Theologie im Kontext des Ersten Weltkrieges. Группа авторов

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Theologie im Kontext des Ersten Weltkrieges - Группа авторов Erfurter Theologische Schriften

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und Allbarmherzigen, bewirkt. Und die Daheimgebliebenen? Wann hat man je zuvor solchen Ernst im Lebenswandel, solche Anspruchslosigkeit, solchen Eifer im Guttun wahrgenommen? Wie sehnen sich jetzt die Gläubigen nach den übernatürlichen Kraft- und Trostquellen der heiligen Gnadenmittel der Kirche, wie drängen sie sich täglich am Morgen und am Abend zu den kirchlichen Stätten des Wortes Gottes, des gemeinsamen Gebetes und des heiligen Opfers!“81

      Diese Argumentation wurde auch dann noch aufrechterhalten, als bereits in den ersten Kriegsmonaten ein deutliches Nachlassen der religiösen Betätigung der Soldaten82, ja ein deutlicher Sittenverfall83 zu bemerken war. Der Jesuit Peter Lippert (1879–1936) pries – nach über einem Jahr Kriegserfahrung – geradezu hymnisch die inneren „Errungenschaften“ des Krieges, die vielleicht größer seien als der äußerliche Sieg: Die „Hochspannung des Geistes“, den „rastlosen, unverdrossenen Arbeits- und Opferwillen“, das Aufhören von „Partei- und Bruderzwist“, die Überwindung sozialer und gesellschaftlicher Schranken, die „Kameradschaftlichkeit des ganzen Volkes“, die soziale „Gebe- und Opferfreudigkeit“, die sich allgemein zeige.

      „Als vor vierzehn Monaten das gigantische Ringen anhob, da war es uns, als ob neue Morgenröten aufgingen hinter den Bergen, als ob neue Lebensquellen aufspringen wollten in allen Gründen, als ob neues Geisteswehen herangebraust käme von allen Höhen und Tiefen. Da fühlten wir uns, nach dem ersten ungeheuren und unfaßbaren Eindruck, wie neugeboren. Wir erwachten zu einer neuen Wirklichkeit. Wie wenn ein langer und böser Traum verflogen wäre und frische Morgenwinde uns die von Nichtigkeiten und Narrheiten heißgewordenen Stirnen kühlten. Wir sprachen erstaunt und beglückt von der Wiedergeburt des Volkes, von der politischen, sittlichen, religiösen Wiedergeburt. Und es war nicht alles Täuschung. So lange wir leben werden, wir Zeitgenossen dieses Krieges, werden wir Gott kniefällig zu danken haben, daß wir sie erleben durften, diese Zeit, wo wir unser Vaterland, unsere Seele, unsern Gott neu entdeckten“84.

      Lippert sah allerdings die Gefährdung solcher Errungenschaften und er verband deshalb mit seinem Jubel sehr konkrete Vorstellungen, Erwartungen und Aufgaben an das Volk, vor allem aber an die ganze Seelsorgstätigkeit der Nachkriegszeit. Die gemachten Erfahrungen müssten seiner Ansicht nach auch zu einer Läuterung der Kirche, der Pastoral führen. Alles komme darauf an, „daß eine regelmäßige Seelsorge auch die Bevölkerungsschichten erfasse, die ihr bisher entgangen“ waren, „besonders in den Großstädten“. „Die Sammlung und Betreuung der in besonderem Maße Gefährdeten, der Zugewanderten und der schulentlassenen Jugend“ werde zu einer der dringendsten Aufgaben werden. Lippert forderte eine individuellere Gruppenseelsorge, das Ausschöpfen der liturgischen Möglichkeiten. Die von vielen Feldgeistlichen an den Tag gelegte „außergewöhnliche Rührigkeit, Weitherzigkeit und Entschlossenheit“ müsse weitergehen. Religiöse und liturgische Gebräuche und Gepflogenheiten hätten keinen Wert an sich, sondern müssten angetastet und an die veränderten Zeitverhältnisse angepasst werden. Es müsse ernst gemacht werden mit der gewonnenen Einsicht, „daß die Seelsorgsformen und Seelsorgsmittel für die Menschen da sind, nicht umgekehrt“85. Und dies habe auch Konsequenzen für die Theologenausbildung:

      „Die wohltätige Mischung der Theologiestudierenden und Ordensbrüder mitten unter die Krieger aus den andern Ständen, die von reichem Segen gekrönte Bereitwilligkeit, mit der die Priester das Leben in den Schützengräben, die glühenden Märsche und die kalten Winterfahrten, die Gefahren und Strapazen geteilt haben mit den Regimentern und Divisionen, die ihrer Seelsorge anvertraut waren, all das hat uns aufs neue das Ziel gezeigt, zu dem wir unsere Priesteramtskandidaten erziehen, zum unmittelbaren Leben in und mit dem Volk, zu möglichst lebendiger Berührung mit dem Denken und Fühlen der Volksseele, zu einem gewandten und klug sich anpassenden Verkehr mit Angehörigen aller Stände und Bildungsschichten, vor allem aber zu selbstverleugnendem und opferwilligem Eingehen auf die abgrundtiefen Nöte des Menschenherzens und zu der unermüdlichen und unverdrossenen Arbeitsfreudigkeit und Unternehmenslust, wie sie unserem gesunden und begabten Volk eigen ist, und wie sie in erhöhtem Maße all denen zu eigen sein muß, die unter diesem Volke arbeiten, die dieses Volk führen sollen“86.

