Lebendige Seelsorge 5/2018. Verlag Echter

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Lebendige Seelsorge 5/2018 - Verlag Echter

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kirchlicher Pastoral, der Pastoral der Rahmung (210ff.). Diese Pastoral der Rahmung geht davon aus, dass der konkrete Mensch in einer engen kirchengemeindlichen Bindung steht, die sich sowohl in „umfassender sakramentaler Betreuung“ als auch in „biographischer Normierung und Kontrolle durch die kirchliche Institution“ auszeichnet (211). Hier ist die Zugehörigkeit gerade nicht im Plural, sondern im Singular gedacht, weil sie eng angebunden ist an eine durch binnenkirchliche Logiken hergestellte Eindeutigkeit.

      Erstaunlich an dieser „Kirchenaustrittsstudie“, wie auch an anderen Studien, ist ja weniger dieser Befund als die kirchlichen Beharrungskräfte, eindeutige Zugehörigkeiten zur gegenwärtigen katholischen Vergemeinschaftungsform zu suchen. Dabei, so die Autoren, dürfte doch schon anhand der Zahlen „niemand mehr bezweifeln, dass am Beginn des 21. Jahrhunderts die klassische kirchliche Sozialform einer erheblichen Erosion ausgesetzt ist“ (213). Diese Wahrnehmung geht Hand in Hand mit der Feststellung, dass die Voraussetzung für die Pluralisierungs- und Individualisierungsschübe gegenwärtiger Gesellschaften, die Säkularisierung, im europäischen Kontext jedenfalls, nicht zu einem Verschwinden der Religion geführt hat. Es handelt sich um eine Transformation derselben, die allerdings in ihren Auswirkungen für die verfasste Religiosität ungeheure Konsequenzen hat (220). Selbst wenn die rahmende Pastoral in manchen Bereichen noch greift und selbst wenn sie konzeptionell attraktiv ist, ist sie doch bereits von der faktischen gesellschaftlichen Entwicklung ein- und überholt worden und findet kein belastbares Gegenüber mehr.

      Die Entfremdung einer selbstverständlichen ins Privateste hineinreichenden und regierenden Religionsautorität kann seit dem Ende der 1960er Jahren nicht mehr aufgehalten werden; geschichtlich wird man diesen Prozess sogar noch früher ansetzen müssen: „In dem geschichtlichen Moment seiner praktischen [das Konzept der rahmenden Pastoral; GW] gesellschaftlichen Delegitimation durch die Religionskritik wurde das Konzept der rahmenden Pastoral zu einem Dispositiv, von dem es geraten schien, sich gesellschaftlich wie individuell zu emanzipieren“ (221).

      STRATEGIE EINER NEUEN VEREINDEUTIGUNG ODER THEOLOGIE DES DISSENSES UND KONFLIKTS?

      In diese Wahrnehmungen hinein plädieren die Autoren für eine pluralitätsfähige Kirche und sprechen den Vereindeutigungsstrategien keine Zukunft zu. Letztere zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie mit einer Neuevangelisierung eine rekonfessionalisierte Kirche wiederherstellen wollen, die sich durch die Eindeutigkeit der Zugehörigkeit und ihrer Territorialität oder Gruppenidentität auszeichnet. Der Unterschied zur beschriebenen Pastoral der Rahmung ist hier, dass sich alle, also auch die bisherigen Christen und Christinnen aus der Pastoral der Rahmung heraus neu entscheiden sollen zu einem eindeutigen, entschiedenen Christsein. Diese Zugehörigkeitslogik wird von den Autoren als anachronistisch bezeichnet, weil sie sich auf eine gesellschaftliche Voraussetzung bezieht, die es so nicht mehr gibt. Diese Form ist sogar anachronistisch in doppelter Weise: sie muss ihr Idealbild aus der Vergangenheit ziehen und zwar institutionell-strukturell und theologisch. Ersteres wird gemessen an z. B. der Sakramentenhäufigkeit, letzteres an einer theologischen Konstruktion von Kontinuität kirchlicher Strukturen und theologischer Inhalte, die historisch so nicht zu halten sind (Beispiele dafür sind neben den Movimenti das „Mission Manifest“).

      Die Autoren der Studie begrüßen die Konsequenzen der Pluralisierung auch noch in ihren kirchlichen Irritationen und dadurch bedingten Abbrüchen, weil sie darin die Möglichkeit sehen, zu einer Idee von Kirchlichkeit vorzustoßen, die diese Pluralität von Anfang an hatte (231). In der Tat kann die Vereindeutigung von Traditionsbeständen und ihre praktischen Ausformungen als eine Konsequenz des 19. Jahrhunderts und seiner Ausbildung eines katholischen Milieus angesehen werden (so nimmt auch die theologische Reflexion darauf Bezug, 215f.).

