Herausforderungen für die Berufsbildung in der Schweiz. Markus Mäurer
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Von zentraler Bedeutung ist u. a. die Einschätzung der Innovationsfähigkeit des Systems. Auch in dieser Hinsicht leistet die Schweiz Erstaunliches, was wohl letztlich eng mit dem politischen System zusammenhängt.
Herausgehoben sei in diesem Zusammenhang etwa die Rolle der Lehrstellenkonferenz, die Bund, Kantone und Organisationen der Arbeitswelt einmal jährlich zusammenbringt. Entstanden zu Zeiten der Lehrstellenkrise, entwickelte sich dieses Gremium, in dem die Gewerkschaften, Gewerbe- und Arbeitgeberverband und die fünf im Bundesrat vertretenen Parteien präsent sind, zu einer informellen und meinungsbildenden Instanz, die über die Zukunft der beruflichen Bildung berät und entsprechende Weichen stellt. In der jüngsten Zusammenkunft am 23. November 2012 wurden unter anderem im Zusammenhang mit dem Strukturwandel und der «Deindustrialisierung» die Nachholbildung, die höhere Berufsbildung und Berufsmaturität für die nächsten Jahre als besonders zu bearbeitende Bereiche definiert (EVD & BBT 2012).
Für die Meinungsbildung und Legitimität der Berufsbildung und Berufsbildungsreform sollte man aber auch die Rolle von Organisationen wie der schon seit Längerem bestehenden Schweizerischen Gesellschaft für Angewandte Berufsbildungsforschung (SGAB) nicht unterschätzen. In jüngster Zeit haben sich vermehrt auch wissenschaftliche Akteure von Universitäten, Fachhochschulen (einschliesslich des Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung) sowie private Büros mit Expertisen und Thinktanks zu Wort gemeldet. Sie alle lassen die Berufsbildung heute vielstimmiger erscheinen.
In diesem Buch geht es um eine «dichte Beschreibung» einzelner Teile oder Aspekte des Systems, aus der sich Schlüsse ziehen lassen für das Gesamt. Ausserdem sollte auch ein Entwicklungspotenzial sichtbar werden. Das vorfindbare Wissen wird in einen Deutungskontext eingebunden und durchaus bewertet. Insofern dominiert stark die Deskription, die sich im Wesentlichen auf vorhandene Daten und Dokumente stützt.
Inhaltlich ist das Buch entlang je spezifischer Fragen (und der damit verbundenen Herausforderungen) aufgebaut.
Markus Maurer beleuchtet für die Berufsbildung die Arbeitsmarktperspektive, die wiederum durch den Fachkräftemangel jüngst in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt ist.
Esther Berner geht dem immer wieder von allen Seiten beschworenen Aspekt der «Verbundpartnerschaft» in der Berufsbildung nach.
Der oft in vielerlei Facetten stattfindenden Diskussion um die Finanzierung der Berufsbildung ist ein Kapitel von Markus Maurer gewidmet.
Markus Maurer beleuchtet in Zusammenarbeit mit Silke Pieneck auch die Frage der Reform von Berufsbildern in der beruflichen Grundbildung.
Claudio Caduff und Daniela Plüss ziehen eine kritische Bilanz im Bezug auf die Reformen im Unterricht an Berufsfachschulen in der Allgemeinbildung.
Philipp Gonon zeichnet die Entstehung und heutige Stellung der Berufsmaturität als eine wichtige Reform der 1990er-Jahre bis heute nach.
Zusammen mit Evi Schmid stellt Philipp Gonon auch die heute brennenden Fragen der Positionierung und Finanzierung der höheren Berufsbildung dar und würdigt sie in ihrer Bedeutung.
Stefanie Stolz beleuchtet die Frage, inwiefern die Übergänge in die Berufsbildung mit oder ohne Reibungsverlusten verlaufen.
Evi Schmid untersucht in ihrem Beitrag, wie die berufliche Integration von jungen Erwachsenen erfolgt.
Désirée Anja Jäger widmet ihre Darstellung und Überlegungen den Herausforderungen durch die Europäisierung der Berufsbildung.
Gerahmt werden diese Beiträge durch die Einleitung und Synthese der beiden Herausgeber.
