Carl Friedrich von Weizsäcker. Ino Weber

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Carl Friedrich von Weizsäcker - Ino Weber

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zu studieren, nicht Philosophie oder womöglich Theologie. Vielseitige Anlagen und Interessen waren in Weizsäcker von früher Kindheit an vorhanden. Daher wollte der junge Mann zuerst Sternenkundiger werden, aus purer Begeisterung für die Größe des Weltalls, mit einem religiös geprägten Empfinden für die unfassbaren Geheimnisse des Kosmos.

      Weizsäcker wurde Physiker, mit all den Verwicklungen, die durch die zeitgeschichtlichen Umstände bedingt waren. In der Nachkriegszeit warf man ihm und Heisenberg vor, sich nicht entschlossen genug vom Nazi-Regime distanziert, sich gar mit den Machthabern allzu bereitwillig arrangiert zu haben. Richtig ist dagegen: Carl Friedrich von Weizsäcker war nie konkret an der Entwicklung einer atomaren oder sonstigen Waffe beteiligt, weder theoretisch noch praktisch. In der Tat kam er nie in die furchtbare Zwangslage einer konkreten Gewissensentscheidung, denn die technischen Möglichkeiten und die notwendigen Rohstoffe zur Herstellung einer Atombombe waren während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland nicht gegeben.

      Weizsäcker war ein sehr junger Physiker, und der einzige Fehler, den er sich selbst später eingestehen musste, war eine gewisse politische Naivität. Seine moralische Integrität jedoch steht außer Zweifel, wenn man seine Beweggründe und seinen Charakter genauer kennt.

      Was für eine Persönlichkeit war der Mensch Carl Friedrich von Weizsäcker? Es wäre völlig verfehlt, ihn nur als Physiker, als unerhört klugen und ehrgeizigen Forscher zu sehen.

      Die Existenz der Atombombe hatte die Welt für immer verändert. Jede Form der künftigen Außen- und Weltpolitik würde unter diesem Damoklesschwert ihre Entscheidungen treffen müssen. Den Frieden zu bewahren, war nunmehr das wichtigste Anliegen der Menschheit. Aber reichten die rüstungspolitische Vernunft und das politische Durchsetzungsvermögen der Machthaber dafür aus? Wann würden endlich jene internationalen politischen Strukturen entstehen, die Weizsäcker dringend anmahnte, damit der möglicherweise alles vernichtende Atomkrieg verhindert werden konnte? So intensiv wie kaum ein anderer beschäftigte sich Weizsäcker wissenschaftlich mit diesen lebenswichtigen Fragen. Es galt, jede Spur von Naivität abzulegen und der Gefahr ins Auge zu sehen. Tatsächlich gelang es Weizsäcker in jahrelanger mühevoller Arbeit, sich eine umfassende rüstungspolitische Kompetenz anzueignen und gangbare „Wege in der Gefahr“, so sein Buchtitel aus dem Jahr 1976, aufzuzeigen. Spätestens in den Siebzigerjahren, als Direktor eines interdisziplinär forschenden Instituts, sollte er sich ein außerordentliches Fachwissen im Bereich des politischen Handelns, vor allem die theoretischen Hintergründe betreffend, gezielt aneignen. Er begann, konkreten Einfluss auf das Weltgeschehen zu nehmen und reale geistige Macht auszuüben, denn über die Jahre war er zum gefragten Ratgeber aufgestiegen. Bundeskanzler Willy Brandt wandte sich mehrmals an ihn.

      Weizsäcker war ein Weltbürger. Er nahm an zahllosen Konferenzen teil und suchte das intensive Gespräch mit Fachleuten. Zeitlebens führte er eine erstaunlich umfangreiche Korrespondenz mit hochrangigen Politikern und Staatsoberhäuptern, Philosophen und Schriftstellern. Mit Henry Kissinger verband ihn ein freundschaftliches Verhältnis. Mit der geistigen Elite Deutschlands und einigen kirchlichen Würdenträgern stand er in regem Austausch, so etwa mit Martin Buber, dem pazifistischen Rebellen Gollwitzer oder dem theologischen Querdenker Hans Küng. Er setzte sich bei Tschernenko eindringlich für die Freilassung des sowjetischen Regimekritikers und Friedensnobelpreisträgers Andrei Sacharow (1921-1989) ein. Sogar mit Erich Honecker gab es einen Briefwechsel.

      Heinrich Böll wollte 1972 die Entspannungspolitik aktiv unterstützen und schlug Weizsäcker vor, sich in Brüssel zu treffen, doch dieser war für spontane Aktivitäten nicht zu haben. Seine Begründung: Mangelnde Vorbereitung und öffentliche Erklärungen, die nicht ausreichend durchdacht sind, schaden nur der Sache.

      Mit Martin Heidegger, den er bereits 1935 kennengelernt hatte, traf er sich regelmäßig zu ausgiebigen philosophischen Debatten; auch dem illustren Gesprächszirkel der früheren griechischen Königin wohnte er seit 1960 viele Jahre bei. Dies alles verschaffte ihm einen geistigen Horizont, ein weltpolitisches Wissen und eine profunde Menschenkenntnis, die nur wenige Menschen auf der Welt besitzen. Er war wissenschaftlich, geistig, politisch und gesellschaftlich auf der Höhe des Geschehens.

