Verhüllung. Andreas Tunger-Zanetti

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Verhüllung - Andreas Tunger-Zanetti

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inzwischen der Unterschied zwischen Nikab und Burka auch im Westen bekannt und hier, wenn überhaupt, der Nikab anzutreffen ist, bleibt die Burka in Begriffen wie «Burka-Verbot» oder «Burka-Debatte» weiterhin präsent. Musliminnen, die selbst den Nikab tragen, sprechen oft von Gesichtsschleier.

      Islamische Kulturen kennen darüber hinaus eine Vielzahl von Schleierformen, die das Gesicht frei lassen und weitaus gebräuchlicher sind als der Gesichtsschleier.4 Als allgemeinster Ausdruck kann hierbei der Hijab (arab. ḥiǧāb) gelten. Während das Wort im Koran eher in der Bedeutung von «Vorhang» oder «Trennwand» vorkommt, bezeichnet es heute im Feld muslimischer Frauenbekleidung ein Kopftuch und steht dabei auch für Varianten, die eigene Bezeichnungen wie «Khimar» oder «Tschador» haben.

      Das Kleidungsstück ist das eine, die Kleidungspraxis etwas anderes. Im deutschsprachigen Raum ist bald von «Verhüllung» oder «Vollverhüllung» die Rede, bald von «Verschleierung» oder «Vollverschleierung», von «Gesichtsverschleierung» oder «Vermummung», von muslimischer Seite gerne auch von «Bedeckung». Jede dieser Bezeichnungen hat ihre Unschärfen und enthält mehr oder weniger deutliche Wertungen. Der Titel der eidgenössischen Volksinitiative spricht von «Verhüllung» beziehungsweise vom «Verhüllungsverbot». Nicht zufällig widerspiegelt der vergleichsweise nüchterne Begriff die Unklarheit der Forderung, wer oder was denn nicht verhüllt sein darf. Zumindest die Begründungen des Initiativkomitees erwähnen dann und wann auch die «Vermummung» von Demonstranten mit Gewaltabsichten als Phänomen, das man ausdrücklich ebenfalls abstellen wolle. Die öffentliche Debatte freilich befasst sich dann fast ausschliesslich mit religiös motivierter muslimischer Frauenbekleidung.

      Im Rahmen dieser Studie bemühen wir uns, die Begriffe möglichst genau zu verwenden und auf Wertungen zu verzichten. Dies gilt auch für die Frage der Geschlechter. Wo es um unterschiedliche Geschlechter im gängigen Sinn geht, benennen wir sie in aller Regel, sprechen also zum Beispiel von «Musliminnen und Muslimen». Ist hingegen nur von Frauen oder nur von Männern die Rede, nennen wir nur das tatsächlich behandelte Geschlecht. Ein anderer Fall sind Rollen oder Funktionen (Sprecher, Akteur usw.), insbesondere im Rahmen der Diskursanalyse. Hier verwenden wir das generische Maskulinum. Im Zusammenhang mit einer konkreten Person erhält die Funktionsbezeichnung die passende Geschlechterform.

      Kurze Geschichte des Gesichtsschleiers

      29. April 2011, London, Westminster Abbey: Die Hochzeit des englischen Thronfolgers Prinz William mit Catherine Middleton, bis ins kleinste Detail durchgeplant, liefert hübschen Stoff für die Geschichte des Schleiers: Die Braut trägt einen durchsichtigen Gesichtsschleier, als ihr Vater Michael Middleton sie hinter dem Dean of Westminster vor den Altar führt, wo der Bräutigam und sein jüngerer Bruder bereits warten. Während die Gemeinde das Lied «Guide Me, O Thou Great Redeemer» singt, lüftet der Brautvater den Schleier. Kaum hat der Erzbischof von Canterbury den Brautleuten das Eheversprechen abgenommen, legt der Brautvater die rechte Hand seiner Tochter in die Hand des Erzbischofs, der sie weiterreicht in die Hand des Ehemannes.5

      Im geschilderten Vorgang hat der Vater als der bisher zuständige Mann mit der Hilfestellung der geistlichen Macht die Tochter dem künftig zuständigen Ehemann übergeben. In jedem Moment aber ist die Frau im Verfügungsbereich eines Mannes. Der Vorgang in der Kathedrale von Westminster aktualisiert offensichtlich eine zutiefst patriarchalische Norm. Was aber hat es dabei und in anderen Zusammenhängen mit den verschiedenen Formen des Schleiers auf sich? Dieses Kapitel skizziert die wichtigsten Zusammenhänge, soweit sie für den heutigen islamischen Gesichtsschleier von Belang sind.

