Beruf Bäuerin. Susann Bosshard-Kälin
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Wenn ich so auf mein Leben zurückschaue, habe ich dieses Bild vor Augen: Ich lebte in einer Gemeinschaft mit sieben Menschen und sass mit meinen fünf Kindern im Zug. Mein Mann jedoch stieg nie zu uns in den Familienzug. Er stand all die Jahre draussen, abseits. Aber der Zug konnte nicht stillstehen, musste weiterfahren …
Ich bin eine einfache Bäuerin, aber eine Geschiedene. Religiös und geschieden, das passt nicht. Bis dass der Tod euch scheidet, gelobte ich doch damals, als wir heirateten. Dass der Papst jetzt gegangen ist, beflügelt mich. Wenn die Gesundheit sagt, ich kann nicht mehr, dann muss man gehen. Bis dass der Tod euch scheidet! Nein, ich mochte nicht mehr. Ich konnte nicht mehr.
Als ich in der Klinik war, wusste ich, du kannst nie mehr heim. Und sogar der Pfarrer dort riet mir: «Loset Si, es ist nicht Gottes Wille, dass ein Partner krank wird in einer Ehe.» Aber die katholische Kirche goutiert Ehescheidungen nicht. Ich bin eine Verstossene. Das kann doch nicht Gottes Wille sein, oder?
Von meinem Mann höre ich nichts mehr. Nach der Scheidung sagte er: «Du bist für mich gestorben!» Bis dass der Tod euch scheidet …
Wäre ich nicht Bäuerin gewesen und hätte mit meinen Kindern privat in einer Wohnung gelebt, hätte ich meinen Mann nach der Scheidung weggeschickt. Aber «nur» als Frau des Bauern und als Schwiegertochter hatte ich kein Recht, auf dem Hof zu bleiben. Nach 24 Jahren musste ich gehen. Ich hielt es nicht mehr aus. Wurde sehr krank. Bis dass der Tod euch scheidet! Während vieler Jahre sagte ich mir: «Wart noch ein wenig. Wirf nicht gleich die Flinte ins Korn!» Ich weiss, es braucht ja in einer Partnerschaft für alles zwei. Aber wenn einer sich nie in Frage stellt, wird es mit der Zeit enorm schwierig.
Es brauchte grösste Verzweiflung zu gehen. Definitiv zu gehen. Ich bin nicht kopflos gegangen, habe jahrelang das Dafür und das Dagegen sorgfältig abgewogen. Schade ich den Kindern, wenn ich bleibe, oder schade ich ihnen, wenn ich gehe? Als der Jüngste in der Lehre war, spürte ich: «Nun hab ich meinen Dienst getan. Mehr muss ich nicht tun.» Den entscheidenden Schritt wagte ich aber immer noch nicht.
Die Kinder sind glücklicherweise alle gut geraten. Und sie sagen mir: «Muäti, mach, was dir guttut.» Keines würde mir je einen Vorwurf machen, dass ich von meinem Mann weggegangen bin. Und ich sage meinen Kindern: «Ihr habt es nicht einfach gehabt. Wenn ihr merkt, dass euch etwas schadet, müsst ihr es sofort ändern. Mit 80 noch zu sagen, ihr hättet eine schlechte Jugend gehabt, bringt nichts. Holt euch Hilfe!»
Jahrelang schaffte ich irgendwie den Spagat zwischen meinem Mann und den Kindern. Gegen aussen spielten wir heile Welt. Ich sagte mir, wir sind eine Familie, wir müssen einander helfen. Ich machte den Vater nie schlecht vor den Kindern. Das Traurige ist, ich sah den guten Kern in ihm nie. Er schaute weder nach rechts noch nach links, nahm mich und die Kinder kaum wahr. Er erzählte wenig von seinem eigenen Leben. Er ist in sich selbst gefangen. Ich will ihn auch heute nicht schlecht machen, innerlich habe ich mich mit ihm versöhnt. Es ist doch so: Er hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Jemandem vergeben zu können, ist das A und O im Leben. Nur so habe ich eine Chance, gesund zu bleiben.
Wenn ich ehrlich bin: Bereits am Hochzeitstag fühlte ich, dass es schwierig werden würde mit uns beiden.
Dabei erlebte ich eine wunderbare Kindheit in einer liebevollen und harmonischen Familie. Ich bin während der Seegfrörni am 29. Januar 1956 im Kantonsspital Luzern geboren. Mueti erzählte später, sie habe aufpassen müssen, dass ihr erstes Töchterchen nicht erfriere. Wir lebten damals mit meinen zwei älteren Brüdern in der Wohnung ihres Schwagers im Dorf Vitznau – und die Heizung war nicht eben erstklassig. Vater war Bahnwärter bei der Rigi-Bahn, aber im Herzen ein Bergler, der Bergbauernsohn vom Eselberg. Mit seinen sieben älteren Brüdern war er auf 1200 Meter über Meer mit Sicht auf den Vierwaldstättersee aufgewachsen. Seine Mutter starb, als er fünf Jahre alt war. Das hat ihn geprägt. Später war er lange Zeit Knecht auf einem Hof in Inwil. Dort lernte er unsere Mutter kennen, die damals Magd war. Mutter hätte den Hofbauern heiraten können, aber sie entschied sich für das Chnächtli, meinen Vater. Als junges Paar kamen die beiden nach Vitznau und Vater zur Rigi-Bahn. Aber das Bäuerische blieb ihm lieb, genauso wie meiner Mutter, die eine Bauerntochter war.
