Anleitung für Simulanten. Gisbert Roloff
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Das fängt schon bei den Babys an. Bereits mit sechs Monaten können sie Weinen gezielt als Mittel einsetzen, um Aufmerksamkeit und Zuwendung zu bekommen. Bewusst eingesetztes Weinen kann abrupt unterbrochen werden - Sie haben das schon viele Male erlebt –, wenn das Kind kontrollieren will, ob sein Weinen auch beachtet wird. Unsere unschuldigen Kleinen können ihr Verhalten sehr gut modifizieren, je nachdem, wie die Erwachsenen darauf reagieren.
Und wer lacht nicht über die Pseudoblödheit von Felix Krull (alias Horst Buchholz), der mit seiner gut einstudierten Nummer wehruntauglich geschrieben wurde? (Einen Auszug aus dem berühmten Roman von Thomas Mann finden Sie im Anhang.) Und über Jack Lemmon und Tony Curtis, die in Billy Wilders unsterblicher Komödie Manche mögen’s heiß (siehe Kasten auf der nächsten Seite) in Frauenkleidern der Mafia entkamen? Und so weiter und so fort.
Täuschen und Tricksen macht schlau
Was bringt es nun, das Täuschen und Tricksen, wenn man sich die Evolution ansieht und zunächst darauf verzichtet, ein moralisches Problem daraus zu machen?
Der Soziobiologe Trivers formuliert hierzu eine ebenso überraschende wie einleuchtende Antwort. Täuschen führt zu immer besser entwickelter Intelligenz. Denn wer täuscht, um dem Fressfeind zu entkommen, wird sich häufiger fortpflanzen können als derjenige, der sich fressen lässt. Und gleichzeitig zwingt der Trickser den Fressfeind, seinerseits ausgefuchstere Strategien der Jagd zu entwickeln, sonst kann er sich weder ernähren noch fortpflanzen. Und wer den Artgenossen täuscht, um sein Futter oder sein Weibchen zu ergattern, hat wiederum bessere Chancen, zu überleben und Nachkommen zu zeugen.
Gerade bei sozial lebenden Tieren – zu denen auch das Menschentier gehört - bedeutet dies, dass nicht nur der körperlich Starke, sondern auch der besonders Gewitzte sich und seine Gene durchzusetzen weiß. Und wer die Geschichte menschlicher Sozietäten betrachtet, wird schnell bemerken, dass die Alphatiere längst nicht mehr die körperlich Stärksten sein müssen; an die Spitze rücken die, die tausend und einen Trick beherrschen.
Auf niederer animalischer Ebene sorgt das Gesetz vom Fressen und Gefressenwerden für die Entstehung nützlicher Varianten.
Flucht in Frauenkleidern
Sie haben Billy Wilders Film „Manche mögen’s heiß“ noch nicht gesehen? Dann sollten Sie sich diesen Genuss bald gönnen. Denn allein den letzten Dialogsatz „Nobody is perfect“ wird man für immer im Gedächtnis behalten. Die Story ist schnell erzählt: Zwei Musiker werden unfreiwillig Zeugen eines Mafia-Massakers. Sie fliehen aus Chicago in Frauenkleidern und schließen sich einer Damenkapelle an, die in einem Hotel in Florida aufspielt. Tony Curtis und Jack Lemmon sind die männlichen Helden mit Lippenstift, Ohrringen und Strapsen. Und Marilyn Monroe singt im tiefsten Dekolleté, das Sie sich vorstellen können. Nur ein hauchdünner Schleier bedeckt den damals weltberühmten Busen. Ein Reigen der Täuschung beginnt, und wer da wen austrickst, macht das Hauptvergnügen dieses Komödienklassikers aus. Mehr wird nicht verraten…
Auf der Ebene der höheren Hirnleistungen fördert Täuschung die Entwicklung intellektueller Fähigkeiten – sowohl bei den Getäuschten als auch bei den Täuschern. Untersuchungen an Affen und Kleinkindern zeigen übrigens einen engen Zusammenhang zwischen Täuschung und Intelligenz. Je aufgeweckter zum Beispiel ein Baby ist, um so mehr täuscht es auch.