      Ist diese Eindeutigkeit bereits historisch nicht belegbar (so v. a. die Studien von Hubert Wolf), ist sie es theologisch in den letzten 50 Jahren noch weniger. Ich möchte die Anregungen der Studie daher aufnehmen und auf eine theologische Frage zuspitzen, die meines Erachtens weiterführen kann. Wenn es nicht egal sein kann, wieso Menschen sich von der Kirche entfremden und schließlich gehen, steht dahinter die Auffassung, dass diese Kirche ein Ort ist, an dem das Zueinander von Gott und Mensch in einer besonderen Weise ausgedrückt und erlebt wird und darin seine primäre Bedeutung hat. Verlassen Menschen also diesen Ort, weil sie sich nicht angenommen fühlen, anderer Meinung sind, dann lohnt es sich zum einen, diesen Prozess und seine Inhalte näher anzuschauen. Dies leistet die Studie. Es lohnt sich zum anderen aber auch, eben diesen Protest, diesen Konflikt, diesen Dissens also, als theologisches Thema eigens zu beleuchten.

      DISSENS ALS LOCUS THEOLOGICUS

      Ist der Dissens ein Ort theologischer Erkenntnis? Bradford Hinze aus New York ist entschieden dieser Meinung und geht sogar noch einen Schritt weiter. Er möchte den Konflikt, den Dissens als Möglichkeit der Gnade Gottes verstehen (vgl. Hinze 2018). Dem Dissens, dem Konflikt, sollte deswegen nicht nur mehr Aufmerksamkeit geschuldet werden, sondern er sollte auch anders bewertet werden. Die Bewertung anderer Stimmen, anderer Meinungen und anderer Lebensformen innerhalb von Kirche als Dissens beruht vor allem auf einer Interpretationshoheit derer, die entscheiden, was richtig ist und was nicht. Diese binäre Struktur von orthodox/abweichend ermöglicht es aber weder, konstruktive Wege auf Menschen zuzugehen, die sich vom kirchlichen Geschehen distanziert haben, noch den Inhalt des Glaubens in die gegenwärtige Zeit auszulegen.

      Die Spannung zwischen der Vielfalt der Stimmen und der binären Struktur erscheint als die theologische Herausforderung in einer pluralisierten Moderne. Denn das Ziel sollte es doch vielmehr sein, eine theologische Argumentation zu entwickeln, die die Vielfalt der Stimmen als pluriforme Gestalten der einen Kirche und nicht als Dissens von der als einen und nur als eindeutig zu erfassenden Wahrheitsform denken kann.

      Bradford Hinze bietet verschiedene theologische Topoi an, von denen drei hier weiterführend sein können. Erstens findet der Dissens als innerkirchliches Phänomen in der Breite der praktizierenden Katholiken und Katholikinnen seinen Eingang in die Realität kirchlichen Lebens mit der Enzyklika Humanae vitae von Paul VI. (1968). In dieser Situation, von der Studie in den zeitlichen Kontext sogenannter Periodeneffekte eingeordnet (74), entscheiden sich Menschen gegen einen Teilaspekt der Enzyklika, dessen Nein zur künstlichen Empfängnisverhütung, ohne dass damit zu einer Verneinung des Glaubensgutes als solchem eine Aussage gemacht worden ist (vgl. Hinze 2018, 129). Dieser Dissens eröffnet den Weg für eine Kultur der Konflikte, der Nicht-Zustimmung zu einzelnen Aspekten, vor allem der Morallehre der Kirche, aber auch zu doktrinalen Fragen (z. B. Frauenpriestertum).

      Allerdings ist zweitens der Weg des Dissenses, so Hinze weiter, während der Pontifikate von Johannes Paul II.und Benedikt XVI. diszipliniert worden. Dies geschah, indem theologische Entwürfe und Gruppierungen in ihren divergierenden Äußerungen geahndet wurden sowie auch durch lehramtliche und kirchenrechtliche Klärungen im Blick auf abweichende Meinungen (so die Instruktion Donum veritatis zur Berufung des Theologen, also auch beispielsweise c. 212§ 1 CIC 1983, Glaubensgehorsam, und c. 752 CIC 1983, Verstandes- und Willensgehorsam, bei Dissens allenfalls gehorsames Schweigen, vgl. auch Hinze 2018, 130). Dabei ist doch gerade der Dissens und der Konflikt durch die kritische Theorie nicht nur für das Überleben (demokratischer) Gesellschaften hervorgehoben, sondern auch für das Vorhandensein divergierender Meinungen in kirchlichem Kontext betont worden. Letztlich verdeutlichen die durch statistisch belegbare Entscheidungen von Gläubigen, ihr Heil außerhalb der Kirche zu suchen, eben diesen Dissens, der sich als Ausdruck den Austritt sucht.

      Deswegen ist es drittens sinnvoll, den theologischen Gedanken des ‚differenzierten Konsens‘, wie er im Rahmen der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigung 1999 formuliert wurde, auch innerkirchlich weiterzudenken (ebenda § 50; vgl. Hinze 2018, 131) Die Erkenntnis also, dass die Themen, in denen ein Konsens herrschen sollte, von den Themen, in denen es unterschiedliche Tradition geben kann, differenziert werden sollten. Dies würde auch der in der Ökumenekonstitution des II. Vatikanums, Unitatis redintegratio, betonten Hierarchie der Wahrheiten entsprechen. In diesem Sinne ist die Studie konsequent weiterzudenken auf ihren theologischen Kerngehalt der Ekklesiologie hin,

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