Geist & Leben 1/2021. Verlag Echter

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Geist & Leben 1/2021 - Verlag Echter

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als Jesus in Betanien ankommt. Damit wird sichergestellt, dass ein Scheintod ausgeschlossen ist. Das jüdische Trauerritual ist voll im Gang; sieben Tage lang werden im Judentum (bis heute) die Trauernden von ihren Angehörigen und Freund(inn)e(n) besucht, die damit ein wichtiges Werk der Nächstenliebe verrichten (vgl. etwa Ijob 2,11.13). Jesus ignoriert diese Pflicht der Freundschaft und Pietät jedoch auf irritierende Weise: Als er hört, dass Lazarus krank sei, wartet er noch zwei Tage, bis er nach Betanien aufbricht (Joh 11,6); es wirkt fast so, als wolle er sichergehen, dass Lazarus auch tatsächlich stirbt. Den Jüngern teilt er – für sie rätselhaft – den Grund seines merkwürdigen Verhaltens mit: Durch den Tod des Lazarus soll der Sohn Gottes verherrlicht werden (11,4).

      In Betanien sind die beiden Schwestern Maria und Marta. Maria ist zu Hause bei den Angehörigen, die sie trösten. Es ist zu vermuten, dass dieser Trost im Zuspruch der Hoffnung auf die Auferstehung der Toten besteht, an die die Juden pharisäischer Richtung zurzeit Jesu glaubten. Mit dieser Vorstellung ihres Glaubens läuft Marta Jesus entgegen; sie macht ihm jedoch zunächst Vorhaltungen: „Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben.“ (Joh 11,21) Jesus tadelt sie nicht, sondern geht auf sie ein und führt sie Schritt für Schritt von ihrem Glauben an die „Auferstehung am letzten Tag“ zu einer völlig neuen Glaubenserkenntnis: Die Auferstehung findet nicht in der Zukunft statt, sondern jetzt, im Angesicht Jesu! Kein dramatisches Geschehen, in dem die Toten von Gott aus den Gräbern gerufen werden, sondern eine Begegnung mit einem, der sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“. „ICH BIN“ – eine Aussage von großer Souveränität und Freiheit. Das hat im Alten Testament schon einer gesagt, ein für alle Mal. „Ich bin, der ich bin“ – das war Gottes Selbstvorstellung an Mose (Ex 3,14). Und nun steht Jesus da und sagt das über sich selbst!

      Dieses Ich-bin-Wort Jesu in Joh 11,25 f. ist das Zentrum der Erzählung: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben.“ Auferstehung und Leben erklären sich gegenseitig und beide bedeuten dasselbe: Lebensverbindung mit Jesushier und jetzt, im Glauben an ihn. Der „jüngste Tag“, der hier der „letzte Tag“ genannt wird, ist für das Johannesevangelium also dort, wo Jesus ist. Dieses „geistliche Leben“ ist für das Evangelium das eigentliche Leben, das den irdischen Tod gewissermaßen „überlebt“ und diesem Tod eine fast nebensächliche Bedeutung zumisst. Welch gewaltige Herausforderung angesichts eines Toten, der bereits vier Tage im Grab liegt! Die Situation, die das Johannesevangelium zeigt, ist also ungemein vielschichtig und spannend: Da steht eine Trauernde vor Jesus; der Tote liegt in „Riechweite“ in seinem Grab. Und Jesus sagt ihr gerade nicht, dass der Tote auferstehen wird, sondern dass er selbst, Jesus, die Auferstehung und das Leben ist, und dass der irdische Tod angesichts dieser Realität seine Bedeutung verliert. Als Marta diesen Glauben bekennt, ruft Jesus den Toten aus seinem Grab!

