Theologie im Kontext des Ersten Weltkrieges. Группа авторов

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Theologie im Kontext des Ersten Weltkrieges - Группа авторов Erfurter Theologische Schriften

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der Wertabstufung, die es im Licht des Glaubens und der Vernunft gibt, und wonach das Leben und äußerliche Wohlergehen des Einzelnen oder der Völker eben nicht an oberster Stelle stehen, so dass der Krieg auch „nicht der Zusammenbruch der Jenseitsmoral ist, sondern geradezu umgekehrt der Diesseitsmoral“. Das Friedensreich des Erlösers bedeute kein ungestörtes Erdenglück. Das Ziel werde erst im Jenseits erreicht.

      „Die Kirche pilgert unter den Trübsalen der Welt und den Tröstungen Gottes ihrem hohen Ziele entgegen. Sie stellt ihren Kindern eher eine Steigerung als eine Erleichterung ihrer Leiden in Aussicht; sie gibt ihnen aber aus dem Schatze der ‚Tröstungen Gottes‘ eine Festigkeit inneren Friedens, die alles Sinnlich-Faßbare übersteigt“129.

      In diesem Fall und in diesem Sinn kann der Krieg auch Gutes erzeugen, als Erziehungsmittel in der Hand Gottes, der „die Völker zu höherer Innenkultur erziehen“ will,

      „durch das er sie aus der Verstiegenheit ihres Nationaldünkels zur Selbstbesinnung, Selbstkritik, Selbstbescheidung, zur Entwicklung aller in ihnen liegenden Kräfte rufen will, aus der Unzucht zur Zucht, aus der Üppigkeit zur Einfachheit, aus der Kompliziertheit und konventionellen Verlogenheit des Handels und Wandels zur schlichten Wahrhaftigkeit und Geradheit, aus der Frivolität zum demütigen, frommen Sinn, aus der Hingabe an das Zeitliche zum Dienst des Ewigen“130.

      Der Krieg ist in dieser Hinsicht kein Selbstläufer, kein Automatismus. Es ist Aufgabe der Kirche und der Seelsorger, mit Gott dahin zu wirken, dass der Krieg wenigstens diese Früchte zeitigt. Deshalb verweist Baur den Prediger „dringend“ an die Hl. Schrift. Das Predigen mit Schiller, Goethe, Zarathustra etc., wie protestantischerseits so häufig empfohlen werde, habe in der katholischen Homiletik kein Recht131. Bei Verwendung alttestamentlicher Texte mahnt Baur aber an, nicht auf deren sittlicher Höhe stehenzubleiben, sondern die Texte immer im Licht der jesuanischen Botschaft zu lesen und zu ergänzen. So dürften etwa die alttestamentlichen Drohreden nicht ohne weiteres bezogen werden auf die gegenwärtigen, konkreten politischen und militärischen Gegner, denn „das Christentum hat keinen Platz für Gesinnungen, die die Rache herabrufen auf den Gegner“132. Der israelitische Gedanke, dass seine Kriege „Jehowas Kriege“ sind, weil Israel das auserwählte Volk Gottes ist, lasse sich nicht übertragen, ohne sich gegen den Geist des Christen tums zu vergehen.

      Hier erlaubt sich Baur dann doch einige sehr konkrete Hinweise: Was Cromwell und die Puritaner taten, als sie England unter Rückgriff auf das Alte Testament als „das neue Volk Gottes“ betrachteten, als „Land der Vorsehung“, als „Gottesreich auf Erden“, sei unstatthaft. Und mit Recht seien Äußerungen mancher französischer Katholiken zu verurteilen,

      „wenn sie in Verkennung der übernationalen Stellung der christlichen Religion dem französischen Volk eine Sonderstellung vor Gott, eine Vorrechtsstellung vor den übrigen Nationen reservieren wollen und Frankreich als besonders auserwählten Liebling der Mutter Gottes betrachten“133.

      Gegen alle vordergründige Deutung der Vorsehung hält Baur fest: „Gott ist mit dem Recht“, aber diese Gewissheit werde noch einmal geläutert durch die Opferidee des Christentums. Demnach sei „nicht immer der augenblickliche Sieg auf seiten des Rechtes“, es müsse vielmehr oft „mühsam durch Kampf und Leiden und mannigfache Rückschläge hindurchgehen“, könne „gegeißelt, mit Dornen gekrönt, gekreuzigt, begraben werden“. Gottes Fügungen und Führungen verlaufen oft anders „als wir Menschen mit unserem Blick auf Nächstliegende und auf unsere eigenen Interessen es uns denken“134. – Ist darin eine Reaktion auf die militärischen Rückschläge und eine Vorsorge für einen negativen Ausgang des Krieges zu sehen?

