Religion und Bildung in Kirche und Gesellschaft. Группа авторов

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Religion und Bildung in Kirche und Gesellschaft - Группа авторов Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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ihrem und seinem Gott um ein Leben in Fülle für alle Menschen geht; und er spricht von diesem Gott nur in der Weise, dass er zugleich von den Menschen spricht, und zwar gerade von denen, die ganz unten um ihr Leben zu kämpfen haben, ganz so wie die junge Brasilianerin und der unbekannte Sprayer in Brandenburg. Das Evangelium kehrt erwartete Perspektiven um.

      Die Konsequenzen aus dieser Umkehr zeigt Susin in einem soeben erst für Misereor geschriebenen Text „Die Letzten und das schöpferische Chaos“ an der Ankündigung des Weltgerichts im 25. Kapitel des Matthäusevangeliums. Er erinnert daran, dass Gottes Gericht in der traditionellen Vorstellung eine vernichtende Macht ist, die „von oben“ kommt. Das 25. Kapitel des Matthäusevangeliums nun enthält eine Gerichtsankündigung, die diese Richtung umkehrt: „nicht von oben kommt das Gericht, sondern von unten; nicht von göttlicher Hoheit, sondern von menschlicher Erniedrigung kommt es her“ (Susin 2011), von den Letzten13, den Benachteiligten und Kleingemachten, denen, die in ihrem Menschsein gedemütigt und verwundet sind. Die Letzten sind es, die zum Maßstab für Gottes Gericht werden. Gott hält im Menschsein seines mit den Letzten identifizierten Sohnes Gericht. Wenn sein Gericht nun im gedemütigten Menschsein des Sohnes schon gekommen ist, erhalten dadurch alle mit Gott die Chance, Richter der Welt zu sein – nicht um zu verurteilen, sondern um eine gerechte Ordnung der menschlichen Beziehungen herbei zu führen. Denn das ist die Aufgabe des Richters von alters her.

      „So ist das Gericht der Letzten eine gute Nachricht: Vorweggenommen in einer Situation der Schwäche und des Flehens, eröffnet es in der uns geschenkten Zeit wie eine Zukunft die Chance, die Geschichte von Ungerechtigkeit und Würdelosigkeit umzukehren. Noch können wir den Letzten zu Hilfe eilen. Der Richter kommt nicht mit Macht von oben, sondern klopft mit flehender Demut an unsere Tür, murmelt eine Bitte, enthüllt seine traurige Nacktheit mit Augen, deren Anfrage uns nicht loslässt. Er wendet sich an unsere eigene Verwundbarkeit, an unsere Zärtlichkeit und an unser Mitleiden, das schöpferische Kräfte mobilisieren kann. Identifiziert mit den Letzten kommt der Richter nicht zur Androhung unserer Verurteilung, wenigstens noch nicht – allerdings drängt die Zeit – sondern zu unserer eigenen Rettung. Er macht unsere Zeit zur Zeit der Umkehr, in der wir zu ‚Richtern’ an der Seite der Letzten werden. […]

      Heute ist die Zeit des Gerichts, das von den Letzten gehalten wird. So wie dem Gott Jesu, so ist auch den Letzten weit mehr an Hilfe und Gerechtigkeit, um leben zu können, gelegen als an Verurteilung und daran, dass Leben und Sterben der Armen weiter vom Unrecht beherrscht wird. In diesem Sinn eröffnet das Wort des Evangeliums, das vom Menschensohn als Richter über die Völker spricht, schon jetzt das Gericht: als Chance, Recht zu schaffen und für eine gerechte Welt das Gute ins Werk zu setzen. […]

      All jene, die sich um die Ordnung der Welt bemühen, brauchen sich daher vor dem Gericht nicht zu fürchten, denn sie werden zu Gefährten des Richters, der über die Ordnung der Welt urteilt: Was den Gott Jesu interessiert, ist, dass die Hörer sich neben den Richter stellen und von Gerichteten zu Richtern mit ihm werden und sich in der ihnen gegebenen Zeit für die Ordnung der Welt einsetzen. Das ist die Zeit der Rettung. Dieses Evangelium vertreibt jede Angst vor Verurteilung und bewirkt, mit allen Kräften, den Einsatz für eine gerechte Welt. Es ist eine gute Nachricht.“ (Susin 2011)

      Wenn Schillebeeckx sagt, dass unser Nein zu einer heillosen Situation – das uns in seinem Ursprung ein Geheimnis bleibt – und unser in seinem Ursprung uns genauso entzogenes Ja zu einer anderen, besseren Welt für Christen ein Gesicht bekommen hat in Jesus Christus, so zeigt Susin, dass das Evangelium dieses Jesus Christus in zweifacher Richtung weiter geht. Menschen, die sich angesichts der demütigenden Situation der Letzten – die nur noch darum kämpfen, im sozialen Chaos nicht völlig unterzugehen – empören und mit ihnen solidarisch sind, indem sie alles tun, um Menschen aufzurichten und in Beziehungen des Unrechts und der Unterdrückung Recht und Freiheit wiederherzustellen, müssen Christus weder kennen noch bekennen; dennoch wirken sie an dem Ordnung schaffenden Gericht seines Gottes mit. Diejenigen nun, für die ihre Grunderfahrung von Empörung und Solidarität ein menschliches Antlitz in Jesus Christus bekommen hat, den ihnen die Evangelien vor Augen stellen, lassen sich damit auch die gute Nachricht zusprechen: dass ihr eigenes sie befreiendes Gericht schon stattfindet, wenn sie einen oder eine der Letzten aufrichten.

