Krisenintervention. Cornelia Franke

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Krisenintervention - Cornelia Franke

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4 – Fright (Totstellen): Wenn die akute Gefahr nicht durch Kampf oder Flucht abgewendet werden kann und der Betroffene keine Möglichkeit mehr sieht, auf das Geschehen einzuwirken, schal[21]tet der Organismus von aktiver Verteidigung auf Immobilität um. Dieses Totstellen ist auch in der Tierwelt verbreitet und hat den Hintergrund, dass scheinbar tote Tiere seltener gejagt und gefressen werden. Aufgrund der scheinbaren Hilf- und Ausweglosigkeit wird diese Situation als besonders bedrohlich erlebt und bildet den Höhepunkt des Angstempfindens.

      Dieser Totstellreflex bildet einen Wendepunkt in der Stresskaskade. In den Phasen der aktiven Verteidigung dominierte der Sympathikus, beim Totstellen übernimmt der Parasympathikus (»Ruhenerv«) als sein Gegenspieler. Die Auswirkungen des Parasympathikus sind konträr zu denen des Sympathikus. Die Herzfrequenz und der Blutdruck verringern sich, die Atmung wird langsamer und flacher und der Verdauungsprozess beginnt. Im Normalfall ist der Parasympathikus der Ruhenerv und wird menschheitsgeschichtlich dann verstärkt aktiv, wenn die Beute gejagt ist und verdaut werden muss und keine Bedrohung herrscht. Im Rahmen der Verteidigung bildet das Totstellen also einen Wendepunkt, das AVS sieht keine Möglichkeit mehr, die Gefahr durch Kampf oder Flucht abzuwenden.

       Stufe 5 und 6 – Flag and Faint (Erschlaffen und Ohnmacht): Der Organismus erschlafft, Bewegungen werden langsamer und schwieriger bis zur Bewegungsunfähigkeit, das Schmerzempfinden lässt bis zur Schmerzunempfindlichkeit nach. Zunächst werden noch Signale vom Körper ins Gehirn geleitet aber keine Signale und Befehle mehr [22]vom Gehirn in den Körper. Die Fähigkeit der Sprachwahrnehmung und -produktion lassen bis zur Sprachunfähigkeit nach.

      Die Reaktionen des Parasympathikus werden stärker, es kommt also zu einer weiteren Verringerung der Herzfrequenz und des Blutdruckes. Zunächst wirken die Betroffenen noch wach und aufmerksam, sind aber nur noch bedingt ansprechbar. Im Verlauf kann es zur Bewusstlosigkeit kommen. In dieser Phase des »Shutdowns« werden Gefühle wie Wut, Angst und Schmerzen nicht mehr empfunden. Diese Gefühlstaubheit führt dazu, dass sich der Organismus nicht mehr wehrt und keine weiteren Fluchtversuche unternimmt. Außerdem entsteht für den Betroffenen das Gefühl, das Geschehen wie durch Nebel, Watte oder eine Milchglasscheibe zu erleben. Der Bezug zur Realität wird konfus, ein Gefühl der Unwirklichkeit entsteht. Wenn im Verlauf der Reaktion keine Signale mehr vom Körper ins Gehirn geleitet werden, haben viele Menschen das Gefühl, nicht mehr in ihrem Körper zu sein und sich selbst von außerhalb zu beobachten. Diesen Zustand nennt man Dissoziation (Schauer, Neuner und Elbert 2011).

      Einsatzkräfte werden im Einsatzgeschehen in der Regel nicht von einer Shutdown-Reaktion betroffen, solange sie nicht selbst Opfer eines Unglückes (z. B. verschüttet) werden. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass Einsatzkräfte nach einem Kontrollverlust häufig unter starken Belastungsreaktionen leiden. Solch ein Kontrollverlust kann dadurch entstehen, dass Einsatzkräfte ihrer Tätigkeit nicht nachkommen können. Etwa wenn bei einem Zugunglück die Strecke noch nicht freigegeben wurde. Auch berichten Einsatzkräfte, die während des [23]Einsatzes handlungsfähig geblieben sind, also keine Shutdown-Reaktion erlebt haben, von Wahrnehmungseinschränkungen (»Ich habe gar nicht gemerkt wie die Zeit vergangen ist, wie heiß/kalt es war, wie viele Menschen herumgestanden haben«), Sprachunfähigkeit (»Ich hatte keine Worte mehr«), Gefühlslosigkeit oder einem Gefühl der Unwirklichkeit. Diese Empfindungen können auch nach dem Einsatz eine Zeitlang bestehen bleiben. Bei diesen Reaktionen handelt es sich um Schutzmaßnahmen, um die Psyche vor Überflutung mit Emotionen zu schützen. Zeigen Einsatzkräfte solche Reaktionen, deutet das auf eine hohe psychische Belastung im Einsatz hin und sollte bei den Regenerationsbemühungen berücksichtigt werden.