      Lazarus, der Gestorbene, kommt heraus, „seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt, und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt“ (Joh 11,44). Wie soll man sich dieses Herauskommen vorstellen? Schwebend? Sackhüpfend? Diese absurde Vorstellung weist darauf hin, dass es um eine ganz andere Art der Auferstehung gehen muss. Warum überhaupt erweckt Jesus den Lazarus, der ja nur aus dem Grab kommt, um ein zweites Mal zu sterben? Der Evangelist lässt die Mörder ja bereits im Hintergrund agieren (Joh 12,10). Darf Jesus das einem Freund wirklich antun? Jesus hat seinen Jüngern bereits gesagt, warum er dieses tief verstörende Zeichen vollbringt. Er wird es später für Marta wiederholen: „Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen?“ (Joh 11,40) Die „Herrlichkeit Gottes“ bezieht sich im Johannesevangelium jedoch nicht auf die Auferweckung des Lazarus, sondern einzig auf den Tod und die Auferweckung Jesu. Also macht Jesus gewissermaßen an Lazarus vor, was der Vater an ihm, Jesus, tun wird. Er bereitet seine Freund(inn)e(n) damit auf die Erschütterung seines Todes und die noch größere Erschütterung seiner Auferstehung vor, die große Glaubensprobe, die noch vor ihnen liegt. Die Erweckung des Lazarus ist gewissermaßen die Hauptprobe der Auferstehung Jesu! Das Evangelium betont stark die innere Erregung und Erschütterung, die Jesus vor dem Grab des Freundes ergreift, so dass er sogar weint (Joh 11,33–38). Dies ist sicher ein Zeichen für seine menschliche Liebe zu Lazarus und seinen Schwestern. Doch im Grunde richtet sich seine zornige Erregung gegen die Macht des Todes, die die Menschen im Griff hat und die zu brechen Jesus antritt. So stellt das Evangelium seinen Leser(inne)n nicht die Frage: Glaubst du, dass Jesus Lazarus aus dem Grab geholt hat? Die Frage lautet vielmehr: Glaubst du, dass Gott diesen Jesus, der für Lazarus und alle seine Freund(inn)e(n) in den Tod gegangen ist, auferweckt hat? Und dass deshalb der Tod auch nicht das letzte Wort über dein Leben ist?

       Dominik Arenz | Köln

      geb. 1981, Dr. theol., Referent in der Schulabteilung des Erzbistums Köln

       [email protected]

       Widerstand aus der Liebe

       Zum 125. Geburtstag des Jesuitenpaters Henri de Lubac

      Am 20. Februar 1896, vor 125 Jahren, wurde Henri Marie-Joseph Sonier de Lubac, der spätere Jesuitenpater, Theologieprofessor, Konzilsperitus und Kardinal, in Cambrai geboren. Am 4. September 1991, vor 30 Jahren, starb er in Paris. Dazwischen liegen 95 Jahre Theologie und Leben. Beides gehörte für de Lubac eng zusammen, wuchs er doch in einem Milieu auf – sowohl seitens des Elternhauses, als auch durch seine jesuitische Schulausbildung –, das von Katholizität und sozialer Verantwortung geprägt war. Und in dieser Einheit entwickelte er – reichlich inspiriert durch christliche Denker von den Kirchenvätern bis hin zu den Philosophien Maurice Blondels oder Gabriel Marcels – eine Theologie, die sich in der Zeit bewährt und zu Aufbrüchen der Theologie im 20. Jahrhundert geführt hat.

      Glauben aus der Liebe – so übertitelte Hans Urs von Balthasar ab der zweiten Auflage seine Übersetzung des Erstlingswerks de Lubacs, Catholicisme, um den Impetus des Werks zwischen Glauben und sozialer Verantwortung ins Wort zu bringen. In Analogie sei dieser Beitrag mit Widerstand aus der Liebe überschrieben, weil der „geistliche Widerstand“ (résistance spirituelle) de Lubacs zur Zeit des Vichy-Regimes aus der Liebe zum Nächsten, zur Kirche und v.a. zu Christus erwächst. Als Erinnerung an die Person und das Wirken Henri de Lubacs soll im Folgenden dieser Widerstand aus der Liebe skizziert werden. Er ist beispielhaft für seine zugleich mystische, soziale und eschatologische Theologie, die alle Bereiche der menschlichen Existenz umgreift.

       Ideologischer Ernstfall: Antisemitismus und Nationalsozialismus

      Am 22. Juni 1940 unterzeichnet Frankreich bei Compiègne den Waffenstillstand mit Hitlerdeutschland. Maréchal Pétain handelte diesen Waffenstillstand aus, der den Franzosen die Teilung ihres Landes in eine von Deutschen besetzte Zone im Norden und eine unbesetzte Zone im Süden auferlegte. In der unbesetzten Zone, die sich von Vichy und Lyon bis zum Mittelmeer erstreckte, wurde er Regierungschef des so genannten État français und beendete damit die Dritte Republik Frankreichs. Das so genannte Vichy-Regime unter seiner Führung stand den Deutschen nahe, was sich z.B. an der Verschärfung antijüdischer Gesetze schon im Oktober 1940 und im Juni 1941 zeigte. Hier beginnt die Formierung des Widerstands.

      Für Henri de Lubac und viele andere Jesuiten mit ihm, v.a. Pierre Chaillet, Gaston Fessard und Yves de Montcheuil, war die Zeit der Besatzung Frankreichs der existentielle und ideologische Ernstfall ihrer Verantwortung als Christen – existentiell, weil das Leben vieler Mitbürger(innen) sowie dann auch ihr eigenes verfolgt und bedroht war, ideologisch, weil der soziale und universelle Charakter der Theologie, die gottgegebene Würde jedes Menschen und das Band der Einheit zum

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