Weltdistanz und Menschennähe. Michael Lohausen

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Weltdistanz und Menschennähe - Michael Lohausen Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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(Kritik) inhaltlich zu den wiederkehrenden Elementen, so dass sich als Grundgerüst für das Geschichtsverständnis ergibt:

      (a) Konstitutionszeit13 (ca. 1770—1800): Es ist allgemein üblich geworden, den Ausgangspunkt auf ein griffiges Ereignis zu legen – nämlich die Etablierung der Pastoraltheologie als Fach an den österreichischen Universitäten14 – im Bewusstsein des Sachverhalts, dass damit nicht die Reflexion auf die kirchliche Praxis überhaupt erst eingesetzt hat, sondern ‚nur‘ ihr akademischer Prozess. Der aufgeklärte Absolutismus in Österreich (‚Josephinismus‘), die davon bestimmte Bildungspolitik und die durch Franz Stephan Rautenstrauch (1734—1785) in die Wege geleitete Studienreform sind feste Bestandteile an diesem universitären Gründungsmythos. Das Fach hat von da her fundamentale Impulse bekommen (beispielsweise eine wissenschaftstaugliche Systematik).15 Es ist demgegenüber allerdings immer wieder problematisiert worden, dass die Pastoraltheologie dadurch viel zu sehr in die Abhängigkeit von politischen Zielsetzungen gerutscht ist bzw. von Anfang an überhaupt nur als ein Instrument zur Staatskonsolidierung konzipiert worden war, so dass eine „Vermittlung von kirchlicher Glaubenstradition und der biographisch strukturierten Lebenserfahrung des einzelnen“16 nicht stattfinden konnte. Die Interpret_innen dieser Gemengelage haben aber auch eine wichtige Weichenstellung vorgenommen: (Die Rekonstruktion der) Fachgeschichte ist im Wesentlichen Universitätsgeschichte.

      (b) Vergewisserungszeit (ca. 1800—1830): Die Veranschlagung der zweiten Phase hängt mit der These zusammen, dass die formalistische bzw. pragmatische Fachorientierung bei den Aufklärungsvertretern gewissermaßen von selbst eine inhaltliche Abstützung nachträglich herausgefordert hätte17 oder dass die krisenhaften Zeitumstände (Säkularisation) eine derartige Ergänzung und Rückversicherung über die theologische Mitte der Pastoraltheologie notwendig gemacht hätten.18 Johann Michael Sailer (1751—1832) ist die zentrale Figur in diesen Überlegungen. Er nimmt eine Stellung zwischen Innovation und Stabilisierung ein. Es fällt dabei das Argument ins Gewicht, dass der starke Bibelbezug bei Sailer die kritisch-prophetische Komponente in der Pastoraltheologie, die einer Instrumentalisierung durch von außen kommende Herrschaftsambitionen bzw. -verlockungen prinzipiell etwas entgegenzusetzen hat, deutlich zum Vorschein bringt.19 Es macht sich für die Geschichtsinterpret_innen aber andererseits auch die Schwierigkeit bemerkbar, dass „[es ihm] [b]ei aller Bibelkenntnis … [nicht gelang], die gesellschaftlich wie theologiegeschichtlich abgestützte Kleruszentrierung der Seelsorgspraxis zu überwinden“20 bzw. dass er genau durch die theologische ‚Aufladung‘ von traditionellen Rollenzuschreibungen einer „Fokussierung der pastoralen Reflexion auf die Pfarrer“21 noch Vorschub leistete.

      (c) Wissenschaftszeit (ca. 1830—1930): Es handelt sich dabei um einen außerordentlich heterogenen Abschnitt in der Fachgeschichte, aber man kann einen gemeinsamen Nenner daran festmachen, dass währenddessen die großen Auseinandersetzungen um die Arbeitsform der Pastoraltheologie stattfanden.22 Anton Grafs (1811—1867) aus der Tübinger Schule kommendes Konzept einer, Wissenschaft von der sich selbst in die Zukunft erbauenden Kirche‘ markiert dabei den ersten Meilenstein und nach der Mehrheitsmeinung wegen der darin enthaltenen traditionskritischen Implikate gleichzeitig auch den vorläufigen Höhepunkt in der Theoriebildung.23 Die Erläuterungen zu den sich daran anschließenden Abläufen tragen in der Regel entweder summarisch den Charakter einer Gegenaussage, dass ‚die Kirche‘ bzw. ‚die Pastoraltheologie‘ (als Kollektivsubjekt) die bis zu diesem Zeitpunkt gewonnenen Errungenschaften wieder aufgegeben hätten,24 oder beziehen sich auf ausgewählte ‚Graf-Antipoden‘ – Joseph Mast (1818—1893), Michael Benger (1822—1870), – um die Rücknahmen individuell festzumachen.25 Die Entwicklungen in der Wendezeit vom 19. zum 20. Jahrhundert bekommen dadurch Reklerikalisierung, Entwissenschaftlichung, ‚neuer Pragmatismus‘26 u. ä. als Sammelbezeichnungen aufgedrückt – eine Etikettierung, die sicher nicht aus der Luft gegriffen ist, aber in der Pauschalität doch nur sehr eingeschränkt zu erkennen gibt, welche Herausforderungen für das Fach und die Klerusausbildung im Ganzen mit der dynamisierten, moderner werdenden Gesellschaft verbunden waren (vgl. Kap. 2 und 3).