      Abwendung der Gefahr

      Wenn die Gefahr abgewendet wurde, werden die Mechanismen des AVS beendet und der Betroffene kann seine Handlungen wieder bewusster steuern. Häufig wird nach dem erfolgreichen Bestehen einer solchen Situation Erleichterung, Freude und Stolz empfunden. Außerdem kann das Selbstbewusstsein gestärkt werden und der Drang nach Herausforderungen steigt. Das Verhalten, das zur Abwendung der Gefahr geführt hat, wird gespeichert. Dadurch lernt der Mensch, in Zukunft auf ähnliche Situationen vergleichbar reagieren zu können. So können sich Routinen ausbilden, die in zukünftigen vergleichbaren Situationen dafür sorgen können, dass diese nicht als Bedrohung wahrgenommen werden und das AVS nicht die Kontrolle übernimmt. Dadurch wird es möglich, zielgerichtet und bewusst, statt instinktiv zu handeln. Deshalb wird Neues auch am besten gelernt und [24]behalten, wenn es eine (emotionale) Relevanz hat und hilft, schwierige Situationen zu bestehen.

Das AVS als einfaches Modell

      Bild 1: Das AVS als einfaches Modell

      [25]3.6 Zusammenfassung

      Das Alarm- und Verteidigungssystem ist die neuroendokrine Stressantwort mit Hilfe derer der Mensch auf alle potenziell gefährlichen Situationen reagiert. Solche, zumindest gefühlten, Gefahren können aus einer Vielzahl an Ereignissen resultieren, das AVS reagiert also sehr niederschwellig. Dabei muss nicht einmal das Individuum selbst betroffen sein, das Miterleben von Tod, Krankheit, Verletzung oder Elend reicht aus. Das AVS erhöht zunächst die Aktivität des Sympathikus, woraus beispielsweise höherer Blutdruck und schnellerer Puls resultieren. Die Reaktionen lassen sich nicht willkürlich steuern, es kann zu instinktiven Handlungen kommen, die für Außenstehende nicht immer nachvollziehbar sind. Im Rahmen der Gefahrenabwehr durchläuft der Betroffene die Stresskaskade. In den ersten Stufen versucht sich das Individuum aktiv durch Kampf oder Flucht zur Wehr zu setzen. Erst wenn es scheinbar keine Handlungsoptionen mehr gibt, reagiert der Betroffene mit einer Shutdown-Reaktion, bei der die Aktivität des Parasympathikus verstärkt wird. Dadurch kann es zu Dissoziation kommen, der Betroffene ist dann kaum noch ansprechbar. Wenn die Gefahr erfolgreich überstanden wurde, speichert sich der Mensch das zielführende Verhalten und wird in zukünftigen ähnlichen Situationen vergleichbar reagieren.

      [26]4 Einsatzkräfte: Besondere Situation

      Einsatzkräfte sind durch ihre Arbeit mit besonderen Situationen konfrontiert und dadurch höheren Belastungen ausgesetzt. Auch wenn im letzten Kapitel bereits auf Einsatzkräfte eingegangen wurde, sollen im Folgenden die wichtigsten Aspekte zusammengefasst und vertieft werden.

      4.1 Einsätze als belastende Situation

      Dass es sich bei Einsätzen um belastende Situationen handeln kann, ist eigentlich jedem Beteiligten klar. Doch wie unterscheiden sich Einsätze von anderen Situationen und was macht sie so belastend?

      Dafür sind zum einen selbstverständlich die Rahmenbedingungen verantwortlich: Rettungskräfte werden in der Regel dann tätig, wenn irgendjemand in Not ist oder ein Unglück passiert ist. Das bedeutet zwangsläufig, dass Einsatzkräfte während ihrer Arbeit ständig mit Tod, Elend oder Zerstörung und Menschen in Extremsituationen konfrontiert sind. Zusätzlich wird die Arbeit durch äußere Umstände häufig erschwert und findet unter gefährlichen Bedingungen statt. Doch neben diesen Rahmenbedingungen bergen Einsätze weiteres Potenzial, das AVS zu strapazieren. In der Literatur wird eine Situation als besonders stressreich beschrieben, wenn sie unvorhersehbar, unkontrollierbar oder uneindeutig ist und [27]mit negativen Folgen assoziiert wird. Genau das trifft auf die meisten Ereignisse zu, aus denen Einsätze resultieren: Ihr Eintreten ist quasi unvorhersehbar, der Verlauf lässt sich meist weniger kontrollieren als gewünscht und die jeweilige Lage ist zu Beginn nicht eindeutig. Auch resultieren in den meisten Fällen negative Folgen, wenn auch selten für die Einsatzkräfte persönlich, so werden sie doch mit den Auswirkungen konfrontiert. Bei all diesen Situationen wird das Alarm- und Verteidigungssystem aktiv. Dadurch ist das AVS bei Einsatzkräften deutlich reger beansprucht als beim Durchschnitt der Bevölkerung. Das Problem hierbei ist, dass das AVS als Notfallprogramm ausgelegt und deshalb nicht für den Dauerbetrieb geeignet ist.

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