Toter Chef - guter Chef. Georg Langenhorst

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Toter Chef - guter Chef - Georg Langenhorst

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dem Gesprächs-Scharmützel gelauscht und sich ihre Gedanken gemacht hatten. Sie waren zu verblüfft, um sofort zu antworten.

      „Na kommen Sie schon, wagen Sie einen Tipp“, ermunterte Ingrid Wiesmüller den Kommissar. „Sie auch!“, wandte sie sich an die Kommissars-Anwärterin. Kellert räusperte sich, überlegte kurz, sagte zu sich ‚Warum nicht?‘ und antwortete: „Ich sage mal siebzig?“ „Ich tippe auf knapp hundert“, sekundierte Hannah Mellrich mit selbstbewusster Stimme.

      „Nicht schlecht“, nickte die stellvertretende Direktorin, als Lehrerin gefangen in der Routine der bewertenden Rückmeldung. „Einhundertzehn Kolleginnen und Kollegen, und das bei knapp zwölfhundert Schülerinnen und Schülern. So sieht das aus.“ Irgendwie zufrieden blickte sie auf die beiden Kriminalbeamten. Von einer Erschütterung über den Tod ihres bisherigen Chefs war ihr sowieso nichts anzumerken. Ein routiniert benanntes Bedauern hatte sie gleich zu Anfang geäußert, mehr nicht.

      Sie hatte ihren Gedankengang aber noch nicht abgeschlossen. „Einhundertzehn Kolleginnen und Kollegen! Alle wollen gesehen, gelobt, beachtet werden. Alle wollen Karriere machen. – Okay, fast alle!“, korrigierte sie sich, als sie sah, dass Thomas Brox einen kritischen Einwand machen wollte. Weder gab sie ihm dazu die Gelegenheit, noch ließ sie sich in ihrem einmal aufgenommenen rhetorischen Schwung ausbremsen. „Alle haben das Gefühl, benachteiligt zu werden. Alle gehen davon aus, dass sie, sie für die spannenden und besser bezahlten Jobs am besten geeignet sind. Alle wollen gut benotet und gefördert, ach was: befördert werden. Und auch darüber entscheiden letztlich wir. Und das soll ohne Probleme und Konflikte gehen? Sie haben vielleicht Nerven!“

      „Wir entscheiden streng genommen allerdings nicht darüber, liebe Kollegin“, nutzte Ulrich Schongauer die kleine Pause, um sich mit sanfter Stimme einzubringen. „Das entscheidet letztlich allein der Chef. Wir beraten ihn natürlich dabei“, fügte er in Richtung der beiden Gäste hinzu. „Ich sage immer: Schule ist wie das Leben überhaupt“, meinte er dann in leicht predigtartigem Tonfall. „Alle Konflikte, die es im Leben gibt, bilden sich auch bei uns ab. Schule ist kein Schonraum. So gern wir das auch hätten. So ist das nun einmal.“ Er hob nachdenklich die Hände.

      Kellert nutzte die Möglichkeit, nun doch nachzufragen: „Das habe ich durchaus erwartet, dass wir es selbst beim Domgymnasium nicht mit einer Insel der Seligen zu tun haben.“ Damit wies er mit der rechten Hand auf eines der großen, goldgerahmten Ölgemälde an der Wand, das die selige Lissi von Friedensberg zeigte, eine Ordensfrau des 17. Jahrhunderts. Erst vor siebzehn Jahren war sie seliggesprochen worden. „Aber gab es in letzter Zeit Konflikte, die über das Normalmaß hinausgingen?“

      „Sie suchen ein Mordmotiv, oder?“ Kalt blickte ihn Ingrid Wiesmüller über die Halbmondgläser ihrer soeben aufgesetzten Brille an. „Sie haben mich also nicht verstanden. Sie suchen nach etwas Besonderem. Nach einer monströsen Geschichte, die alles Verstehen sprengt. Was ich sagen wollte, war aber genau das Gegenteil: Unser Alltag ist so voller versteckter Aggression, unterdrückter Gewalt und zivilisierter Frustration, dass es das Besondere nicht braucht. Das ist Alltag hier, verstehen Sie? Das kann sich überall entladen. Ohne großen Anlass. Was glauben Sie, warum es zu Amokläufen kommt? Irgendwann kocht etwas über. Dafür braucht es manchmal nur einen dummen Zufall, einen eigentlich belanglosen Auslöser.“ Zufrieden schaute sie ihn an, faltete die Arme vor der Brust und fügte hinzu: „So: Da haben Sie Ihr Motiv.“

      Ulrich Schongauer hatte den Ausführungen seiner Kollegin zugehört, mehr und mehr aber seine wachsende Distanz signalisiert. Nun schüttelte er stirnrunzelnd den Kopf: „Also so negativ sehe ich das nicht, Frau Wiesmüller.“ – ‚Kein Duz-Verhältnis‘, notierte sich Hannah Mellrich in Gedanken – „Als säßen wir hier permanent auf einem Pulverfass. Als gäbe es nur ein ständiges Gegeneinander: Lehrer gegen Schüler, Kollegen gegen Kollegen. Wir sind immerhin auch eine Gemeinschaft. Eine Schulfamilie. Wenn das so schrecklich wäre, wie Sie, geschätzte Kollegin, das schildern, dann würde ich mich sofort um eine andere Stelle bewerben. Sofort! Ja, Konflikte sind Teil des Lebens, das habe ich vorhin schon betont. Aber sie sind es hier nicht mehr als anderswo.“

