Tatort Oberbayern. Jürgen Ahrens

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Tatort Oberbayern - Jürgen Ahrens

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einfallsreichen Schlagzeilen und schaute sich die Fotos von Adelhofer näher an. Skilehrertyp, dachte sie. Robert Adelhofer sah nicht nur so aus, er war tatsächlich Skilehrer und Bergführer gewesen, als ihn noch niemand kannte. Aus dieser Zeit grinste ihr von den Fotos der typische Vorzeige-Bayer aus dem Alpenvorland entgegen, mit dunkelblonden Locken, braungebranntem Gesicht und schlanker, hochgewachsener Figur. »Mit seinem charmanten Lächeln erobert er jede Frau im Sturm«, sinnierte die »Society«.

      Katharina bezweifelte, dass Robert Adelhofer das bei ihr gelingen würde.

      Dann kamen die Storys über das Ereignis, das Adelhofer berühmt gemacht hatte. Mit 24 Jahren, am 17. Oktober 2014, war er von Ramsau aus Richtung Watzmann aufgebrochen, dem bayerischen Schicksalsberg, an dem diverse Bergsteiger ihr Leben gelassen hatten. Es war der letzte schöne Herbsttag – für den Tag danach war ein Wetterwechsel angekündigt. Es wären nicht mehr viele Bergsteiger unterwegs. Genau so hatte Adelhofer das geplant. Eingeweiht war nur sein älterer Bruder Lukas, der ihn auf der Tour begleitete. Mit ihm hatte er zwei Jahre vorher eine Watzmann-Überquerung gemeistert, beide Brüder kannten die Gegend gut. Lukas Adelhofer wusste, dass er allein würde zurückgehen müssen. Robert wollte einen Winter lang in den Bergen überleben – ohne Unterstützung, ohne Vorräte, seine persönliche Challenge, wie er später erklärte. Lukas sollte das seinen Eltern mitteilen – ohne zu erwähnen, wo Robert losgelaufen war, und mit dem Hinweis, dass man ihn nicht suchen solle. Es würde ihn sowieso niemand finden, dafür werde er sorgen.

      Dass nicht nur die Eltern Adelhofer, sondern einige Wochen später alle großen Boulevardblätter von Adelhofers Challenge erfahren hatten, lag laut Lukas Adelhofer daran, dass Roberts Abwesenheit natürlich aufgefallen war. Er habe sich irgendwann entschlossen, bei Nachfragen von Roberts Challenge zu berichten, um wilden Gerüchten vom Tod in den Bergen vorzubeugen.

      Irgendjemand müsse wohl die Presse verständigt haben. Ob das stimmte, war mehr als fraglich. Wahrscheinlicher erschien eine Absprache zwischen Robert und Lukas Adelhofer, nach der Lukas nach einiger Zeit an die Öffentlichkeit gehen würde. Der jüngere Bruder schloss auffallend schnell einen Exklusivvertrag mit einer Klatschzeitung und dem Privatsender »Monaco TV« ab und gab bereitwillig Auskunft über alle Details aus dem Leben von Robert und seiner Familie. Nur wo sich sein Bruder aufhielt und wo er ihn zuletzt gesehen hatte, das verschwieg er beharrlich. Da es keinerlei Anhaltspunkte gab, wie sie an Exklusivfotos von Adelhofer herankommen könnten, sparten sich sogar die hartgesottensten Klatschblätter die Suche nach dem Abenteurer. Stattdessen bekam der interessierte Leser Fotostrecken geliefert vom jungen Bergsteiger aus Breitbrunn am Chiemsee – Robert beim Klettern, Robert als Kind im Kuhstall, Robert als Jugendlicher auf einer Motorradtour durch Oberbayern, Robert beim Knutschen auf einer Party. Nichts war banal genug, es nicht zu zeigen.

      Und beautiful Robert traf offenbar einen Nerv: Auf dem Adelhofer-Hof in Breitbrunn stapelten sich die Briefe weiblicher Verehrerinnen, die anboten, den armen Robert nach seiner Challenge aufzupäppeln – spätere Eheschließung nicht ausgeschlossen. Robert Adelhofer war schon berühmt, bevor er fünf Monate später, an einem klaren Märztag, wiederauftauchte. Bergsteiger begegneten am Fuß des Watzmann einer vollkommen ausgemergelten Gestalt, übelriechend, mit langem Haar, langem Bart, langen Fingernägeln – an neun Fingern, an der linken Hand fehlte der Mittelfinger – und vollkommen zerfetzter Kleidung. Der Mann gab an, Robert Adelhofer zu sein, und ließ sich von den Bergsteigern nach unten begleiten. »Der schöne Robert – nur noch Haut und Knochen«, stand unter dem ersten Foto von Adelhofer nach seiner »Wiedergeburt«. Tatsächlich sah er relativ abgemagert aus und das penetrante Siegerlächeln war auf diesem Foto nicht vorhanden. Das sollte sich schnell ändern. Der junge Star zog sich für zwei Wochen auf den Hof seiner Eltern zurück. Währenddessen gab er »Monaco TV« kurze Exklusivinterviews. Deutschland konnte daran teilhaben, wie Robert langsam wieder »beautiful« wurde.

