Jürgen Klopp. Elmar Neveling
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Dem FSV droht derweil der Abstieg. Unter Krautzun, Jahrgang 1941, dessen Vokabular von den Erfahrungen der Kriegsgeneration geprägt ist, wird gegen den FC St. Pauli ein Punkt geholt, und gegen Nürnberg gewonnen, dann folgen sieben Spiele mit nur zwei Punkten. »Kein Schlachtenglück«, schnarrt Krautzun.
Ende Januar 2001 folgt ein 0:0 bei den Stuttgarter Kickers, Mainz ist 16., die Kickers sind 15. Dann ist Winterpause. »Wir mussten was tun«, sagt Heidel und macht sich auf die Suche nach einem neuen Trainer. Es ist Rosenmontag, er sitzt zu Hause und liest die Jahrbücher des Kicker. Vorwärts, rückwärts. »Ich konnte mich mit keiner Vita anfreunden«, sagt Heidel. Neuer Trainer, neuer Trainer, wer wird neuer Trainer »beim Absteiger Nummer eins«, als der Mainz bezeichnet wird?
Die Mannschaft ist mit Krautzun im Trainingslager in Bad Kreuznach, auf der Flucht vor der alles verschlingenden »Määnzer Fassenacht«. Die Vereinsspitze ist beim Rosenmontagsumzug in der Innenstadt. Heidel sitzt auf dem Sofa und denkt nach: »Wie geht es weiter?« Irgendwann sagt er sich: »Die sollen das selbst regeln, wir nehmen die Mannschaft in die Verantwortung. Die Spieler, die sollen das selbst machen, wir haben doch vier, fünf Führungsspieler, wir trainieren uns selbst.« So wie die Jugendlichen in den selbst verwalteten Jugendzentren sich gegenseitig erziehen. Das hat nichts mit Trotz zu tun, oder damit, dass die Mannschaft untrainierbar ist, sondern damit, dass die Spieler etwas vom Fußball wissen, was in Deutschland damals nur wenige Trainer wissen. Und zu denen gehört Krautzun nicht.
»Mach ich«
Heidel ruft Harald Strutz an, ehemaliger Dreispringer, Rechtsanwalt, und seit 1988 Präsident von Mainz 05. Im Hintergrund »dädä dädä dädäää«, Heidel sagt: »Wir trennen uns vom Trainer.« Strutz gelassen: »Jo.« Und im Hintergrund »dädä dädä dädäää«. Heidel sagt: »Der Klopp wird Trainer.« Strutz, die Ruhe selbst: »Aha.« Und im Hintergrund hört Heidel ein dreifach kräftiges »Helau«.
An Aschermittwoch ist das nächste Spiel, gegen Duisburg, die aufsteigen wollen, dann, am Samstag, gegen Chemnitz, den Letzten. »Ich wollte erst mal diese beiden Spiele überstehen«, sagt Heidel. Er ruft Dimo Wache, den Mannschaftskapitän, im Trainingslager an und spricht mit ihm. Er ruft Klopp im Trainingslager an, der verletzt ist und nicht spielen kann: »Ich wusste ja, er will mal Trainer werden.« Heidel stellt sich vor, dass Klopp als Spielertrainer fungiert und fürchtet, dass der sagt: »Du hast sie ja nicht alle.« Heidel fragt, Klopp antwortet prompt: »Mach ich«, aber er will nur Trainer sein. Rasch hatte er abgewogen: Eine Zweitligakarriere als Spieler, die ihrem Ende entgegen ging oder eine neue Karriere, die er sich zutraute. Heidel ist überrascht und froh, denkt: »Hut ab«, und stimmt zu. Den Spieler Jürgen Klopp gab es nach diesem Telefonat in Bad Kreuznach nicht mehr.
»Gib mir ein Spiel«
Heidel fährt anschließend nach Bad Kreuznach, denn alle entscheidenden Akteure wissen nun Bescheid, nur der Krautzun weiß nichts. »Gib mir noch ein Spiel«, bittet Krautzun, als ihn Heidel über seine Entlassung informiert. Heidel sagt »nein«. Krautzun fragt ihn: »Was machste denn jetzt?« Und Heidel sagt: »Wir nehmen den Klopp.« Krautzun sagt: »Nein, denk an den Verein, du hast Verantwortung gegenüber dem Verein, gib mir noch ein Spiel.« Heidel sagt »nein«.
Nun kommt die Pressekonferenz, auf der Heidel den neuen Trainer präsentiert. Die Mainzer Journalisten, die schon was geahnt haben und für die Trainerentlassungen nichts Neues sind, flachsen: »Was will denn der Kloppo hier?« Und als sie erfahren, dass er Trainer sein will, machen sie sich lustig, auch in ihren Zeitungen, über die Mainzer, die nun offensichtlich völlig den Verstand verloren haben, die Zweite Liga aufgegeben haben, über Klopp, der offensichtlich größenwahnsinnig geworden ist. »Wir wurden verarscht«, sagt Heidel.
