Lebendige Seelsorge 5/2018. Verlag Echter

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Lebendige Seelsorge 5/2018 - Verlag Echter

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selbst nur noch einen formalen Akt dar, der die äußeren Verhältnisse mit den inneren zur Passung bringt. Wieder andere befreien sich durch den Kirchenaustritt aus einem Zustand ständiger Enttäuschung, den ihnen die Mitgliedschaft in dieser Institution aus unterschiedlichen Gründen bereitet. Der Austritt bedeutet damit eine individuelle Befreiung. Ein ähnliches Gefühl stellt sich bei den Befragten ein, die die Kirche verlassen haben, weil sie sich durch diese Gemeinschaft in ihrer individuellen Freiheit eingeschränkt gefühlt haben.

      Schließlich gibt es eine Gruppe von Menschen, die sich einst sehr in ihren Gemeinden engagiert haben, irgendwann aber dem oder einigem, wofür Kirche steht, nicht mehr zustimmen konnten. Dieser Konflikt wird von den Befragten gelöst, indem sie aus der Kirche austreten. Sieht man einmal von den ersten beiden Typen des Austrittsprozesses ab, zeichnen auch Ebertz, Eberhard und Lang Entwicklungen nach, die durch einen mehr oder weniger starken inneren Konflikt über eine mehr oder weniger lange Zeit geprägt waren. Der Austritt selbst stellt nur einen Schritt in diesem Konflikt dar, der ihn nicht notwendig beendet. Auch nach dem Austritt selbst scheinen sich der eine oder die andere Befragte noch mit der Kirche zu beschäftigen oder sich ihr der einen oder anderen Weise verbunden zu fühlen.

      DER AUSTRITT ALS INNERER KONFLIKT

      Auch in den Tiefeninterviews, die wir im Rahmen der Essener Verbleibstudie mit Menschen führen konnten, die entweder bereits aus der Kirche ausgetreten sind oder kurz vor diesem Schritt stehen, lassen sich solche inneren Konflikte feststellen. Grundsätzlich haben wir nur solche Menschen erreicht, die noch nicht vollständig mit der Kirche abgeschlossen haben. Allein die Bereitschaft zu einem Gespräch deutet an, dass man dieser Kirche zumindest noch etwas rückmelden will. Damit ist die Stichprobe unserer 41 Interviews, von denen 30 Personen bereits aus der Kirche ausgetreten sind und die anderen kurz davorstehen, dies zu tun, zwar nicht repräsentativ, für die Seelsorge vor Ort aber besonders einschlägig, da die Befragten noch nicht jedes Interesse an der Kirche verloren haben.

      Der Austritt selbst stellt einen Schritt im inneren Konflikt dar, der ihn nicht notwendig beendet.

      Geht man ins Detail, lassen sich bei vielen der Befragten, die bereits aus der Kirche ausgetreten sind, Phänomene beobachten, die auch Kirchenmitglieder kennzeichnen könnten. So bekennt sich etwa ein Drittel der von uns Befragten nach wie vor zu einem Glauben an den Gott Jesu Christi. Andere erzählen davon, dass sie an den christlichen Hochfesten immer noch die Liturgie besuchen, weil ein Weihnachts- oder Ostergottesdienst einfach zum Gepräge dieser Tage dazugehört. Sie drücken damit eine innere Vertrautheit mit einem kirchlichen Ritus aus, der ihn zu einem unabkömmlichen Element ihrer Festtagskultur macht, auch wenn sie sonst mit der Kirche nichts mehr anfangen können.

      Schließlich löst das Nachdenken über den eigenen Kirchenaustritt bei einigen Befragten Überlegungen zur Frage aus, was es für das Leben nach dem Tod bedeutet, wenn man kein kirchliches Begräbnis erhält. In diesen Überlegungen wird nicht nur eine stark christlich imprägnierte Vorstellung von einem Leben nach dem Tod sichtbar, sondern auch eine Unsicherheit dahingehend, ob die – mit theologischen Konzepten gesprochen – gelebte communio plena non plene Konsequenzen für das spirituelle Heil hat. Alle diese Indizien weisen viele der von uns Befragten als Menschen aus, die – obwohl aus der Kirche ausgetreten – nicht durchgängig säkularisiert sind. Sie zeigen in der Regel noch vielfältige Formen eines auch mit kirchlichen Prämissen vereinbaren Glaubens und haben noch nicht alle inneren Bezüge zur Kirche abgebrochen.

      Ferner finden sich in den Interviews vielfache Schilderungen solcher innerer Konflikte, die sich zum Teil über viele Jahre hinziehen (für die folgenden Szenen vgl. Riegel/Kröck/Faix, 163–185). So wächst Frau C in den 1950er Jahren in einer katholischen Gemeinde auf und besucht von Nonnen geführte Bildungseinrichtungen. Diese Zeit beschreibt sie im Rückblick als ambivalentes Gemenge von Geborgenheit und persönlicher Einschränkung. Als die kirchliche Gemeinschaft vor Ort nicht angemessen mit der Scheidung ihrer Eltern umgehen kann, erlebt die Verbundenheit Cs mit dieser Kirche erste Brüche. Sie löst sich endgültig auf, als die Lehrpersonen ihrer Klosterschule ihre Glaubensfragen und -zweifel nicht ernst nehmen, die 68er-Bewegung mit ihren Schlagworten von Freiheit, Frieden und Wahrheit aber echte Alternativen eröffnet. Mit 21 Jahren tritt sie aus der Kirche aus und begibt sich auf eine spirituelle Suche, die bis heute anhält.