       Fremdbilder und nationale Sympathien

      Für die deutschen Katholiken war es ein offen zutage liegendes Dilemma, gegen eine vornehmlich katholische Nation wie Belgien oder Frankreich Krieg führen zu müssen. Dieses Problem wurde in den ersten Monaten in der Öffentlichkeit ausführlich debattiert. Als Hauptargument wurde den Franzosen jede Religiosität abgesprochen87 – verbunden mit dem Vorwurf der „französischen Krankheit“, die vor allem ins Sexuelle zielte88. In Frankreich herrschten stolzer Unglaube, freche Sittenlosigkeit, „maßloses Versunkensein ins Irdische“ und eine grausame Verfolgung der Kirche Christi89. Der Laizismus, die Trennung von Staat und Kirche von 1905, habe schlimme Folgen gezeitigt. Auch sei es „ein trauriges Zeichen für die ‚große Nation‘, daß sie ihre Religionsdiener zum Tragen der Waffe zwingt. Kein Volk der Welt, nicht einmal das wildeste, tut das sonst“90. Jüngste Zeichen einer religiösen Erneuerung seien kaum mehr als eine Inszenierung, um den Heiligen Stuhl für Frankreich einzunehmen91.

      Die Erfahrung mit französischen Kriegsgefangenen ließ die Urteile über die Frömmigkeit der Franzosen allerdings allmählich besser werden. Dass das französische Volk nicht so ungläubig sei, wie es vielfach scheine, sondern nur Opfer eines religionsfeindlichen Staats, wird jedoch ebenfalls zum Argument für den Krieg gewendet: Die deutschen katholischen Soldaten hätten „eine Vorbildfunktion für die Wiederbelebung des Glaubens im Feindesland“92.

      Der Kriegseintritt Italiens, und somit einer weiteren katholischen Nation, forderte die Katholiken im Mai 1915 abermals heraus. Das Rechtfertigungsproblem, gegen die eigenen Glaubensbrüder kämpfen zu müssen, wurde ähnlich gelöst wie hinsichtlich Frankreichs: Man verwies darauf, die eigentlich kriegstreibenden Kräfte seien die antikirchlich eingestellten Enkel Garibaldis, insbesondere aber die Freimaurer, die in Italien eine reale Macht bildeten. Die italienischen Katholiken hätten den Kriegseintritt Italiens hingegen abgelehnt93.

      Aus dem Verhältnis zum anglikanischen Großbritannien ließen sich keine konfessionsspezifischen Argumentationsmuster entwickeln, außer dass für Irland Sympathien geweckt wurden94. Das Zarenreich wurde von Beginn des Krieges an stereotyp als unzivilisiertes Land dargestellt95. Russland habe die katholische Kirche und die Katholiken seit Jahren aufs Schärfste verfolgt96.

      1915 wurden die deutschen Katholiken von „religiöser Seite“ her massiv angegriffen, und zwar durch die von französischen Katholiken verfasste Schrift La Guerre Allemande et le Catholicisme. Unter dem Pro tektor des Pariser Erzbischofs hatten sich 43 Katholiken, unter ihnen zwei Kardinäle und neun Bischöfe, zusammengefunden, um den deutschen Glaubensbrüdern Hochverrat an ihrer Religion vorzuhalten97. Die französische „Kriegsarbeit“ der Theologen wird man nicht nur als Ausdruck eines „Nationalismus“, sondern vor allem als Versuch werten müssen, der Isolation zu entkommen, in die der französische Laizismus die Kirche in Frankreich getrieben hatte. Von daher war die Situation der französischen Katholiken mit jener der deutschen Katholiken in einer Zeit neu aufflackernder Kulturkämpfe durchaus verwandt.

      Zu den Vorwürfen der französischen Streitschrift gehörten: Die „deutsche Kultur“ – von Kant und Hegel, Haeckel und Nietzsche geprägt – sei eine atheistische, heidnische, der katholischen Kirche grundsätzlich feindliche Kultur, roh und barbarisch. Der „deutsche Krieg“ entspringe germanischer Selbstüberhebung, der Verachtung der lateinischen und slawischen Rasse, und verfolge das Ziel, die romanischen Völker, und mit diesen den Katholizismus, auszurotten. Der Krieg sei ein Vernichtungskampf des Protestantismus gegen den Katholizismus, dem die deutschen Katholiken willig die Hand böten. Dies zeige sich vor allem bei der völkerrechtswidrigen Besetzung des katholischen Belgien, bei der es massenhaft zur Schändung von Kirchen sowie zu Gräueltaten an Zivilisten und Geistlichen gekommen sei. Frankreich führe dagegen einen Krieg für das „katholische

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