Religion und Bildung in Kirche und Gesellschaft. Группа авторов
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Rahner, K., Theologische Deutung der Position des Christen in der modernen Welt, in: Ders., Sendung und Gnade. Beiträge zur Pastoraltheologie, Innsbruck/Wien/München 31961, 13-47.
9 Ich nutze den Begriff „Migrationsgemeinden“ als Oberbegriff für neuere Migrationskirchen, katholische Missionen etc.
10 Zu neueren Migrationskirchen vgl.: Bergunder, M./Haustein, J. (Hgg.), Migration und Identität. Pfingstlich-charismatische Migrationsgemeinden in Deutschland, Frankfurt a.M. 2006; Währisch-Oblau, C., The Missionary Self-Perception of Pentecostal/Charismatic Church Leaders from the Global South in Europe. Bringing back the Gospel, Leiden/Boston 2009; Röthlisberger, S./Wüthrich, M.D., Neue Migrationskirchen in der Schweiz, Bern 2009.
Ulrich Kuhnke
Heimatrecht für den Samariter Ein Plädoyer
Als ich einmal den Pfarrer einer Ruhrgebietsgemeinde, die mit ihren sozialen Einrichtungen die größte Arbeitgeberin der Stadt ist, fragte, was denn das Christliche eines Krankenhauses oder einer Alteneinrichtung sei, gab er mir zur Antwort: die Qualität der Pflege; und deshalb sei das Entscheidende für die Profilbildung der kirchlichen Diakonie, in ihr Personal zu investieren. Diese Antwort mag überraschen, sehen viele doch gerade darin das Problem, dass sich die diakonischen Organisationen von Wertegemeinschaften zu Dienstleistungsunternehmen gewandelt haben, in denen fachliche Qualitätsmerkmale weltanschauliche Motive überlagern, wenn nicht verdrängen. Eine gut funktionierende Einrichtung der Kirche ist dann eben nicht mehr zu unterscheiden von einer ebenso qualitätvollen Einrichtung eines nichtkirchlichen Trägers. Leitbildprozesse, die dieses Identitätsproblem lösen wollen, erscheinen dann oftmals als Versuch einer Ideologisierung, die im Alltagshandeln und Bewusstsein der Subjekte keinerlei Relevanz besitzt.
Die zitierte Antwort könnte noch in einer anderen Weise missverstanden werden: Wenn schon eine Institution nicht ausweisen kann, worin ihre christliche Identität besteht, dann sollen wenigsten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch den Motivhintergrund ihres beruflichen Handelns diese Identität verbürgen. Diese Strategie, das christliche Proprium zu retten, wäre erst recht problematisch. Eine Umfrage des Allensbach-Instituts, die der Caritasverband im Zusammenhang seines Leitbildprozesses Ende der 90-er Jahre in Auftrag gegeben hatte, hat schon damals gezeigt, dass ein nicht geringer Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Motive, die den eigenen Glauben betreffen, nicht mit ihrer beruflichen Praxis in Zusammenhang bringen (wollen). Nur etwas mehr als der Hälfte der Befragten (57%) war dieser Zusammenhang wirklich wichtig.
Fragte man heutige Studierende der Sozialen Arbeit oder der Pflegewissenschaft, wie wichtig es ihnen ist, dass sie den Glauben bei ihrer Arbeit mit einbringen können, dann ist zu vermuten, dass das Ergebnis noch deutlicher ausfiele. Wenn ich meinen Studentinnen und Studenten diese Frage als Einstieg in eine Seminardiskussion vorlege, erhalte ich in der Regel folgende Antworten: Je nach Zusammensetzung des Seminars, die bereits durch das Interesse für theologische oder ethische Fragen beeinflusst ist, antworten nur noch 10 – 15 %, dass ihnen das „Einbringen des Glaubens“ wichtig ist, die übrigen Antworten teilen sich in etwa auf zwischen „nicht so wichtig“ und „gar nicht wichtig“. Nun könnte man vermuten, dass nicht alle, die so geantwortet haben, bei einem kirchlichen Träger arbeiten möchten. Genau dies ist aber der Fall: 90 – 95 % der Seminarteilnehmerinnen und Seminarteilnehmer können sich vorstellen, in einer Einrichtung des Caritasverbandes oder des Diakonischen Werkes zu arbeiten, wobei 50 – 65 % einen nichtkirchlichen Träger vorziehen würden.