Mit meinen fünf Geschwistern hatte ich es gut. Zwei meiner Brüder sind ganz Wilde – einer wurde Unspunnen-Steinstösser und der andere «Chranz-Schwinger». Meine Kindheit in Vitznau, mit einer Menge Kindern in der Umgebung, war einfach und unbeschwert. Wir hatten eine tolle Gemeinschaft, und mit der Cousine im gleichen Haus verband mich viele Jahre lang eine grosse Freundschaft. Vater hatte neben seiner Tätigkeit bei der Bahn über Jahre einen kleinen Betrieb mit Mastschweinen, die er in einem Vitznauer Stall einquartierte. Das Gwäsch holte er von den Hotels ab und kochte das Ganze vor dem Verfüttern auf. Beim Campingplatz hatten wir zudem Land zum Emden gepachtet. Wir Kinder bekamen dort die ersten Bikinis zu Gesicht. Vater hat dieses lockere Leben auf dem Campingplatz immer verpönt. Er fand, Baden und Schwimmen, das mache man nicht. Das Leben dieser Touristen war gar nicht das unsere. Und ich fand es komisch, dass es meinen Eltern nicht passte.
Das Heimet auf dem Eselberg liess Vater nicht los. Das Land war weit oben am Berg und nur mit einer einfachen Seilbahn erreichbar. Als sein Bruder dort eine Wirtschaft baute, das Restaurant Hinterbergen, zog es Vater ebenfalls dahin zurück, wo er aufgewachsen war. Ich war 16 Jahre alt und ging noch in die Sekundarschule, als meine Eltern mit dem Hofbau begannen. Die Bäume wurden am Berg oben gefällt und das Holz in der Sägerei meines Onkels gesägt. Das andere Baumaterial, auch der Zement, wurde mit der Seilbahn raufgebracht. Unvorstellbar! Meiner Mutter fiel es schwer, mit ihren mittlerweile sechs Kindern so weit weg vom Dorf zu ziehen. Aber sie hat sich nie beklagt.
Meine Mutter ist meine grösste Lehrmeisterin. Sie konnte alles. Kochen, flicken, stricken, gärtnern – und sie schaffte und krampfte zeitlebens. Mutter war für meinen Vater seine Frau und sein Mueti. Ich sage heute: Mueti hat dem Dädi trabantälät – sie hat ihm einfach jeden Wunsch von den Augen abgelesen und alles für ihn gemacht. Ich weiss, sie liebten sich und hatten eine harmonische Ehe. Obwohl Mutter eigentlich die Magd blieb, wie zu Gotthelfs Zeiten. Noch mit 90 Jahren sagte sie: «Ich wollte es nie anders, ich bin glücklich.» Während der Bauerei auf dem Eselberg kochte Mutter im Dorf unten und liess das Ganze mit dem Bähnli hinaufziehen – für die Arbeiter und meinen Vater. Sie hatte aber auf dem Berg viel zu tun. Meine drei kleineren Geschwister gingen noch in Vitznau in die Schule. Als Ältestes der Mädchen machte ich mit ihnen Schulaufgaben, wusch die Wäsche, bügelte und half, wo nötig. Ich stand schon früh in den Schuhstapfen meiner Mutter. Aber wir waren bald alle sehr glücklich auf dem Oberberg – und ich bin heute noch stolz, eine von dort oben zu sein!
Nach den neun obligatorischen Schuljahren war es selbstverständlich, dass ich ins Haushaltlehrjahr ging. Was für eine andere Welt, wenn auch nur wenige Kilometer von daheim weg, in Küssnacht! Die Frau des Hauses war im Schwyzer Kantonsrat engagiert, Präsidentin des Müttervereins, Bäuerin und Mutter von sieben Kindern. Eine emanzipierte Frau. Für sie war es ideal, eine Lehrtochter zu bekommen, die selbständig arbeiten konnte. Mir gefiel der grosse Bauernhaushalt, und ich blühte richtig auf. Beim Abschied sagte die Lehrmeisterin: «Du warst das zehnte Lehrmädchen – und das beste von allen.» Eine ihrer Töchter arbeitete im Spital Cham als Hilfsschwester. Ein Traum für mich! Aber eine Lehre traute ich mir damals noch nicht zu. Ich erhielt jedoch auf der Männerabteilung bei Schwester Alfonsa für ein Jahr Arbeit als Hilfsschwester. Herrliche Monate, in denen ich viel lernte, glücklich war, viel Verantwortung übertragen bekam und meine beste Freundin fand, Rita Buholzer. Das Bauernmädchen aus Hohenrain wollte im Jahr darauf an die Bäuerinnenschule ins Kloster Fahr. «Kommst du mit?», fragte sie mich.
Vater fand, im Spital würde ich zu wenig lernen, und so übernahm ich bald in einem noblen Haushalt in Sempach die Stelle als Haushälterin. Der Hausherr, ein Bildhauer, hatte zehn Kinder von drei Frauen – zwei waren ihm gestorben, und mit der dritten hatte er schliesslich noch sieben Kinder. Das Jüngste kam auf die Welt, als ich dort im Dienst war. Ich hatte immer acht