staat, die es Katholiken schwer, wenn nicht sogar unmöglich mache, in einer Demokratie oder parlamentarischen Monarchie als loyale Staatsbürger zu leben. Die Katholiken standen in den Augen der protestantischen Bevölkerungsmehrheit unter dem Kommando einer ausländischen Macht, sie waren „national unzuverlässig“.

      Ihre Krönung fand diese Entwicklung in den kurz darauf fast flächendeckend ausbrechenden „Kulturkämpfen“, die die Gegensätze zwischen Staat und Kirche bewusst verschärften. Mithin lässt sich darin ein gesamteuropäischer Weltanschauungskampf sehen, in dem sich die modernen Nationalstaaten und der restaurative Katholizismus – beide mit absolutistischem Anspruch – gegenüberstanden. Eine spezifische Ausprägung erhielt der Kulturkampf in Preußen. Er wurde hier zur Auseinandersetzung zwischen dem Kulturprotestantismus (als ethische Grundlage Preußen-Deutschlands) im Sinne eines „weltlichen“ Christentums und einer sich als societas perfecta verstehenden katholischen Kirche.

      Gleichwohl erlebte der Katholizismus in diesen Kulturkämpfen, die die Kirche mitunter an den Rand des Abgrunds brachten27, eine ungeahnte Stärkung. Bismarck scheiterte. Erst nachdem er die Fehler seiner Kulturkampfpolitik eingesehen hatte und in Leo XIII. (1878–1903) ein moderater Papst mit politischem Weitblick an die Spitze der Kirche getreten war, konnte der schrittweise Abbau der Kulturkampfgesetzgebung erfolgen.

      Die in der Not neu gewonnene innere Stärke des Katholizismus machte den Weg frei für das Heraustreten der Katholiken aus dem Ghetto, ihre Integration ins Kaiserreich und ihre Identifikation mit dem neuen Deutschland28. Die Kranzniederlegung der Zentrumspartei am Grabe 1898 war ein äußeres Zeichen der Bejahung des Reichsgründers und seines Reiches. Kaiser Wilhelm II. bekundete im selben Jahr den Katholiken sein Wohlwollen, als er anlässlich seiner Palästinafahrt dem Deutschen Verein vom Heiligen Lande das Grundstück der Dormitio zur freien Nutznießung überließ29. Wiederholt besuchte der Kaiser die Benediktinerklöster von Maria Laach, Beuron und Monte Cassino. Die Steyler Mission in Südchina stellte er unter das Protektorat des Reiches. Und 1907 betonte er: „Wie Ich keinen Unterschied mache zwischen alten und neuen Landesteilen, so mache Ich auch keinen Unterschied zwischen Untertanen katholischer und protestantischer Konfession. Stehen sie doch beide auf dem Boden des Christentums, und beide sind bestrebt, treue Bürger und gehorsame Untertanen zu sein. Meinem landesväterlichen Herzen stehen alle Meine Landeskinder gleich nahe“30.

      So mehrten sich im intellektuellen Katholizismus die Stimmen, die einen stärkeren Anschluss an die Zeit, einen „zeitgemäßen“ Katholizismus forderten. Wie ein Fanal wirkten in dieser Hinsicht die Bücher Der Katholicismus als Princip des Fortschritts (1897) des Würz burger Theologen Herman Schell oder Katholisches Christentum und moderne Kultur (1906) des früheren Würzburger Kirchenhistorikers Albert Ehrhard (1862–1940). Doch wurden diese Regungen innerhalb der Kirche durch den intransigenten Pius X. und dessen Entourage niedergerungen. Der „Antimodernismus“31 der Jahre nach 1907 wurde zum Desaster, weil er die Kirche innerlich spaltete, nach außen hin aber schwächte. Wieder wurden die Katholiken demonstrativ ans römische Gängelband genommen, in Deutschland aber als antimodern und gesellschaftsfeindlich wahrgenommen, und so in die Defensive gedrängt. Damit war am Vorabend des Ersten Weltkriegs plötzlich das alte „Kulturkampftrauma“, das Gefühl der Minderwertigkeit – trotz zunehmend gelingender Integration ins kleindeutsche Reich – wieder sehr präsent32.

      Es ist verständlich, dass vor diesem Hintergrund die Reaktion der deutschen Katholiken auf den Ausbruch des Krieges nur eine positive, vielleicht sogar eine überzogen positive sein konnte. Der Zeitpunkt schien gekommen, die eigene politische Zuverlässigkeit unter Beweis zu stellen, zu zeigen, dass alles böse Gerede von gestern – die nationale Unzuverlässigkeit der Katholiken, ihre mangelhafte Identifikation mit dem Deutschen Reich – Lüge war. Jetzt schien die Chance greifbar nahe, nicht mehr „Bürger zweiter Klasse“ zu bleiben, sondern die Vollbürgerschaft zu erlangen. Des Kaisers Zusage beim Kriegsausbruch, dass die Reichsleitung von nun an „keine Parteien“ mehr kenne, sondern nur noch Deutsche, nährte denn auch diese Hoffnung und führte bei der Zentrumspartei zur Unterstützung der Kriegsanstrengungen33.

      Dass sich bei Kriegsbeginn die Hoffnungen der Katholiken auf Realisierung der Parität und damit auf einen Erfolg jahrzehntelanger Emanzipationsbemühungen richteten, werte ich als eine katholische Facette der allgemeinen Hoffnung von Intellektuellen, Akademikern und Jugend, die den Krieg begrüßten als Jungbrunnen gegen eine überalterte, verkrustete Gesellschaft.

      Für viele wirkte der Krieg zu Beginn deshalb wie eine Erlösung. „Nun will endlich die furchtbare jahrelange Spannung ein Ende haben. So wirkt der entsetzlichste Krieg wie eine Wohltat. Jetzt hört wenigstens die Heuchelei

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