      „Aber auch nicht weniger, Pater Schongauer, auch nicht weniger!“, fiel ihm Ingrid Wiesmüller ins Wort. „Und ich sage ja auch gar nicht, dass all das die Oberfläche unseres Alltags bestimmt. Im Gegenteil: Es kommt darauf an, diese Gemengelage zu kontrollieren und zu beherrschen. Und genau dafür sind wir zuständig: die Schulleitung! Das ist unser Job. Dafür bekommt man nicht nur Applaus. Da wird man nicht everybody’s darling. Wenn alles glattläuft, halten viele das für normal. Aber sobald es Schwierigkeiten gibt, fallen sie von allen Seiten über uns her. Ist doch so.“

      Nun schaltete sich Thomas Brox ein: „Herr Kommissar. Ich stimme der Kollegin Wiesmüller zwar nicht in allem zu. Aber in einem schon: Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Sie den Täter – oder die Täterin – hier in der Schule finden werden. Also mir ist jedenfalls kein Konflikt bekannt, der aus dem alltäglichen Miteinander und Gegeneinander herausragen würde. Kein Grund, warum der Kessel explodieren müsste, um im Bild der werten Kollegin zu bleiben. Oder?“

      Zustimmung heischend blickte er auf seine beiden Kollegen. Die waren ausnahmsweise einmal einer Meinung und nickten: Ulrich Schongauer zögerlich und mit nur angedeutetem Heben und Senken des rundlichen, leicht rot angelaufenen Kopfes, Ingrid Wiesmüller mit energischen, ruckartigen Bewegungen. Obwohl ihr Kollege Brox ihren Hauptgedanken gar nicht aufgenommen hatte.

      Es klopfte. Ohne auf eine Reaktion zu warten, öffnete sich die Tür zum Empfangszimmer des Direktorates. Eine vielleicht vierzigjährige, schick gekleidete und dezent, aber perfekt geschminkte, schlanke Frau trat ein, beladen mit einem Tablett voller Tassen, Untertassen, kleinen silbernen Löffeln, einem Zuckerdöschen, einem Milchkännchen und einer Kanne frisch aufgebrühten Kaffees. Die Frau warf einen freundlichen, offen lächelnden Blick in die Runde und fragte: „So, möchte jemand einen Kaffee?“

      „Danke, Frau Blum, Sie sind ein Schatz! Aber das wissen Sie ja!“, antwortete Ingrid Wiesmüller sofort, und ihre Stimme nahm eine Wärme an, die sie vorher noch nicht hatte erkennen lassen. „Frau Blum, unsere Chefsekretärin!“, stellte die Lehrerin die Mitarbeiterin vor. „Erst seit zwei Jahren bei uns, aber schon absolut unbezahlbar.“

      Die derart Gelobte lächelte, hob aber abwehrend die Hände. „Nein, nein. Sagen Sie das nicht. Ich tue doch nur meine Pflicht. Das aber einfach gern.“ „Und gut“, ergänzte Thomas Brox schmunzelnd. „Lassen Sie das Lob doch einfach mal so stehen, Saskia! Das Sekretariat ist das Herzstück einer Schule. Nicht das Direktorat, wie viele von uns in dreister Selbstüberschätzung meinen.“ Sein Blick verlor sich für den Bruchteil einer Sekunde im Raum. Aber er fuhr fast unmittelbar danach fort: „Und wenn das Herz nicht schlägt, wie es soll, dann leidet der ganze Körper. Seit Sie da sind, Saskia, geht es uns prächtig.“

      Brox hielt kurz inne, besann sich und ergänzte: „Was nicht heißen soll, dass es uns vorher schlecht ging.“ Saskia Blum lächelte, warf den Kopf abwägend hin und her und machte sich dann daran, den Raum wieder zu verlassen. „Wenn Sie noch etwas brauchen: Sie wissen ja, wo Sie mich finden.“

      4.

      Die beiden Kriminalbeamten hatten dem freundlichen Austausch neugierig gelauscht, wortlos, aber mit unausgesprochener Dankbarkeit der Sekretärin zugenickt und nahmen sich nun jeweils einen Kaffee. „Gratuliere!“, mischte sich Kellert nun ein. „Da haben Sie einen guten Fang gemacht. Das sieht man gleich. Also wenn unsere gute Sekretärin in zwei Jahren in den Ruhestand geht, melde ich mich bei Ihnen.“

      „Unterstehen Sie sich!“, gab Ingrid Wiesmüller spielerisch mit dem Zeigefinger drohend zurück. „Die brauchen wir schon selbst!“ Das kleine, unaufgeregte verbale Intermezzo tat allen im Raum gut, das war deutlich zu spüren. Selbst Ingrid Wiesmüller hatte sich in ihrem Sessel zurückgelehnt und saß nun viel entspannter

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