Das Buch ist entstanden als gemeinsames Projekt des Lehrstuhls für Berufsbildung an der Universität Zürich. Wir haben von vielen Expertinnen und Experten im Bereich der Berufsbildung Rückmeldungen zu den einzelnen Kapiteln erhalten. Ihnen sei an dieser Stelle gedankt. Für verbliebene Fehler, irrtümliche Deutungen und Missverständlichkeiten sind die jeweiligen Autorinnen und Autoren bzw. die Herausgeber verantwortlich.
Wir hoffen, dass diese Veröffentlichung einen Beitrag leistet, die Diskussion um die Berufsbildung zu bereichern, aber auch hinsichtlich der Herausforderungen klärend zu wirken.
Zürich, im Dezember 2012
Literatur
Akademien der Wissenschaften Schweiz (2009). Zukunft Bildung Schweiz. Anforderungen an das schweizerische Bildungssystem 2030. Bern: Akademien der Wissenschaften Schweiz.
Bosch, G., Krone, S., & Langer, D. (Hrsg.) (2010). Das Berufsbildungssystem in Deutschland. Aktuelle Entwicklungen und Standpunkte. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Busemeyer, M., & Trampusch, C. (Hrsg.) (2012). The Political Economy of Collective Skill Formation. Oxford: Oxford University Press.
EVD & BBT (2012). Lehrstellenkonferenz 2012 – Massnahmenpapier «Deindustrialisierung/ Strukturwandel». Bern: Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement/Bundesamt für Berufsbildung und Technologie.
Gonon, P. (2012). Entstehung und Dominanz der dualen Berufsbildung in der Schweiz. In M. Bergman, S. Hupka-Brunner, T. Meyer & R. Samuel (Hrsg.), Bildung – Arbeit – Erwachsenwerden. Ein interdisziplinärer Blick auf die Transition im Jugend- und jungen Erwachsenenalter (S. 221–242). Wiesbaden: Springer VS.
Hoffman, N. (2011). Schooling in the Workplace. How Six of the World’s Best Vocational Education Systems Prepare Young People for Jobs and Life. Cambridge: Harvard Education Press.
Meyer, T. (2009): Can «Vocationalisation» of Education Go too Far? The Case of Switzerland. European Journal of Vocational Training, 46(1), 28–40.
Sarasin, P. (2012). Mehr Maturanden bitte! Magazin – Die Zeitschrift der Universität Zürich, 21(4), 44–45.
Schellenbauer, S., Walser, R., Lepori, D., Hotz-Hart, B., & Gonon, S. (2010). Die Zukunft der Lehre: Die Berufsbildung in einer neuen Wirklichkeit. Zürich: Avenir Suisse.
Schweizerischer Bundesrat (Hrsg.) (2010): Sechs Jahre neues Berufsbildungsgesetz – Eine Bilanz. Bericht des Bundesrates über die Unterstützung der dualen Berufsbildung (in Erfüllung des Postulats Favre 08.3778). Bern.
Markus Maurer
Berufsbildung und Arbeitsmarkt zwischen Tertiarisierung und Fachkräftemangel
Herausforderungen für das duale Modell
Die Berufsbildung ist stärker auf den Arbeitsmarkt ausgerichtet als andere Bereiche des Bildungswesens. Während etwa auf der Sekundarstufe I der Übergang in die berufliche Grundbildung oder in eine andere weiterführende Ausbildung und am Gymnasium der Wechsel an eine Hochschule im Zentrum stehen, sind die Angebote der Berufsbildung so gestaltet, dass ihre Abgängerinnen und Abgänger nach einem Abschluss direkt in den Arbeitsmarkt eintreten können.
Im Allgemeinen herrscht nun in der schweizerischen Öffentlichkeit die Überzeugung, dass das Berufsbildungssystem des Landes gut auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts ausgerichtet sei. Häufig wird dabei die im internationalen Vergleich tiefe Jugendarbeitslosigkeit als wichtiger Indikator betrachtet (Donzé & Nowotny, 2012; EVD, 2011, S. 24; Strahm, 2008b). Diese als geglückt wahrgenommene Ausrichtung der schweizerischen