Geist & Leben 1/2021. Verlag Echter

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Geist & Leben 1/2021 - Verlag Echter страница 6

Geist & Leben 1/2021 - Verlag Echter

Скачать книгу

Leben Jesu in Nazareth, auf jene Zeit, da Jesu göttliche Identität nur Maria und Joseph bekannt war. Über die Zeit danach ist wenig bekannt. Beatrix erkrankte zu Weihnachten 1267 und starb am 29. August 1268.

       Das Milieu der Beginen

      Beatrix gehört neben Hadewijch zu den ersten, die in Europa Mystik in ihrer Volkssprache schreiben. Leider ist nur ihr Werk Sieben Arten der Minne (Seven manieren van minne) erhalten. Diese mystische Literatur in Mittelniederländisch entstand nicht aus dem Nichts. Ihr Nährboden war eine ältere spirituelle Bewegung, mit dem Fürstbistum Lüttich als Kerngebiet. Ein kurzes Zitat aus einem um 1175 (also 25 Jahre vor Beatrix’ Geburt) geschriebenen Brief des Lütticher Priesters Lambert (1131–1177) – mit dem Zunamen „li Bègue“ – an Papst Callixtus III. vermittelt einen ungefähren Eindruck. Lambert war nicht „Gründer“ der Beginen, spielte aber sicher eine bedeutende Rolle in dieser spirituellen Bewegung im Fürstbistum Lüttich. Der Brief handelt über das religiöse Leben einer großen Gruppe von Laiengläubigen aus Lüttich: „Ich sah, wie sie sich fleißig und oft in der Kirche versammelten, mit größerer Hingabe beteten als ich, sich sehr würdig und ehrfurchtsvoll verhielten und bestrebt waren, das Wort Gottes zu hören und es so gut wie möglich zu halten. Sie waren betroffen, als der Körper und das Blut des Herrn auf dem Altar dargebracht wurden, nämlich als der Herr des Universums erneut für sie litt. Ihre Tränen und Seufzer zeigten ihre Emotionen an – so sehr, dass es manchmal vorkam, dass ich, als ich mit einem Herz aus Stein am Altar stand und die offensichtlichen Zeichen von so viel Zuneigung und Hingabe sah, fühlte wie mein Herz schmolz, als mein Geliebter auch durch sie zu mir sprach. Was soll ich über die von Herzen kommende Reue des Herzens, die Fülle der Tränen, die Ehrfurcht und den Respekt sagen, mit der sie normalerweise den Körper und das Blut unseres Herrn empfangen haben, ohne den Aufruhr und die Verwirrung der Menschen?“

      Ganz offensichtlich: Lambert ist fasziniert. Die Intensität und Ernsthaftigkeit, mit der diese Menschen ihren Glauben leben, ihr Gebetsleben und ihre Ehrfurcht vor der Eucharistie bewegt ihn. Er selbst als Priester stand mit einem steinernen Herzen (vgl. Ez 36,26) am Altar. Er sah ihre Hingabe und fühlte, wie dabei sein Herz schmolz (vgl. Hld 5,6 Vulg.). Sein Geliebter – das ist Gott – sprach durch diese Gläubigen zu ihm. Sie hatten somit eine vermittelnde Rolle zwischen Gott und ihm. Das ist überraschend: Würden wir nicht das Gegenteil erwarten?

      Dieser Text ist aufschlussreich hinsichtlich der spirituellen Bewegung im Fürstbistum Lüttich. In dieser Umgebung lebten Beatrix und ihre Familie. Es handelt sich um eine Laienbewegung, die anfangs sowohl Männer als auch Frauen umfasste. Einige Jahrzehnte später teilen Vater Bartholomäus und zwei seiner Söhne die gleiche spirituelle Inspiration wie Beatrix, Christina und Sybille – Männer wie Frauen. Im Zentrum dieser Bewegung stand die gelebte Beziehung zu Gott, insbesondere die Eucharistie, der „Treffpunkt“ von Gott und Mensch schlechthin. Trotz des eucharistischen Fokus spielten die Ordinierten darin in gewisser Hinsicht eine untergeordnete Rolle. Mehr oder weniger im gleichen Zeitraum entstanden ähnlich unorganisierte, spirituell und radikale Gruppierungen in Umbrien.

       „Sieben Arten der Minne“

      Beatrix’ Traktat ist genial. Der Text zählt nicht, wie man vermuten könnte, sieben aufeinanderfolgende Stufen des spirituellen Lebens auf, bei denen der jeweils vorherige im nächsten Schritt hinter sich gelassen wird. Die Struktur des Textes besteht aus drei Diptychen, denen eine Einführung vorausgeht. Die Einführung ist die „erste Weise“. Die folgenden sechs Weisen bestehen aus drei paarweise angeordneten Textteilen, die jeweils dieselbe Realität aus zwei verschiedenen Perspektiven der Erfahrung in den Blick nehmen.

