Theologie im Kontext des Ersten Weltkrieges. Группа авторов

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Theologie im Kontext des Ersten Weltkrieges - Группа авторов Erfurter Theologische Schriften

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die scharfen Anklagen war der deutsche Katholizismus früh herausgefordert, sich mit dem Krieg, den Motivationen, der eigenen Rolle apologetisch – aber notgedrungen auch kritisch – auseinanderzusetzen. Während die deutschen Bischöfe gegen die Angriffe der französischen Kirche Verwahrung beim Hl. Stuhl einlegten100, publizierten katholische Wissenschaftler eine Reihe von Gegenschriften, in denen sie den von französischer Seite angesprochenen Fragen und Problemen nachgingen101.

      Gegen den französischen Vorwurf, Deutschland habe den Krieg gesucht, wandte sich der Freiburger Historiker Heinrich Finke (1855–1938). Jeder kriegführende Staat betone den eigenen gerechten und den ungerechten Krieg des Gegners102, jeder Krieg bezwecke aber Veränderung des politischen Besitzes:

      „Der wahre Angreifer ist, wer diese Veränderung anstrebt. Was wollte nun Frankreich? Es wollte Revanche und Elsaß-Lothringen. Niemand leugnet das in Frankreich […]. Und Russland? Es wollte und will Konstantinopel – Byzanz. […] England wollte kein Land von uns; es wollte aber unsere Flotte vernichten, uns als geschäftliche Konkurrenten schlagen. Und wir und Österreich? Wollten wir mit Gewalt ein Land, das andere in Besitz hatten? Wir wären zufrieden gewesen, wenn man uns in Ruhe gelassen, uns unser Hab und Gut gegönnt hätte. Kaum einer Nation ist es so wie der unsrigen gegeben, ehrlich das Lebensrecht der großen Nationen anzuerkennen, ihre Völkerindividualität und ihre geistige Bildung zu verstehen und gerecht zu würdigen. Gewiß hat hie und da ein unklarer Alldeutscher, ein sogenannter Imperialist, den Wunsch nach einem größeren Deutschland geäußert; in die Denksphäre unserer führenden politischen Kreise sind solche Gedanken nicht gekommen. […] Mehr als 40 Jahre hat es [Deutschland] den Frieden mit den Großmächten gehalten, Friedensstörungen in Europa abgelehnt und auch in den anderen Weltteilen an den zahlreichen Kolonialkriegen sich am wenigsten beteiligt; freilich auch am wenigsten beteiligt bei den Kolonialeroberungen. […] Kein europäischer Staat hat so viele kriegerische Anerbieten im Jahrzehnt von 1894 bis 1905 abgelehnt wie Deutschland. […] Als Russland zu Boden lag, Frankreich noch nicht fest an England gebunden und durch innere Wirren zerrüttet war. Wie leicht hätte ein kriegslustiges Deutschland beide Staaten vereinzelt niederschmettern können auf Menschenalter hinaus! Die deutsche Friedensliebe hat gesiegt. Wie wandelte sich nun aber die Weltlage seit Beginn des Jahrhunderts? Frankreich und Russland sind seit 1891 ruckweise einander nähergekommen. Flottenbesuche, Besuche der Staatsoberhäupter, entzückte Artikel der leitenden Presse über den immer stärker werdenden Drang nach engerer Verbindung kennzeichnen Lage und Stimmung“103.

      England „begann mit dem englisch-japanischen Bündnis von Anfang 1902, ‚diesem unerhörten Schritte einer europäischen Macht‘, die Reihe der mehr oder minder lockern Verbindungen, die England mit verschiedenen Staaten, nur nicht mit Deutschland, anknüpfte, und die, wenn auch nicht in jedem einzelnen Falle, in ihrer Gesamtheit auf eine Einkreisung Deutschlands hinzielten. […] Russland hatte Anfang 1912 den Balkanbund unter seinem Protektorat geschmiedet. Österreich ist ausgeschaltet; die kleinen Staaten warten begierig auf seinen Verfall und streiten schon um Beute. Aus dem seltsamen Verlaufe des Balkankrieges geht das siegreiche Bulgarien stark geschwächt, Serbien gewaltig vergrößert hervor; in Russland findet sein Größenwahn seine Stütze, gegen Österreichs Drohungen weiß es sich geschützt – bis dann die Ermordung des österreichischen Thronfolgers durch serbische Emissäre den Weltenbrand entzündet. Die hier geschilderten Tatsachen sind bekannt. Die subjektive Färbung liegt in ihrer Deutung und Verbindung. Ist sie richtig? […] Als überzeugendes Resultat der bisherigen Darstellung ergibt sich doch wohl das eine, daß Deutschland von seinen Nachbarn eingekreist, isoliert war, gewollt und vollständig. […] Diese beängstigende Isolierung brauchte ja nicht absolut zum Kriege führen; wir konnten uns ja ducken, vorsichtig allen Schwierigkeiten aus dem Wege gehen, wie wir das nach belgischen Zeugnissen ja auch zeitweilig getan haben. Unsere Einkreiser brauchten auch nicht alle und nicht immer den Krieg mit uns im Auge zu haben, unsere Demütigung konnte ihnen ja genügen. Aber alles hat seine Grenzen. Irgend etwas Unvorhergesehenes, eine Katastrophe, mußte den Krieg bringen“104.