      Zweimal, 1964 und 1979, hatte Weizsäcker selbst die Gelegenheit, aktiv in die Politik einzusteigen und für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren. Er lehnte aus persönlichen Gründen ab. 1979 trugen SPD und FDP die Kandidatur an ihn heran, bedrängten ihn förmlich, allerdings erst sechs Tage vor dem Wahltermin. Das zeugt von sehr schlechtem Stil. Weizsäcker reagierte mit sicherem Instinkt, war nicht dazu bereit, der Koalition lediglich aus einer Verlegenheit zu helfen. Bereits 1964 hatte Helmut Schmidt vertraulich mit ihm gesprochen, aber eine prompte Ablehnung erhalten; denn zu jener Zeit ging es beruflich nicht. Die Wissenschaft hatte nach seiner innersten Überzeugung klaren Vorrang.

      Als Bundespräsident zu wirken, wäre selbstverständlich eine hohe Ehre und ein weites Betätigungsfeld gewesen, zumal für einen philosophisch hochgebildeten Mann mit unzweifelhafter Moral, feinem diplomatischen Spürsinn und noch dazu großer sprachlicher Ausdruckskraft. Sicher hätte er sich nicht hinter formellen Zwängen versteckt, sondern auch mutig die notwendige Kritik angebracht. Diese Aufgabe übernahm von 1984-1994 Richard von Weizsäcker – in hoch respektierter Art und Weise. Der ehemalige Berliner Bürgermeister füllte das Präsidentenamt mit Bravour aus, so dass gewissermaßen „der Ruhm in der Familie blieb“.

      Carl Friedrich von Weizsäcker trat nie in eine Partei ein, wurde aber mehrfach für die SPD aktiv. Obwohl er sich selbst als skeptischen Konservativen einordnete und seine Herkunft weder leugnen konnte noch wollte, fand er anfangs die bürgerliche Welt durchaus fragwürdig. Jeglicher Fanatismus lag ihm fern, was ein unabhängiges Urteilen möglich machte.

      Weizsäckers Rolle als Friedensforscher und Rüstungsgegner ist weitreichend gewesen und hatte Bedeutung für Deutschland und Europa. Die Erklärung einiger hochkarätiger Wissenschaftler, der „Göttinger Achtzehn“ im Jahr 1957, bewirkte letztlich, dass Adenauer auf die atomare Rüstung Deutschlands verzichtete. Weizsäcker hat den überaus klaren und eindringlichen Text der Erklärung maßgeblich selbst verfasst, nach Rücksprache mit den berühmten Unterzeichnern. Es war seine erste große politische Aktion – und eine der wirkungsvollsten seines Lebens. Sie bot Gelegenheit, seine hochstehende Ethik in der Praxis zu demonstrieren. Wie er selbst rückblickend feststellte, ging es ihm und den Physiker-Kollegen keineswegs nur um die deutschen Belange, sondern um „einen Schritt in Richtung der Nichtverbreitung der Kernwaffen“.6 Das ethisch motivierte weltpolitische Anliegen schwang in der Erklärung deutlich mit und wurde auch von der Öffentlichkeit genau so aufgefasst.

      Weizsäckers beruflicher Aufstieg zeichnete sich sehr früh ab: Promotion mit einundzwanzig, Habilitation mit vierundzwanzig, erfolgreiche Betätigung als Grundlagenforscher auf dem noch neuen Gebiet der Kernphysik, Lehrtätigkeiten als Professor für Physik, später auch im Fach Philosophie. Persönlich und beruflich bedeutsam ist die enge Zusammenarbeit, ja Freundschaft mit Werner Heisenberg. Schon in jungen Jahren hatte er ständigen Kontakt mit Nobelpreisträgern, und dies setzte sich bis weit in die Fünfzigerjahre fort. Praktisch die gesamte Riege deutscher und auch ausländischer Nobelpreisträger im Fach Physik (z.B. Max von Laue, Max Born, Niels Bohr), teilweise auch im Fach Chemie (z.B. Peter Debeye, Otto Hahn), war ihm durch persönlichen Umgang bekannt. Niels Bohr ragte in gewisser Weise heraus, denn er war der wahrhaft entscheidende Gesprächspartner, um die weitreichenden Konsequenzen der Quantentheorie besser zu verstehen. Der dänische Atomforscher war, ebenso wie Weizsäcker, gerade an den philosophischen Konsequenzen der physikalischen Entdeckungen sehr interessiert. Bohrs Denkansätze wirkten so nachhaltig auf Weizsäckers gesamte Physik- und Naturauffassung, dass dieser die persönliche Begegnung im Jahr 1932, vom wissenschaftlichen Standpunkt betrachtet, als die zweitwichtigste nach Heisenberg empfand.

      Schon in der Entwicklung der wegweisenden Quantentheorie wirkte Weizsäcker an der vordersten Forschungsfront mit. Die genialen Forscher jener Zeit inspirierten sich oft gegenseitig. Eine vergleichbare wissenschaftliche Revolution wie in den

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