Carl Friedrich von Weizsäcker. Ino Weber
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Eine sehr markante Zeitmarke des „Ruhestands“ ist Weizsäckers 85. Geburtstag im Jahr 1997. Er wird im würdigen Rahmen gefeiert. Bundespräsident Roman Herzog hält die Festrede. Darin lässt er wichtige Lebensstationen Revue passieren und kommt nicht umhin, seine „aufrichtige Bewunderung“ mit den Worten zu umschreiben: „Sie sind für mich … der Inbegriff des Universalgelehrten.“ Dies ist ein Lob, das angesichts des zu würdigenden Lebenslaufes keineswegs übertrieben klingt. Herzog betont außerdem Weizsäckers Status als Mitglied einer verantwortungsvollen Elite, die durch Wissen und Leistung hervortritt und sich die besondere Fähigkeit erworben hat, ein Vorbild für viele Menschen zu sein.
In den Neunzigerjahren setzt sich Weizsäcker vor allem für einen radikalen Pazifismus ein, äußert seine Einsichten weiterhin als Autor und gelegentlich noch als Redner. Seinen Lebensabend verbringt er zurückgezogen in Söcking, unweit des Starnberger Sees. Von schwerer Krankheit gezeichnet, ist er am 28. April 2007 verstorben.
Carl Friedrich von Weizsäcker strahlte eine ungewöhnlich starke geistige und moralische Autorität aus, bei aller persönlich gepflegten Bescheidenheit. Trotz ungewöhnlich weit gespannter Interessen waren seine Prioritäten im Leben recht klar definiert: An erster Stelle rangierte stets die Wissenschaft, und im Verbund mit ihr die philosophische Suche nach hilfreichen Erkenntnissen.
Physik
Die Grundprobleme
Was macht den Physiker Weizsäcker aus? Was bedeutet ihm die Physik?
Weizsäckers Neigung zur Naturwissenschaft war sehr früh in dem neugierigen Kind angelegt. In der Schule stellte sich auch bald die besondere Begabung für Physik und Mathematik heraus.
Versetzen wir uns für einen Moment in die Zwanzigerjahre zurück. Ein biografischer Kunstgriff soll uns dabei behilflich sein, denn das verfügbare Material zur Person ist eher dürftig. Aus eigenen Berichten Weizsäckers und aus Äußerungen von nahestehenden Menschen, mit etwas Fantasie zum Leben erweckt, lässt sich folgende kleine Geschichte konstruieren:
Ort des Geschehens ist ein herrschaftlicher Salon in Kopenhagen, gut besucht mit erlauchten Gästen. Die Gesellschaft unterhält sich vergnügt, es herrscht eine etwas feierliche, doch auch sehr ausgelassene Stimmung, wie es in den Goldenen Zwanzigern nicht selten vorkam. Wir schreiben das Jahr 1927. Der vierzehnjährige Carl Friedrich ist auch anwesend, in Begleitung seiner Mutter. Persönlich weniger an solchen Festlichkeiten interessiert, ließ er sich schließlich zum Mitkommen überreden.
In der Ecke fällt ein anderer junger Mann auf, gutaussehend, nach damaliger Mode schick gekleidet, nur rund zehn Jahre älter als Weizsäcker. Er wirkt etwas schüchtern, spielt aber ausgezeichnet Klavier. Die Aufmerksamkeit der Gäste ist voll auf ihn gerichtet, und Carl Friedrich ist ebenfalls gespannt. Man lauscht andächtig der Musik.
Wer da so gekonnt musiziert, ist kein anderer als Werner Heisenberg. Marianne von Weizsäcker macht ihren Sohn darauf aufmerksam, dass der Klavierspieler ein ziemlich kluger Kopf ist, ein aufstrebender Physiker. Carl Friedrich hat schon von ihm gehört und ist vollends begeistert. Was ihn so fasziniert, ist nicht nur die persönliche Erscheinung Heisenbergs, es ist der Glanz des großen Entdeckers, den das Physik-Genie bereits merklich ausstrahlt. Eine Vorahnung grundlegender Erkenntnisse geistert durch Weizsäckers wachen Verstand.
Nach der Veranstaltung unterhält man sich kurz. Mutter Marianne führt sogar ein kleines Streitgespräch mit dem Physiker – über die Jugendbewegung. Carl Friedrich ist so beeindruckt, dass er die Mutter inständig bittet, diesen Musiker einmal nach Hause einzuladen. Sie gibt dem Drängen schließlich bereitwillig nach.
So oder so ähnlich fand die Geschichte wirklich statt.