      Der französische Versuch, den Krieg als Religionskrieg hinzustellen, als Krieg des protestantischen Deutschland gegen das katholische Frankreich, als Krieg einer religiös degenerierten Nation gegen das wahre Christentum der „ältesten Tochter der Kirche“, wurde von den deutschen Katholiken energisch zurückgewiesen. So betonte Mausbach, die deutschen Katholiken seien „nie Anhänger eines beschränkten Nationalismus“ gewesen105.

      „Man braucht sich gewiß nicht zu wundern, daß in allen kriegführenden Ländern die Katholiken eng mit ihren Volksgenossen zusammenstehen und sich je nach ihrem Temperament von der allgemeinen Kampfstimmung mehr oder weniger hinreißen lassen. Aber neu und unerhört ist es, daß die gläubigen Katholiken eines Landes als solche hervortreten und unter Führung angesehener Kirchenfürsten und Gelehrten die furchtbarsten Anklagen gegen eine andere Nation erheben; schmerzlich und unerträglich ist es für jeden Friedensfreund und Katholiken, daß sie diese Nation, weil sie gegen Frankreich kämpft, vor der ganzen Christenheit als grundsätzlichen Feind aller Sittlichkeit und Religion brandmarken und dabei ausdrücklich die Katholiken des Landes als Mitschuldige hinstellen! […] Wer die Religion als Feldzeichen erhebt und als Waffe gebraucht, um schwankende Freunde aufzurütteln, und den verhassten Gegner desto tödlicher zu treffen, der macht sich verantwortlich für alle entrüstete und zornige Gegenwehr, die bei dem Angegriffenen losbricht und nun gar leicht das heilige Banner in den Staub zieht. […] Inmitten aller Schrecknisse des Krieges war es bisher ein wahrer Trost für jedes fromme und friedliebende Gemüt, daß man bei der eigenartigen Gruppierung der kriegführenden Mächte nicht von einem Religionskrieg sprechen, nicht die finstere Glut eines blutigen religiösen Fanatismus entfachen konnte. Die Verfasser des genannten Werkes haben alles getan, der Menschheit auch diesen Trost zu rauben. Gott sei Dank, die Evidenz der Tatsachen ist zu stark und überwältigend, als daß der Versuch, den Krieg zu einem Religionskriege zu stempeln, gelingen könnte; nie und nimmer wird ein halbwegs vernünftiger Mensch sich einreden lassen, daß in dem von Serbien, Russland, Frankreich und England geführten Kriege ‚der eigentliche Einsatz das Reich Gottes in den Seelen‘ ist!“106.

      Um die Behauptung eines Religionskrieges zu entkräften, ging man auf deutscher Seite auch gegen andere Annahmen vor. So wurde der französische Ehrentitel „älteste Tochter der Kirche“ als Fälschung entlarvt. Der „Katholizismus“ der französischen Kirche wurde auf den Prüfstand gestellt. Um den Versuch einer Spaltung der Deutschen abzuwenden, betonte man gegenüber Frankreich, die Behauptung, die deutschen Katholiken würden unterdrückt, sei völlig falsch. Stattdessen wies man auf die religionsfreundlichen Bedingungen in Deutschland und die Religionsfeindlichkeit des französischen Staates hin. Dabei verkannte man freilich, dass die französischen Katholiken ihrerseits den Krieg als einzigartige Chance sahen, aus der Isolation durch den Laizismus herauszukommen.

      4. Eine katholische „Kriegsprogrammatik“? – Vorschläge eines Theologen (1916)

      Wir haben bisher – keineswegs vollständig107 und auch eher eklektizistisch – Bausteine und auffällige Argumentationsmuster zusammengetragen, die im „katholischen“ Kriegsdiskurs während des Ersten Weltkriegs eine Rolle spielten. Abschließend sei noch beispielhaft zumindest ein Entwurf einer katholischen „Kriegsprogrammatik“ vorgestellt. Er stammt von Ludwig Baur (1871–1943), Professor für scholastische Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen, und erschien 1916 in der Paderborner Zeitschrift Theologie und Glaube108. Baur verfasste seine Gedanken wohl im Herbst 1915 als Feldgeistlicher der 54. Reserve-Division, konnte also – bei ausgewiesener philosophisch-theologischer Kenntnis – auch auf eigene Kriegserfahrungen sowie auf Erfahrungen im Umgang mit den Soldaten zurückgreifen109.

      Baur konstatiert noch für die Kriege von 1866 und 1870 das Fehlen einer eigentlichen „Kriegstheologie“ oder „Kriegsphilosophie“. Die homiletische Literatur – wo man eine solche am ehesten sucht – habe sich nicht wirklich eingehend mit „den durch den Krieg aufgeworfenen Problemen“ befasst.

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