Die kirchlichen Arbeitgeber müssen also damit rechnen, dass sie in Zukunft auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen sein werden, denen es kaum oder gar nicht wichtig ist, ihre berufliche Tätigkeit mit ihrem Glauben in Verbindung zu bringen. 60 – 75 % können sich sogar einen Caritasverband oder ein Diakonisches Werk ohne Bindung an die Kirche vorstellen. Damit entfällt nicht nur die Möglichkeit, die Identitätsfrage christlicher Diakonie auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verlagern. Die Kirchendistanz, die in den Umfragewerten enthalten ist, erzeugt auch ein nicht unerhebliches Konfliktpotential, unterliegen die kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter doch innerhalb des „Organisationssegments“ der Kirchen normativen Erwartungen, die in anderen Bereichen der Kirche und erst recht der Gesellschaft nicht mehr plausibel sind.
Folgt man dem bekannten Diktum Dietrich Bonhoeffers, dass Kirche nur Kirche ist, wenn sie für andere da ist, dann handelt es sich hier aber nicht mehr nur um ein Identitätsproblem der diakonischen Einrichtungen. Vielmehr ist es ein ekklesiologisches Problem, wenn eine für das Kirchesein der Kirche konstitutive Grundfunktion weithin von Menschen erfüllt wird, die zur Kirche auf Distanz gehen oder gar nicht zu ihr gehören wollen.
Als Unterbrechung dieser widersprüchlichen Praxis ist auf die Erzählung vom Samariter (vgl. Lk 10,30-35) zu verweisen. Die Erzählung, mit der im Lukasevangelium geradezu modellhaft erläutert wird, was christliche Praxis in ihrem Kern bedeutet, ist geprägt von dem Kontrast zwischen denen, die blind sind für die Not anderer und demjenigen, der die Not wahrnimmt und Not wendend handelt. Es ist bis heute irritierend, dass dieser Kontrast mit Figuren aufgebaut wird, deren Rollen auch religiös definiert sind. Während einige einen antiklerikalen, mindestens kultkritischen Akzent heraushören, versuchen die anderen Gründe anzuführen, die die Priester in der Geschichte entlasten könnten. Ich vermute hingegen, dass mit der Einführung von Priester und Levit hintergründig die theologische Aussage der Erzählung angelegt ist, die ja ansonsten ganz und gar profan bleibt. Wenn diejenigen, die für die Verrichtung des Kultes zuständig sind, nicht in der Lage sind, richtig zu sehen und richtig zu handeln, ist damit die Frage des Gottesdienstes, die Frage, wie Gott gedient wird, in die Geschichte eingetragen. Diese Frage entscheidet sich an der Compassion, also der Wahrnehmung der anderen in ihrem Leid. Dass im Kontrast zu den religiösen Repräsentanten ein Andersgläubiger, der andere schlechthin, zum Vorbild dieser Praxis wird, ist bis heute provokant und gerade darin für die aufgezeigte Aporie christlicher Diakonie bedeutsam.
Dann nämlich ist es für den christlichen Charakter diakonischer Praxis unerheblich, von wem und mit welchem Glauben sie ausgeübt wird. Allein entscheidend ist, dass sie im Blick auf den anderen, auf seine Notsituation erfolgt. Dies schließt, wie die Samaritererzählung auch belegt, unbedingt die Qualität des Handelns ein. Was dort in einer Reihe von drei mal drei Verben11 als ideale Praxis vorgestellt wird, entspricht auch fachlich einer richtigen Erstversorgung, von der Desinfektion und dem Verbinden der Wunde, über den Krankentransport bis hin zur Delegation an den Fachmann, einschließlich der Kostenübernahme. Der eingangs zitierte Pfarrer hat also Recht: Es ist die Qualität der Pflege, die mit Blick auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten erfolgt, in der sich der christliche Charakter eines Krankenhauses offenbart. Das Gleiche gilt selbstverständlich für jede andere Form helfender Beziehung.
Voraussetzung dafür, dass Menschen in diesem Geiste, der kein anderer als der Geist Jesu ist, arbeiten können, ist allerdings, dass ihnen dafür auch der Freiraum eingeräumt wird. Es kann nicht sein, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diakonischen Einrichtungen ihre tatsächlichen Einstellungen oder persönliche Lebensführung verbergen müssen, wenn diese kirchlichen Normen widersprechen. Offenheit ist ganz besonders dann gefordert, wenn ethische Fragen anstehen oder die tragenden Motive der diakonischen Praxis zur Sprache kommen. Sowohl für das Selbstverständnis der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch für das gemeinsame Selbstverständnis im Team, in einer Abteilung, einer Einrichtung, eines Verbandes ist es unerlässlich, dass die eigentlichen Beweggründe zur Sprache kommen können. Dies allerdings erfordert eine herrschaftsfreie Kommunikation, in der sich die einzelnen so wahrgenommen fühlen, wie dies der Compassion in ihrer Praxis entspricht.
Vielleicht ist es