Carl Friedrich von Weizsäcker. Ino Weber
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1954 gelingt es Weizsäcker, in der Deutung der Quantentheorie einen entscheidenden Durchbruch zu erzielen. Diesem wissenschaftlichen Erfolg folgt 1957 mit der „Göttinger Erklärung“ auch die politische Wirkung.
1957 bis 1969
Die Jahre zwischen 1957 und 1969 verlebt Weizsäcker als Professor für Philosophie an der Universität Hamburg. Da diese Berufstätigkeit seinen Neigungen sehr entspricht und eher als „geistiges Vergnügen“ denn als Arbeit empfunden wird, ist dieser Lebensabschnitt eine besonders freudvolle Zeit. Indessen ist auch der politische Denker aktiv, und die Kritik an der Gesellschaft, am herrschenden System, wächst stetig an. Auf theoretischer Ebene setzt sich Weizsäcker intensiv mit globalen Problemen auseinander. Daneben arbeitet er praktische Themen konkret aus, die ihm persönlich besonders am Herzen liegen, so z.B. „die politische Verantwortung des Nichtpolitikers“ und die „Bedingungen des Friedens“.12
Seine „Gedanken über die Zukunft des technischen Zeitalters“ bringt er bei einem Festvortrag in der Hamburger Handelskammer zu Gehör (1965). Der Ton wird kritischer, bleibt aber gemäßigt. Von einer ausgesprochenen Protesthaltung ist trotz aller Seitenhiebe auf einige Fehlentwicklungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft kaum etwas zu spüren. Als seriöser Wissenschaftler will und muss er glaubhaft bleiben. Es geht darum, mit kompetenten, sachlichen Äußerungen ohne Emotionen möglichst gute Wirkungen zu erzielen.
Weizsäcker genießt bereits in den späten Fünfzigerjahren ein hohes Ansehen im In- und Ausland. Die zahlreichen Ehrungen, die ihm seit 1957 zuteil werden, bestätigen dies eindrucksvoll. 1959 erhält er das Große Bundesverdienstkreuz, 1961 den Orden Pour le mérite für Wissenschaft und Künste. 1963 ist eine traditionell besonders öffentlichkeitswirksame Auszeichnung an der Reihe – der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Dann bricht die 68er-Bewegung über Deutschland herein. Die Studenten gehen auf die Barrikaden und fordern basisdemokratische Reformen. Ihr gewaltsamer Aufruhr erschüttert das Land, zerschmettert aber neben Mobiliar und sonstigen Sachgütern auch einige Verkrustungen, die der bürgerliche Konservatismus mit seinem bequemen Obrigkeitsgehorsam erzeugt hatte. Obwohl der neue Drang nach individueller Freiheit bald nachlässt und die heftigen Proteste wirkungslos zu verpuffen scheinen, setzt die Bewegung doch ein markantes Mahnzeichen für die gesamte Kultur. Weizsäcker sieht sich allerdings mit Verhaltensweisen konfrontiert, die ihm nur mit äußerster Selbstbeherrschung erträglich sind. Wie er als Vertreter des „Establishments“ attackiert wird, obwohl er in ausgeprägt liberaler Haltung wirklich gesprächsbereit ist, raubt ihm fast den Atem. Als die Sowjetunion im August 1968 die Tschechoslowakei besetzt, kommt zu diesen Unannehmlichkeiten noch ein stärkeres, politisches „Todeserlebnis“. Jetzt ist er fest davon überzeugt, dass ein Dritter Weltkrieg kommen wird, vermutlich unter Einsatz atomarer Waffen.
Nach diesen Ereignissen kann die Gesellschaft nicht mehr so einfach zur gewohnten politischen Sorglosigkeit übergehen. Viel zu lange war die reale Gefahr des Militarismus und der Rüstungswettläufe aus dem Blickwinkel geraten. Als ausgezeichneter Kenner der politischen Strukturen und Mechanismen, auch der einseitigen militärischen Denkweisen, empfindet Carl Friedrich von Weizsäcker sehr deutlich die enorme Bedrohung. Er ist also durchaus pessimistisch gestimmt, hält es aber für seine erste Pflicht, daran mitzuwirken, die Katastrophe zu verhindern.
1969 übernimmt Weizsäcker den Vorsitz im Verwaltungsrat des Deutschen Entwicklungsdienstes. Er hat klar erkannt, welche Verantwortung westliche Wissenschaft und Technik gerade für die Dritte Welt tragen, und möchte direkte Erfahrungen sammeln. So reist er im November 1969 für fünf Wochen nach Indien, wo er am Ende sogar ein außergewöhnliches religiöses Erlebnis hat. Außerhalb des Protokolls besucht Weizsäcker auch drei Ashrams und das Grab von Ramana Maharshi, einem von den Hindus hoch verehrten Heiligen. An diesem Ort erlebt er eine blitzartig hereinbrechende Bewusstseinsveränderung, die sich mit Worten kaum beschreiben lässt. In diesem Moment sind alle seine Fragen beantwortet.