      (d) Reorganisationszeit (ca. 1930—1960): Die relativ kurze Phase im Vorfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils rückt vor allen Dingen als Wiederanknüpfung an Grafs Konzeptionsanstöße in den Fokus.27 Die Aufbruchsphänomene am Anfang des 20. Jahrhunderts (Bibel-, Liturgie-, Jugendbewegung) und ein in Wandel geratenes Kirchenverständnis (‚mystischer Leib‘ statt Rechtsgebilde) bildeten demzufolge das Klima, in dem ein pneumatologischer Denkansatz, die Aufsprengung einer blickverengten Amtsträger-Theologie und eine ökumeneinteressierte Wissenschaftsauffassung neu aufgegriffen und transformiert werden konnte – zum Beispiel auf die „Mitverantwortung der Laien“28 hin. Constantin Noppel (1883—1945), Linus Bopp (1887—1971) und Franz Xaver Arnold (1898—1969) treten als Hauptrepräsentanten dieses Umschwungs „[v]on der Technologie zur Theologie“29 in Erscheinung.30 Die Überzeugung, dass das Zweite Vatikanische Konzil eine fundamentale Zäsur im Geschichtsablauf darstellt und so etwas wie das Initialgeschehen der Gegenwart bedeutet, wird nicht nur inhaltlich,31 sondern schon ganz äußerlich sichtbar: Es wird mit diesem Ereignis das nächste Kapitel aufgeschlagen.32 Eine neue Zeitrechnung fängt an.

      Ein solches Phasenmodell hat den Vorteil, leicht eingängig zu sein, aber es steht auch in der Gefahr, zum eingefahrenen Raster zu werden und bei anhaltender Perpetuierung den Anschluss an verbreiterte, ausdifferenzierte oder erst dazu kommende Wissensstände zu verpassen. Das ist für die Pastoraltheologie mit Blick auf politik-, sozial- und frömmigkeitsgeschichtliche Forschungserrungenschaften besonders virulent, sofern sie Interesse an einer kritikfesten Aufarbeitung der eigenen geschichtlichen Hintergründe hat und es dann auch nicht bei der Frage belassen kann, wie Lehrbuchkonzepte aus der Vergangenheit sozusagen ‚im luftleeren Raum‘ miteinander zusammenhingen, sondern sich ein Bild davon zu machen versucht, in welchen Verbindungen diese Theorien zur pastoralen Situation insgesamt (gesellschaftliche Voraussetzungen, kirchliche Rahmenbedingungen, Lebensverhältnisse des Seelsorgepersonals u. ä.) gestanden haben. Es ist Nachholbedarf vorhanden. Die vorliegende Arbeit geht im Horizont der aufgezeigten Problematik dem Ziel nach, dem Vergessen der Geschichtsdimension und der Musealisierung ihrer Bestände entgegenzuarbeiten und Perspektiven aufzumachen, unter denen die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit im ‚langen 19. Jahrhundert‘ (Eric Hobsbawm) für ein Fachverständnis in der Gegenwart anschlussfähig gemacht werden kann und nicht in eine Verabschiedung münden muss.

      Das erste Kapitel verdeutlicht die Rekonstruktion der Entwicklungen in der Pastoraltheologie selbst als geschichtlichen Zusammenhang und analysiert die zentralen Interpretationen vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Es findet in diesem Abschnitt gewissermaßen die Rezeption der Rezeption oder eine Geschichtsdarstellung auf zweiter Ebene statt. Ein Akzent liegt dabei auf der Sichtbarmachung der ekklesiologischen Vorannahmen, so dass es möglich wird, die vom kirchlichen Ort der Vertreter bestimmten ‚Färbungen‘ der Interpretationsansätze auseinander zu halten.

      Das zweite Kapitel nimmt als Ergänzung zu solchen auf die Lehrbuchtradition festgelegten Herangehensweisen Sondierungen im Umfeld der Pastoraltheologie vor. Rekonstruktionen der Fachgeschichte, die das kirchliche Einbettungsszenario bzw. Settings der Seelsorge nicht berücksichtigen, müssen sich schon insofern Kritik gefallen lassen, als die Pastoraltheologen im 19. Jahrhundert ausnahmslos eine direkte Praxisbezogenheit für ihre Universitätstätigkeit in Anspruch genommen und den Standards einer zeitgemäßen Wissenschaftsform tendenziell übergeordnet haben (so genannte ‚Anleitungslehre‘). Der Blickwinkel wird in diesem Teil unter makrosozialen Aspekten (politische Situation, Strukturentwicklung der Kirche) geweitet.

      Das dritte Kapitel konkretisiert die daraus gewonnenen Ergebnisse auf ausgewählte Seelsorgekontexte und existenzprägende Faktoren in Klerikerbiographien auf dem Zenit des Ultramontanismus hin. Die Eingrenzung auf die Phase von der Mitte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts lag besonders nah, weil die Geschichtsinterpreten über die in dieser Zeit entstandenen Lehrbücher mit dem Hinweis auf sowohl inhaltliche als auch methodische Fehlentwicklungen am schnellsten

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