      Nach Gottes Bild und Ähnlichkeit

      Die „erste Weise“ beschreibt, worum es im gesamten Traktat geht: um das dem Menschen eingeschriebene Verlangen, nach dem Bild und der Ähnlichkeit dessen zu leben, für den die Seele geschaffen wurde. Dieses Verlangen entspringt der Liebe und ist auf die Würde, auf die Reinheit und auf die Freiheit des Menschen bezogen. Damit gibt Beatrix einen wichtigen Interpretationsschlüssel. Der Hinweis auf „Bild“ und „Gleichnis“ von Gen 1,26 hatte eine sehr spezifische Bedeutung für ihre Zeitgenossen – oder zumindest für diejenigen, die eine spirituelle Ausbildung erhalten hatten. Beginnend mit Origenes und Irenäus wird angenommen, dass der Mensch selbst kein Bild Gottes ist, sondern dass der Mensch „nach“ – das heißt „entsprechend“ – Gottes Bild geschaffen wurde. Das wahre Bild Gottes ist Jesus Christus. Nach dieser Auffassung wurde der Mensch bei der Schöpfung „nach dem Bild Gottes, das Christus ist“ mit der Absicht geformt, dass der Mensch diesem Bild ähnlich werden sollte. Beatrix geht es somit um den Ausgangspunkt und um das letzte Ziel des Menschen: als Person zu leben und zu lieben. Dieses zeigt sich in ihrem Kern als Sehnsucht nach wahrer Gemeinschaft mit Christus. Aber was bedeutet das? Davon handeln die folgenden „Weisen“.

      Lieben ohne Maß und ohne Lohn

      Die „zweite Weise“ besteht darin, ohne Maß und ohne Lohn zu lieben, jenseits jeglicher menschlicher Berechnung. Hier liegt Beatrix ganz auf der Linie eines Bernhard von Clairvaux. Wahre Liebe zu Gott basiert nicht auf Ökonomie. Sie ist reine, unentgeltliche Liebe. Die „dritte Weise“ ist dann sozusagen Kehrseite dieses Wunsches. Denn dem Menschen wird bald klar, dass es jenseits seiner Fähigkeiten liegt, Gott auf diese Art zu lieben. Der Mensch kann nicht so frei und maßlos lieben, wie er es gerne möchte und auch sollte. Sein diesbezügliches Versagen ist unvermeidlich. Dennoch: Der Wunsch besteht weiterhin. Wer einmal etwas von dem Wunsch nach echter Liebe erfahren hat, kann sich nicht mit einem Weniger zufriedengeben.

      Gottes Initiative

      Die „vierte Weise“ beschreibt nun die unerwartete mystische Erfahrung. Während im zweiten und dritten Weg der Schwerpunkt auf dem lag, was der Mensch von sich aus in Liebe tut und tun will, beschreibt Beatrix jetzt, wie Gott die Initiative ergreift. Der Mensch erlebt unerwartet, ohne etwas getan zu haben, eine große Nähe zu Gott. Gott selbst lässt den Menschen unerwartet seine Nähe fühlen, obwohl der Mensch dies in keiner Weise selbst erreichen konnte. Deshalb hat er es nicht erwartet.

      Die „fünfte Weise“ ist jetzt die Kehrseite dieser Erfahrung. Die Erfahrung der Gegenwart Gottes erzeugt in der Seele eine stürmische Sehnsucht. Der Mensch hat eine Liebe verkostet, die er nicht für möglich hielt und die im Gegenzug ein unersättliches Verlangen nach Liebe hervorruft. Die Intensität des Verlangens ist Reflex auf das vorangehende Eintauchen in die Liebe Gottes, das in der mystischen Erfahrung zuteil wurde.

      Die „sechste Weise“ beschreibt die Erfahrung, vollständig in Gottes Leben aufgenommen zu sein, und die Erkenntnis, dass allein Gottes Liebe am Werk ist. Hier entdeckt der Mensch seinen innersten Adel: die Freiheit der Liebe, wie sie in Gottes Leben erfahren wird. Die „siebte Weise“ ist wiederum die Kehrseite ein und derselben Realität. Es ist der grenzenlose Wunsch, definitiv mit Christus zusammen zu sein und in vollem Umfang an seinem göttlichen Leben teilhaben zu können. Die Beziehung zwischen Gott-Vater und Gott-Sohn besteht darin, sich ständig gegenseitig und gänzlich zu geben. Wenn der Mensch daran teilhaben darf – und damit erlebt, „Sohn im Sohn“ zu sein –, dann wünscht er sich nichts weiter, als sich so vollständig wie Christus als Sohn dem Vater geben zu können. Das ist allerdings kein Endpunkt, an dem alles zum Stillstand kommt, im Gegenteil: Gottes Leben und des Menschen Teilhabe daran sind das Leben schlechthin.

       „Minne“

      Die Bedeutung dieses Wortes ist in den letzten Jahrzehnten breit debattiert worden, insbesondere im Zusammenhang mit Hadewijchs Werk. Aus dem oben Gesagten können wir einige Antwortelemente zusammenführen. Zunächst bezieht sich das Wort minne bei Beatrix und Hadewijch auf die Liebe zwischen Gott und dem Menschen. Zwischenmenschliche Liebe kann natürlich auch im Mittelniederländischen mit diesem Wort bezeichnet werden – denken wir etwa an die profane „Liebesdichtung“ –, aber unser Text beschäftigt sich mit der Liebe zwischen

Скачать книгу