      Im Kulturraum vom westlichen Mittelmeer bis zum Himalaya besteht die Tradition des Schleiertragens schon seit Tausenden von Jahren. In den verschiedenen Kulturen und Epochen waren die Art der Schleier und die damit verbundene Bedeutung jedoch höchst unterschiedlich und lassen sich auf keinen gemeinsamen Nenner bringen. Schleier kommen bei Frauen wie bei Männern vor; sie bedecken bald das Gesicht oder aber nur die Haare oder sitzen lediglich als Kopfbedeckung auf dem Haupthaar; sie markieren einen sozialen Stand oder einen Zivilstand oder auch eine berufliche Rolle. Das deutsche Wort «Schleier» trägt dieser Fülle möglicher Zusammenhänge nicht Rechnung, sondern deutet lediglich an, dass von einem Stück Stoff die Rede ist, das am Kopf getragen wird oder aber einen Gegenstand abdeckt. Die folgenden Beispiele werfen hierauf einige Schlaglichter.

      Die Vorstellung des Brautschleiers ist indirekt bereits im 4. Jahrtausend v. Chr. in der Kultur Sumers (heutiger südlicher Irak) belegt: Die Nacht wird in einer Quelle als «verschleierte Braut» umschrieben.6

      Im Nachfolgereich Assur (ca. 1800–600 v. Chr.) galt: «Verheiratete Frauen und unverheiratete Töchter freier Bürger mussten sich in der Öffentlichkeit ebenso verschleiern wie Konkubinen, die verheiratet waren oder mit der Hauptfrau ausgingen, und verheiratete […] Frauen.» Andere Frauen hingegen, insbesondere Sklavinnen und Prostituierte, durften sich nicht verschleiern.7

      Wiederholt begegnet uns der Schleier bei Gottheiten oder dann, wenn Menschen, insbesondere Priesterinnen oder Priester, dem Göttlichen begegnen. Oft findet sich etwa in der griechischen Antike die Göttin Hera, die «Göttermutter» und Gattin des höchsten Gottes Zeus, mit Schleier dargestellt. Ihr werden Schleier und andere Kleidungsstücke als sogenannte Gewandopfer dargebracht. Darstellungen der Hera mit Schleier nehmen im Lauf der Zeit ab, während die Frauen auf der Strasse immer öfter den Schleier tragen.8

      Priester und Priesterinnen verschleiern sich in den Kulturen der Antike insbesondere beim Opfern. Die Priesterinnen der Isis und auch jene der Demeter trugen Schleier bei bestimmten Ritualen.9 Auch Moses, der Anführer des Volkes Israel beim Auszug aus Ägypten, verhüllt zum eigenen Schutz sein Gesicht, als er Gott begegnet (Altes Testament, Buch Exodus, Kap. 3, V. 6). Doch auch der Brautschleier taucht in der hebräischen Bibel wieder auf: Die Braut wird dem Gatten offenbar vollverhüllt zugeführt. Deshalb entdeckt Jakob zu spät, dass sein Schwiegervater Laban ihm nicht wie vereinbart die schöne Rahel, sondern deren ältere Schwester Lea zur Frau gegeben hat (Altes Testament, Buch Genesis, Kap. 29).

      Schleier schützen also in den alten Kulturen die Person in kritischen Situationen oder markieren einen sozialen Status. Sie tauchen insbesondere im Zusammenhang mit dem Statuswechsel der Heirat immer wieder auf. Früh ist auch die Rede vom Schleier im übertragenen Sinn fassbar: Die Überwirklichkeit ist durch den Weltenschleier verhüllt. Mit der Nacktheit einer Person ist zugleich ihre Heiligkeit verbunden, die es deshalb zu schützen gilt.

      Wenn die Umwelt des entstehenden Christentums den Schleier in unterschiedlichen Formen und Kontexten bereits kannte, so ist klar, dass sich auch die Anhängerinnen und Anhänger der neuen Religion früher oder später dazu positionieren mussten. Den nachhaltigsten Orientierungspunkt hierzu setzte Apostel Paulus, als er an die Gemeinde in Korinth schrieb: «4 Ein Mann, der im Gottesdienst öffentlich betet oder Weisungen Gottes verkündet, entehrt sich selbst, wenn er dabei seinen Kopf bedeckt. 5 Eine Frau, die im Gottesdienst öffentlich betet oder Weisungen Gottes verkündet, entehrt sich selbst, wenn sie dabei ihren Kopf nicht bedeckt. Es ist genauso, als ob sie kahl geschoren wäre. 6 Wenn sie keine Kopfbedeckung trägt, kann sie sich gleich die Haare abschneiden lassen. Es ist doch eine Schande für eine Frau, sich die Haare abschneiden oder den Kopf kahl scheren zu lassen. Dann soll sie auch ihren Kopf verhüllen. […] 9 Der Mann wurde auch nicht für die Frau geschaffen, wohl aber die Frau für den Mann. 10 Deshalb muss die Frau ein Zeichen der Unterordnung und zugleich der Bevollmächtigung auf dem Kopf tragen. […] 14 Schon die Natur lehrt euch, dass langes Haar für den Mann eine Schande ist, 15 aber eine Ehre für die Frau. Die Frau hat langes Haar erhalten, um sich zu verhüllen. 16 Falls aber jemand mit mir darüber

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