1970 bis 1980
Die Siebzigerjahre umfassen die letzte Phase in Weizsäckers aktiver Berufstätigkeit. Wiederum fängt er etwas völlig Neues an und zieht mit seiner Frau Gundalena nach Starnberg bei München um. Zielstrebig hat er seit Jahren auf den Wechsel hingearbeitet. Gemessen an seiner inneren Verfassung, am aktuellen Entwicklungsstand seines Bewusstseins, ist dies ein konsequenter Schritt. Weizsäckers zentrales Anliegen ist von nun an die „Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt“. Wie wichtig ihm diese Thematik war, erkennt man schon daran, dass die Max-Planck-Gesellschaft das neue Institut auf ihn zugeschnitten gründet. Damit dieses „Institut für unbequeme Fragestellungen“, wie es später scherzhaft auch genannt wurde, überhaupt in Betrieb gehen kann, muss sich Weizsäcker erst gegen die Lobby der chemischen Industrie durchsetzen und zusichern, sich nicht mit Zukunftsprognosen zu beschäftigen. Als wissenschaftliches Ziel gibt er Konfliktanalysen an. Sich selbst muss er die Gefahr eingestehen, mit den hier bearbeiteten gesellschaftspolitischen Themen lediglich einen „engagierten Dilettantismus“ zu betreiben. Immerhin bringt ab März 1970 Jürgen Habermas als Co-Direktor seine soziologische Kompetenz mit ein.
Nebenher schreibt Weizsäcker eine Reihe von Büchern: 1971 erscheint „Die Einheit der Natur“, eines seiner Hauptwerke, 1975 „Fragen zur Weltpolitik“, 1976 „Wege in der Gefahr“. „Der Garten des Menschlichen“ (1977) enthält gewissermaßen einen Querschnitt seiner Erkenntnisse und Überzeugungen, auch seiner persönlichen Lebenserfahrung im Fortlauf der zeitgeschichtlichen Entwicklung.
Die systemkritische Haltung erreicht in dieser Dekade wohl den Gipfelpunkt. Weizsäcker setzt alle Kraft dafür ein, die Gesellschaft erneut daran zu erinnern, dass ein großer Bewusstseinswandel lebensnotwendig ist. Sein Denken hat sehr wohl auch praktische Relevanz, denn er zeigt die Fallstricke auf, die den notwendigen Wandel verzögern. Ein aktiver Politiker, der Amt und Partei verpflichtet ist, kann und will er aber nicht sein. Dafür sind seine Freiheitsliebe, seine tolerante Haltung und auch seine Zurückhaltung viel zu stark ausgeprägt. Als Philosoph weiß er zu genau, wie verfänglich alle Ideologien wirken, wie sie aufgrund innerer Widersprüche zu Gewalt und Verderben führen und Menschen unfrei machen. Weizsäcker ist und bleibt ein unabhängiger Denker, der gehört und respektiert wird.
1981-2007
Weizsäckers „Ruhestand“ ist durch eine weiterhin hohe Arbeitsintensität und einen prall gefüllten Terminkalender geprägt. Zunächst scheint der religiöse Glaube ein vorherrschendes Thema zu sein, aber keineswegs in privater Zurückgezogenheit, sondern als konkreter Einsatz für den Weltfrieden. Weizsäcker schwingt sich noch einmal zu einer außerordentlichen geistigen und physischen Kraftanstrengung auf, indem er das Konzept für ein umfassendes „Christliches Friedenskonzil“ entwirft. Die Vorbereitungen dazu beginnen beim Evangelischen Kirchentag 1985 in Düsseldorf. Weizsäcker ist als Fachmann zur Veranstaltung eingeladen worden und hat den Text mit erstaunlicher Klarheit formuliert. Sein Grundgedanke war nicht nur ökumenischer Art, vielmehr waren alle geistigen Kräfte dazu aufgefordert, an einem Strang zu ziehen und sich wirkungsvoll für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen. Wieviel Mühe es letztlich kostete, auch in der Praxis Einigkeit zu erzielen und die organisatorischen Probleme zu lösen, sieht man daran, dass die „Weltversammlung der Christen“, so wurde das beabsichtigte Friedenskonzil nun genannt, erst 1990 in Seoul (Südkorea) stattfand.
Von 1990 bis 1992 erscheinen zahlreiche Bücher, die jedoch meist nur ältere Texte