      Hier nun geht Susin noch einen Schritt weiter, in Richtung auf die Theologie, die sich von der Grunderfahrung von Empörung und Solidarität inspirieren lässt: In kreativer Weiterführung der Theologie der Befreiung beschreibt Susin eine Theologie, die an der Aufrichtung der Letzten Anteil hat. Das Portugiesische hat ein Wort für „denken“, das zugleich „verbinden und versorgen von Wunden“ bedeutet: „pensar“. Frucht des Denkens in diesem Sinn ist die Theologie der Christen, die aus der Grunderfahrung von Empörung und Solidarität heraus das Verlangen haben, alles zu tun, um die Beziehungen zu verändern, die Menschen nach unten drücken, und ihnen dabei beistehen, sich aufzurichten. Das Denken dieser aufrichtenden Theologie ist kein Denken, das vorgibt, rein objektiv im Sinne einer unerreichbaren Neutralität zu sein. Es ist Sorge um Verletzungen, Verbinden von Wunden.

      Darin sieht Susin den Beitrag, den die Befreiungstheologie geleitet hat, die in Lateinamerika eben dadurch entstanden ist, dass sie auf den Hilferuf der von Gewalt Verletzten gehört hat und „sich hat befruchten lassen von der Leidenschaft derer, die mit dem Öl von Hoffnung und Widerstandskraft die Wunden versorgen“ (Susin 2000, 11). Diese Theologie nun, „die sich dem Schmerz nicht verweigert und ganz nah am Leben denkt, die den Träumen und Utopien hilft, ihren Ort zu finden, an dem sie geboren werden und zu Gestalten, die das Geschenk des Lebens feiern wachsen können“ (Susin 2000, 11), erwächst aus dem angedeuteten Zusammenhang von Empörung und Religion. Als christliche Theologie stellt sie sich unter das Evangelium vom Gericht des mit den Gedemütigten identifizierten Gottes, indem sie auf eine gerechte Weltordnung und auf Beziehungen hinarbeitet, in denen sich die Gedemütigten aufrichten können.

      Das ist die Theologie, für die Norbert Mette steht. Eine solche Theologie bleibt immer angreifbar. Sie drängt sich nicht auf. Im Angesicht derer, die wissenschaftliche Objektivität suchen oder die Übereinstimmung mit kirchlicher Lehre, kann sie ihr Recht nicht verteidigen, ohne die Empörung und den Glauben und damit die Subjektivität dessen ins Spiel zu bringen, der diese Theologie verantwortet. Ihre Angreifbarkeit braucht den Dialog, die Zusammenarbeit, das Zusammenstehen. Sie braucht Vertrauen und Verlässlichkeit. Zugleich bietet sie denen Vertrauen und Verlässlichkeit, deren Theologie dazu beitragen möchte, dass Menschen sich aufrichten.

      Literatur

      Mette, N., „Die Situation wird immer unübersichtlicher“ (K. E. Nipkow). Umgang mit religiöser Pluralität in der Religionspädagogik – ein Seitenblick in eine praktisch-theologische Nachbardisziplin, in: PthI 30 (2010), H. 1, 84-96.

      Schillebeeckx, E., Menschen. Die Geschichte von Gott, Freiburg/Basel/Wien 1990.

      Susin, L.C., „Os pequeninos e o caos criativo“ – Die Letzten und das schöpferische Chaos, unveröffentlichter Text, der im Arbeitsheft zum Misereor-Hungertuch 2011 erscheinen wird (Hg.: Bischöfliches Hilfswerk Misereor, Aachen 2011). Übersetzung H.M.

      Susin, L.C. (Hg.), Sarça ardente. Teologia na América latina: prospectivas, São Paulo 2000. Übersetzung H.M.

      12 Die ermutigende und inspirierende Weggemeinschaft mit Norbert Mette geht bis in meine Zeit in Brasilien (1983-1994) zurück. Seit Beginn meiner Arbeit im Missionswissenschaftlichen Institut Missio e.V. Aachen, belegt sie mein persönlicher Rechner mit mehr als 150 Dokumenten. Von Anfang an war Norbert Mette maßgeblich daran beteiligt, dass es im Austausch zwischen deutschen, französischen und brasilianischen Theologinnen und Theologen und Kirchen zu wirklichen Lernprozessen kam.

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