      Auch Herr D wächst in einem katholischen Milieu auf, ohne sich diesem aber jemals vollständig zugehörig gefühlt zu haben. Als Jugendlicher gerät er in einen kognitiven Konflikt, weil sich wissenschaftliche Erkenntnisse nicht mit seinem Glauben vereinbaren lassen. Damit stellt sich für ihn die Frage nach der Wahrheit, die ihn bis heute begleitet. Da ihm die Kirche in der Beantwortung dieser Frage nicht weiterhelfen konnte, ist er schließlich aus ihr ausgetreten. Heute bezeichnet er sich als Agnostiker mit starkem humanitären Engagement.

      Schließlich lebt Frau G gut integriert und vielfältig engagiert in ihrer Pfarrgemeinde, bis sie ihre Liebe zum gleichen Geschlecht entdeckt. Ihre Pfarrgemeinde ist mit dieser Situation überfordert und beginnt G zu meiden. G selbst kämpft mit der Ambivalenz zwischen der Freude am Engagement in ihrer Gemeinde und deren Ablehnung. Irgendwann lässt sie ihre Lebenspartnerschaft eintragen und tritt gleichzeitig aus der Kirche aus. Religion und katholischer Glaube sind für sie mit diesen Schritten jedoch nicht erledigt. Sie findet Anschluss in einer anderen Pfarrgemeinde, in der ihre Lebenssituation toleriert wird.

      Den drei skizzierten Beispielen ist gemeinsam, dass der Austrittsprozess durch einen inneren Konflikt begleitet wurde. Frau G bleibt dem katholischen Gemeindeleben weiterhin verbunden, Frau C begibt sich auf eine spirituelle Suche und Herr D wandelt sich zum humanistischen Agnostiker. In zwei der drei Fälle bleiben die Ausgetretenen damit religiös ansprechbar. Manche der Befragten sind sich dieser Situation durchaus bewusst, wie etwa Frau V, die an einer Stelle ihres Interviews erwähnt: „Das hört sich komisch an, aber für mich ist nach wie vor eine katholische Kirche, egal in welche ich gehe, wie nach Hause kommen.“

      An dieser Stelle müssen die beschriebenen Indizien für den inneren Konflikt, der mit dem Kirchenaustritt einhergeht, und den Konsequenzen, die sich aus ihm für die individuelle Religiosität ergeben, reichen. Mit den im Projekt vorhandenen finanziellen Mitteln konnten wir die Interviews zwar dahingehend analysieren, dass wir die Annahme des Kirchenaustrittsprozesses als inneren Konflikt bei vielen Menschen bestätigen können. Die Analyse der elementaren Strukturen dieses Konflikts oder gar die Rekonstruktion von typischen Konfliktverläufen steht dagegen noch aus.

      PASTORALE OPTIONEN

      Welche Optionen für die kirchliche Seelsorge ergeben sich aus diesen empirischen Befunden? Diese Frage ist nicht ganz trivial, weil empirische Befunde (Sehen) nie unmittelbar pastorale Strategien (Handeln) in sich tragen, sondern erst einer (pastoral-)theologischen Reflexion bedürfen. Allerdings legen es die eingangs skizzierten Überlegungen zum communio-Konzept nahe, dass kirchliche Pastoral Ausgetretene, die immer noch der spirituellen Gemeinschaft der Getauften angehören, nicht links liegen lassen kann und nach Möglichkeiten Wege zurück in die volle Gemeinschaft mit der Kirche aufzeigen sollte.

      Bereits die Konflikte, die den Austrittsprozess begründen, müssen erkannt und bearbeitet werden.

      In diesem Sinn scheint bereits die Tatsache, dass sich Kirche mit dem Kirchenaustritt beschäftigt, eine image-fördernde Maßnahme zu sein. So können die für die Essener Verbleibstudie Verantwortlichen von vielen positiven Rückmeldungen berichten, die anerkennen, dass die Kirche sich für Ausgetretene interessiert. Auch das vielfältige Feedback zu einer eigenen Studie zum Zusammenhang zwischen individueller Religiosität und Austrittsneigung (www.kirchenstudie.de) verweist auf das große Interesse an dieser Thematik. Und gerade das Image der Kirche spielt eine zentrale Rolle im Austrittsprozess.

      Ferner verweisen die Interviews auf Menschen, die zwar aus der Kirche ausgetreten sind, mit ihr aber noch nicht abgeschlossen haben (vgl. auch Ammermann). Es gibt somit

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