Nur wenige Wochen später kommt es zur alles entscheidenden, unvergesslichen Begegnung. Die Gedanken klären sich im mehrstündigen Gespräch sehr schnell, was die künftige Wahl des Studienfachs anbelangt. Heisenberg, zu diesem Zeitpunkt erst fünfundzwanzig Jahre alt, spricht mit solcher Begeisterung von der Physik, dass Carl Friedrich einen Entschluss fasst: Physik zu studieren ist wohl doch das Beste, um die wirkliche Welt zu verstehen und um mit fester Basis Philosophie betreiben zu können. In großer Unbefangenheit erteilt Heisenberg dem Heranwachsenden gute Ratschläge. Schnell hatte er dessen Hang zur Philosophie erkannt und ging nun gezielt darauf ein. Etwas scherzhaft, doch ernst gemeint, argumentiert er in stark zugespitzter Form:
1 Physik ist notwendig, um Philosophie betreiben zu können, jedenfalls wenn sie für das 20. Jahrhundert (in Anbetracht der begonnenen und weiter erwarteten großen Entdeckungen) relevant sein soll.
2 Physik ist nur dann richtig erlernbar und man bekommt erst ein Gespür dafür, wenn man sie ausübt.
3 Physik macht man am Besten vor dem dreißigsten Lebensjahr, Philosophie aber erst nach fünfzig.
All dies vermittelt er dem empfänglichen Geist Weizsäckers in freundschaftlichem Ton. Und es ist tatsächlich der Beginn einer lebenslangen engen Freundschaft. Carl Friedrich von Weizsäcker nimmt sich den Rat zu Herzen, doch das Philosophieren ist ihm schon jetzt ein natürliches Bedürfnis, das kaum unterdrückt werden kann.
Als Primaner wurde ihm erst völlig klar, „dass das, wonach ich eigentlich strebte, bei den Menschen Philosophie heißt …“13
Studium, Doktorarbeit, Habilitation, diese mühsame Kleinarbeit geht fast rasend schnell vonstatten. Sie ist für Weizsäcker größtenteils ein Vergnügen, eine intellektuelle Herausforderung, die er gern annimmt, obwohl er ein bisschen über die schwierige Mathematik klagt. Schließlich hat er ausgezeichnete Lehrer und ist fast ständig von Nobelpreisträgern umgeben. Sogar in fremden Fächern (Biologie!) erweitert er seinen Wissensschatz. In nur sieben Jahren hat sich der Weg vom Studenten zum Professor vollzogen (Habilitation 1936).
1937, Carl Friedrich von Weizsäcker ist erst fünfundzwanzig Jahre alt und arbeitet als Assistent am hoch angesehenen Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin und zusätzlich an der Universität als Dozent für theoretische Physik, erscheint sein erstes Buch. Das Thema ist rein physikalisch, und der Titel lautet: „Die Atomkerne“. Weizsäcker gehört zur Avantgarde der Atomphysiker, führt regen Austausch und spannende Diskussionen mit den führenden Köpfen seiner Zeit.
Im Jahr 1943 erscheint das Fachbuch „Zum Weltbild der Physik“. Es atmet bereits den typisch Weizsäckerschen Geist der Philosophie. Durchaus um physikalische Themen kreisend, ist der Hauptinhalt jedoch keine konkrete Physik, sondern eine Art Grundsatzdebatte aus sehr verschiedenen Blickwinkeln. Ein zentraler Punkt ist die Quantentheorie, vor allem im Hinblick auf ihre weltanschaulichen Folgerungen. Das Buch besteht aus verschiedenartigen Vorträgen, niedergeschrieben in den Jahren 1938-1942.
„Zum Weltbild der Physik“ ist ein Standardwerk, es leistet eine fachlich ausgereifte und zudem stark philosophisch orientierte Gesamtschau, die über das eigentliche Fachgebiet weit hinausgeht.14 Wenn man sich das Buch näher anschaut, stellt man zunächst fest, dass es für Nicht-Physiker und philosophische Laien kaum sehr erquicklich sein wird, es vollständig zu lesen. Man muss lediglich einen aufmerksamen Blick in das fein aufgeschlüsselte Inhaltsverzeichnis werfen, um zu erkennen, wie Weizsäcker das Thema angeht – aus ganzheitlicher Perspektive! Dies fällt sehr schnell auf bei Kapitelüberschriften wie „Ganzheit“, „Anschaulichkeit“, „klassische Physik“, „Realismus“, „Meditationsstufen“ usw.
Dann