      5. Zusammenfassende Thesen und Desiderate

      Der vorliegende Beitrag versuchte, einen Weg der Annäherung an die Frage nach dem „Eigenstand“ der Katholiken im Ersten Weltkrieg zu beschreiten. Dieser Weg führte, von prinzipiellen sowie eher theoretisch-systematischen Vorüberlegungen ausgehend, über eine historische Kontextualisierung der katholischen Bewusstseinslage zu einer gerafften Darstellung der tatsächlichen Faktoren katholischer Kriegsbejahung, die auf publizistischen Erhebungen beruhte, um schließlich in einer „Tiefenbohrung“ einen Entwurf einer einigermaßen „geschlossenen“ katholischen „Kriegsprogrammatik“ vorzustellen.

      Will man ein vorläufiges Resümee ziehen, so könne man Folgendes festhalten:

      1. Die Katholiken zeigten (offiziell) eine Kriegsbereitschaft und Kriegsbejahung, mitunter zunächst auch eine Kriegsbegeisterung, die derjenigen der Protestanten und überhaupt dem gesellschaftlichen Common sense (so es diesen denn überhaupt gab) wohl kaum nachstand. Erklärbar wird dies vor allem aus der jüngeren Geschichte des Katholizismus, die vor allem von einer tatsächlichen Inferiorität und Imparität, von einer nur teilweise erfolgreichen Emanzipation und von dem steten Vorwurf eines mangelhaften oder gar fehlenden Patriotismus geprägt war. Inwieweit es hier Abschichtungen gab, die aber vor allem an dem Bewusstsein dieser Inferiorität festzumachen wären (also: in der Diaspora stärker als in unangefochten katholischen Gegenden, im städtischen Bereich stärker als im ländlichen, im intellektuellen und akademischen Milieu stärker als in Handwerkerkreisen …), ist meines Erachtens noch keineswegs wirklich ausgelotet. Feststehen aber dürfte, dass es – trotz gewisser verbindender Grundgedanken – nicht „die“ Haltung der deutschen Katholiken zum Krieg gab. Auch diese gesellschaftliche Gruppierung, diese Subgesellschaft, war in sich nicht homogen, sondern durchaus plural aufgestellt. Die Fragen, die sich stellen, könnten lauten: Welche Normvorstellungen (die These vom „gerechten Krieg“, vom „Recht auf Verteidigung“, moraltheologische Aussagen etc.) im Hinblick auf den Krieg wurden in den verschiedenen katholischen Milieus gepflegt und propagiert? Gab es „Ausreißer“ (also z.B. extreme Nationalisten, unbedingte Pazifisten …), die sich diesen Normvorstellungen von vornherein und grundsätzlich entzogen?

      2. Es lässt sich im öffentlichen Diskurs ein ganzes Bündel an Motiven der Legitimation und Rechtfertigung auf Seiten der Katholiken eruieren. Nicht alle wird man als konfessionsspezifisch bezeichnen können, manche jedoch waren es bzw. erhielten ihre „katholische“ Färbung und Modifikation. Ob sich, beziehungsweise inwieweit sich eine „Hierarchie“ dieser Legitimationen und Rechtfertigungen ausmachen lässt, vermag ich nicht zu sagen. Ebenso wenig geklärt ist, ob es auf die Dauer des Krieges hin signifikante Verschiebungen gab. Ein Problem stellte mitunter die Kollision nationaler und kirchlicher Loyalitäten dar. Zum einen aufgrund des Kriegs gegen katholische Glaubensbrüder in Frankreich und vor allem Belgien, später auch in Italien. Hier half man sich – gegenüber Frankreich und Italien – mit dem Hinweis auf die „Gottlosigkeit“ oder Laizität dieser Staaten bzw. ihrer Führer (Abgefallene, Freimaurer). Zum anderen gab es einen ernsten Loyalitätskonflikt wegen der päpstlichen Friedensappelle, denen man sich nicht wirklich verschließen konnte oder wollte. Hier half man sich mit Hinweisen, die eher die eigene Hilflosigkeit hervortreten lassen, als wirklich eine Konfliktlösung anzubieten. So etwa, wenn betont wurde, auch Päpste hätten in der Vergangenheit schon Kriege geführt, oder: bei aller Feindesliebe sei es doch legitim, wenn einem die eigenen Volksgenossen näher stünden als die Glaubensgenossen jenseits des Grabens. Nicht zuletzt aber wirkte das Motiv des „gerechten Krieges“, der nicht nur mit „Notwehr“ und „Verteidigung“ untermauert wurde, sondern auch mit dem Fehlen von Annexionsgelüsten auf deutscher Seite sowie einer „gerechten“ Kriegsführung (die allerdings der Überprüfung nicht standhält).

      3. Die Kriegserfahrungen, das Bewusstsein der Gläubigen und die „Kriegstheologie“ der Bischöfe, Priester und Theologen passten nicht zusammen. Das hing nicht nur mit den veränderten Wirklichkeiten zusammen, „auf die das traditionelle theologische und rituelle Rüstzeug nur mehr sehr bedingt passen sollte“135. Die „Kriegstheologie“ war in sich brüchig und höchst ambivalent. Wie konnte ein Krieg als „gerecht“ bezeichnet werden, in dem so viel Ungerechtigkeit vorkam? Wie konnten Gott als „Mitstreiter“ und seine Vorsehung es zulassen und wollen, dass Kirchen und Klöster zerstört

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