Simulation, simulieren
Der Begriff Simulation kommt aus dem Lateinischen und bedeutet: Heuchelei, Verstellung, Vorwand, Schein, Täuschung. Das dazu gehörige Verb simulieren steht für: ähnlich machen, darstellen, abbilden, nachbilden, nachahmen, vorgeben, heucheln, vorspiegeln, so tun, als ob.
In der medizinischen und psychologischen Fachsprache bedeutet simulieren das Vorgeben einer Beeinträchtigung. Wird eine vorhandene geringfügige Störung übertrieben, spricht man dagegen von aggravieren, aus dem Lateinischen für etwas schwerer machen. In beiden Fällen soll ein Vorteil ergattert und/oder einer Verantwortung aus dem Weg gegangen werden.
In der Alltagssprache spricht man je nach Kontext von: schwindeln, mogeln, flunkern, schummeln oder kohlen, aber auch von Camouflage oder kaschieren. Immer soll damit gesagt werden, dass jemand aus zweckdienlichen Gründen mehr oder weniger von der Wahrheit abweicht.
Beispiele:
Eine Krankheit vortäuschen, um die Schule zu schwänzen, Gerichtsverfahren zu vermeiden, die vorzeitige Verrentung durchzusetzen und vieles mehr.
Fazit und Trost: Täuschen macht auf Dauer schlau, und zwar den Täuscher wie den Getäuschten.
Dissimulation, dissimulieren
Das lateinische Herkunftswort dissimulatio bedeutet Verkleidung, Maskierung, Verstellung, Schein, Verheimlichung. Das Verb dissimulare steht für unähnlich machen, unkenntlich machen.
In der medizinischen und psychologischen Fachsprache bezeichnet Dissimulation das absichtliche Herunterspielen oder Verbergen von Beeinträchtigungen, um für gesund und einsetzbar gehalten zu werden. In der Rechtsprechung kann es auch darum gehen, die Kenntnis von Verbrechen und/oder die Mittäterschaft herunterzuspielen, um nicht zur Verantwortung gezogen zu werden.
In der Alltagssprache bedeutet dissimulieren: sich verstellen, etwas verbergen, etwas verheimlichen, um sich Vorteile zu verschaffen.
Beispiele :
Ein Kind verschweigt seine Halsschmerzen, um an der Klassenfahrt teilnehmen zu dürfen. Ein Berufskraftfahrer verheimlicht einen epileptischen Anfall, um seinen Arbeitsplatz zu behalten. Homosexuelle Politiker, Sportler, Geistliche präsentieren der Öffentlichkeit eine „normale“ sexuelle Identität und verbergen ihre tatsächliche sexuelle Orientierung.
Kapitel 2: Die große Promi-Parade
All die Täuschereien und Tricksereien, die wir bei Tieren (und kleinen Menschlein) belachen oder gar bestaunen, werden beim erwachsenen Homo sapiens schnell zu Steinen des Anstoßes. Denn spätestens seit dem Verhaltenskatalog des Ägyptischen Totenbuchs, der Verkündigung der Zehn Gebote im Alten Testament und dem Regelwerk des Konfuzius gilt im Morgenland wie im Abendland: Du sollst nicht lügen, betrügen, falsch Zeugnis geben, Weib und Besitz des anderen begehren. Und genau diese Regeln brauchen wir, weil das Hirn des Menschentiers im Zuge der Evolution ein reichhaltiges Repertoire des Täuschens und Tricksens entwickelt hat und seine Möglichkeiten zum intelligenten Problemlösen gern auch in den Dienst des Lügens und Betrügens stellt.
Wir kennen es aus dem Alltag nur zu gut: Jede Form von Täuschung provoziert passende Abwehrstrategien, die dann wiederum konterkariert werden müssen. Denken Sie nur an all die kleinen Betrügereien, die im Zeitalter von Faxgeräten, Kreditkarten und Internet möglich sind und dann zu immer ausgeklügelteren Techniken der Überwachung führen müssen.
So verfügt denn auch der Gesetzgeber, dass Universitätsexamen und andere Abschlüsse nicht erschwindelt werden dürfen, dass man nicht mit falschen Titeln protzen darf, dass man nicht befugt ist, sich ein Amt anzumaßen, dass Versicherungsbetrug, aber auch Steuervergehen unter Strafe stehen, desgleichen das Fälschen von Pässen sowie der eigenen Identität.
Selbstverständlich