      Nach 14 Tagen folgte ein ausführliches Gespräch mit »Monaco TV« und die Presse jubelte: »Robert ist zurück.« Weiterhin verging kein Tag ohne Fotos von Robert Adelhofer in den Zeitungen, meist in Begleitung ständig wechselnder Frauen.

      Wie gut, dass es ihn nur einen Finger gekostet hat, dachte Katharina entnervt, während sie sich durch den Wust von Artikeln wühlte, die spannende Themen behandelten wie Roberts Lieblings-Schweinsbraten-Rezept und Roberts Meinung zur Potenzpille Viagra.

      Weil Adelhofer sich so gut vermarkten ließ, wurde ihm von »Monaco TV« schnell eine eigene Fernsehshow angeboten. »Krise« hatte von Anfang an top Einschaltquoten und Deutschland diskutierte eine Woche lang über die Frage, ob das für die Sendung gewählte Logo geschmacklos oder progressiv war: Robert Adelhofers Gesicht groß im Hintergrund und vorne Roberts linke Hand, deren Zeige- und Ringfinger das Victoryzeichen formten. Dazwischen deutlich zu sehen: die Narbe des fehlenden Mittelfingers. Und drunter der Slogan: »Krise überleben – bei Robert reden.« Das Konzept der nachmittäglichen Talkshow bestand darin, dass Adelhofer Menschen zu Gast hatte, die entweder in einer Krise steckten oder diese bewältigt hatten. Bei den Gesprächen mit seinen Gästen weinte er gerne auch mal, wenn sich die Gelegenheit bot.

      Mit Grausen dachte Katharina an die Sendung zurück, die sie sich einmal angeschaut hatte: Adelhofer hatte eine Frau zu Gast gehabt, deren achtjähriges Kind bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war und die in den Jahren danach drei Totgeburten erlitten hatte. Nachdem ihr Mann sie verlassen hatte, überlebte sie nur mit starken Beruhigungsmitteln und weiteren Psychopharmaka. Adelhofer schaffte es, dass die Frau ihre Gefühle vor dem Fernsehpublikum ausbreitete, und fing schließlich mit den Worten »ich spüre ganz intensiv, wie Sie sich fühlen, das tut weh, so unendlich weh« selbst an zu weinen.

      Katharina hatte damals angewidert aus- und nie wieder eingeschaltet.

      Aber »Krise« lief inzwischen fast vier Jahre höchst erfolgreich und Deutschland teilte sich in zwei Lager: Robert-Adelhofer-Fans und Robert-Adelhofer-Hasser. Der Sender hatte erreicht, was er wollte. Den 29-jährigen Adelhofer kannten inzwischen 80 Prozent der Deutschen zwischen 10 und 70 Jahren. Und das, obwohl die Sendung nur einmal in der Woche lief, mittwochs von 14 bis 16 Uhr.

      Die Quoten hatten sich an diesem Tag derart vervielfacht, dass der Sender »Krise« am liebsten täglich ausgestrahlt hätte. Robert hatte abgewunken.

      Clever. Er verbrauchte sich nicht so schnell, dachte Katharina.

      Und jetzt die Biografie. Von jeder zweiten Litfaßsäule grinste derzeit Robert Adelhofer und streckte seine verstümmelte Hand ins Bild. Die erste Auflage war schon vor dem Erscheinen ausverkauft, der Verlag kam mit dem Nachdruck kaum hinterher. Das musste als Adelhofer-Background-Wissen reichen, beschloss Katharina und packte ihre Sachen zusammen.

      Als sie gerade zur Tür raus wollte, klingelte das Telefon, Birgit:

      »Kommst du zum Klamottenwechsel? Ich habe außerdem noch eine nette Randinfo gefunden.«

      »Ich war sowieso gerade auf dem Weg zu dir runter.« Katharina überlegte, welche Quelle ihre Freundin angezapft hatte. Birgit hackte sich gern in verschlüsselte Dateien von Polizei oder Staatsanwaltschaft und gab die Infos mit Unschuldsmiene an Katharina weiter. Während sie sich im Archiv in eine braune Seidenbluse und den besagten beigefarbenen Blazer warf und von Birgit durch zustimmendes Nicken das Okay für dieses Outfit bekam, berichtete die Archivarin:

      »Im Stehsatz der ›Abendausgabe‹ gibt’s einen Artikel, bisher noch nicht erschienen. Lukas Adelhofer soll völlig abgestürzt sein, alkoholabhängig, arbeitslos, hat wohl erfolglos versucht, in Rosenheim Immobilien zu verkaufen, und vegetiert auf dem Hof seiner Eltern vor sich hin, nimmt Antidepressiva und ist ziemlich am Ende.«

      »Ehrlich gesagt, Birgit, finde ich die Tatsache, dass du dich in die Datenbank der ›Abendausgabe‹ eingehackt hast, genauso interessant wie den abgestürzten Lukas, danke für beides!«

      Birgit

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