Klopps erste Ansprache
Dann hält Klopp eine Ansprache an die Mannschaft. Seine erste, Heidel hört zu. »Wenn man mir Schuhe gegeben hätte, ich wäre auf den Platz gelaufen, und ich hätte es gut gemacht«, sagt er. So überzeugt war Klopp, dass die Mannschaft gegen Duisburg gewinnt. »Die Spieler wollten sofort raus und die Duisburger fressen«, erinnert sich Heidel. Der denkt sich: »Okay, Fußball kann er«, das wusste er seit den Zeiten des Schattenkabinetts, »reden kann er auch«. Das ist ja schon mal was.
Gegen Duisburg kommen 3.500 Zuschauer. Vertrauen sieht anders, Skepsis so aus. Mainz gewinnt mit 1:0, Torschütze Christof Babatz. »Gut«, denkt Heidel, »soll Kloppo auch das Spiel gegen Chemnitz machen.« Babatz macht das 1:0 gegen Chemnitz, am Ende steht es 3:1. Klopps Pressekonferenzen sind super, die Interviews nach dem Spiel genauso. »Das kann er auch«, denkt Heidel, »gut, dann bis Saisonende.« Vertrag per Handschlag. Klopp steckt wieder Stangen in den Rasen und die Mannschaft trainiert verschieben, sie presst, spielt offensiv, 4-4-2 und verteidigt im Raum. Mainz bleibt in der Liga, Klopp bleibt Trainer, nun mit Vertrag.
Da ist endlich ein Bogen, ein Zusammenhang, eine Verbindung, endlich passt das eine Teil zum anderen. Frank hat einen Nachfolger. Doch während bei Frank nur das gespielt werden durfte, was auf dem Plan stand, keiner davon auch nur einen Jota abweichen, vor allem nicht Dribbeln durfte, fördert Klopp, bei allen taktischen Vorgaben, die Individualität. Was auch damit zu tun hat, dass er individuell stärkere Spieler als Frank hat.
Authentisch
Den Wechsel vom Spieler zum Trainer schafft Klopp, weil er auch als Trainer »authentisch ist«, sagt Heidel und nennt das »seine größte Gabe«. Man hat Vertrauen zu ihm, ein, wie man weiß, höchst prekäres Gut. »Man hat das Gefühl, dass das, was er sagt, gilt«, sagt Heidel. Dass er das ist, was er sagt, dass er sich nicht verstellt. Es gibt Trainer, die markieren den harten Hund, und sind es nicht. Das macht Klopp nicht.
Klopp ist ein Mensch, der als Trainer auf den Schiedsrichter losgeht, über Werbebanden stolpert, auf die Tribüne muss, auf und abspringt, eine furchterregende Fratze zieht, brüllt, heult, die Zähne fletscht, auf den Platz rennt, und immer ist er hundert Prozent Klopp. »Wie das wirkt, darüber macht er sich keine Gedanken«, sagt Heidel, »Thomas Tuchel ist auch so«. »Authentisch«, sagt auch Weiland, der inzwischen in Mainz im vierten Semester Sport studiert. Trotz Kniebeschwerden war die Sporteingangsprüfung kein Problem. Weiland wird die Riege der Trainer, die aus Klopps (und zum Teil auch Wolfgang Franks) Mannschaften hervorgegangen sind, verstärken: Otto Addo, Sandro Schwarz, Christian Hock, Jürgen Kramny, Sven Demandt, Petr Ruman, Tamás Bódog, Marco Rose, Sven Christ, Peter Neustädter, Ermin Melunovic, Marco Walker. Das sagt etwas aus über
»Ich muss ja nicht alleine glücklich bleiben auf der Welt.«
Klopp weiß genau, dass eine Menge Glück im Spiel war, um Trainer beim FSV Mainz zu werden und in der Bundesliga arbeiten zu dürfen: »Das kann ich jeden Tag fühlen.« Da er auch weiß, wie schwer sich Vereine bei der Suche nach dem richtigen Trainer tun, hält er sich nicht zurück, wenn er gefragt wird. Kann auch vorkommen, dass er sich ungefragt äußert:
»Mittlerweile kenne ich sehr viele Kollegen. Entweder habe ich mit ihnen den Trainerschein gemacht oder habe sie im Laufe der Zeit kennengelernt. Wenn mich ein Präsident am Telefon hat, dann sage ich ihm schon mal: ›Ich kenne da einen, der für dich interessant sein könnte.‹ Ich glaube,