Herausforderungen für die Berufsbildung in der Schweiz. Markus Mäurer
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Das Ziel, in der Informatik 3000 neue Lehrstellen zu schaffen, ist freilich ambitioniert. Entsprechend ist es wenig erstaunlich, dass es der Dachverband auch begrüsst, wenn Kantone den Aufbau von Informatikmittelschulen vorantreiben (Grautmann, 2011). Dass die Förderung dieser stärker schulorientierten Form der beruflichen Grundbildung das Ziel der Schaffung neuer Lehrstellen unterminieren könnte, ist den Verantwortlichen sicherlich bewusst, doch angesichts des Mangels ausgebildeter Informatikerinnen und Informatiker nimmt der Verband dies in Kauf.
Massnahmen im Gesundheitsbereich
Grosser Fachkräftemangel herrscht auch in den Gesundheitsberufen, was eine der grossen aktuellen gesundheitspolitischen Herausforderungen darstellt. Offizielle Schätzungen gehen davon aus, dass bis ins Jahr 2020 jährlich rund 5000 Gesundheitsfachleute fehlen, mit denen der Bedarf an Nachwuchs – vor allem im Bereich der Pflegefachkräfte – abgedeckt werden könnte (BBT, 2010, S. 7). Der Mangel an in der Schweiz ausgebildetem Pflegepersonal ist freilich nichts Neues und wird bis heute vor allem durch die Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte entschärft. Doch vor dem Hintergrund der in den nächsten Jahrzehnten weiter wachsenden Nachfrage nach Dienstleistungen im Pflegebereich erachten die Bundesbehörden die Abhängigkeit von ausländischem Personal als nicht länger wünschbar (BBT, 2010, S. 8), was nach erhöhten Anstrengungen im Bereich der Personalerhaltung, aber auch der Ausbildung neuer Arbeitskräfte verlangt.
Zur Bestimmung von Massnahmen im Ausbildungsbereich der Pflegeberufe verfügen die Bundesbehörden heute grundsätzlich über mehr Möglichkeiten als noch vor der Revision des BBG. Denn mit dieser wurde die Regelungskompetenz über die Berufe und Ausbildungen im Gesundheitswesen von den Kantonen, in deren Auftrag bis dahin das Schweizerische Rote Kreuz Ausbildungsbestimmungen erlassen und eine zentrale Rolle bei der Durchführung der Ausbildungen gespielt hatte, an das BBT übertragen. Gleichzeitig brachte die Integration der Gesundheitsberufe in die Systematik des Berufsbildungssystems im Hinblick auf den Fachkräftemangel in dieser Branche neue Herausforderungen mit sich: Die bis zu diesem Zeitpunkt bestehenden Ausbildungen für die Gesundheitsberufe waren so zu reformieren, dass sie den branchenübergreifenden Bestimmungen des BBG für die berufliche Grundbildung bzw. für die höhere Berufsbildung entsprachen. Dies bedeutete zum einen, dass der Fokus der Ausbildungspolitik im Gesundheitsbereich nach 2002 stärker auf die Sekundarstufe II zu richten war, wo bis kurz vor der Revision nur die verhältnismässig niederschwellige Ausbildung für Pflegeassistenten (Schweizerisches Rotes Kreuz, 1993) angesiedelt gewesen war. 2002 – bereits im Hinblick auf die Revision des BBG – wurde die Ausbildung für Pflegeassistenten um eine Ausbildung für Fachangestellte Gesundheit ergänzt (Schweizerisches Rotes Kreuz, 2002b) und schliesslich durch die Attestausbildung für Assistenten Gesundheit und Soziales ersetzt (BBT, 2012b). Die vor der Revision des BBG bedeutendste Ausbildung im Pflegebereich, die zum Diplom als Pflegefachfrau bzw. Pflegefachmann führte, sollte also ihre Funktion als Eintrittspforte zu den Gesundheitsberufen verlieren (Schweizerisches Rotes Kreuz, 2002a). Zum anderen bedeutete die Integration der Gesundheitsberufe in die Berufsbildungssystematik, dass die Praxisanteile der Ausbildungen ausgebaut werden mussten, damit sie der Forderung des BBG nach einer starken Gewichtung der Bildung in beruflicher Praxis entsprachen. Weil die Ausbildungen in Gesundheitsberufen, insbesondere jene für Pflegefachleute, bis anhin primär schulisch organisiert waren, war die Umsetzung der Forderung – wie auch die Ausführungen unten noch zeigen werden – mit Schwierigkeiten verbunden.
Die Ausbildungsreformen im Bereich der Gesundheitsberufe führten zu einer Zunahme der Abschlüsse in diesem Bereich. Dies lag vor allem an der Ausbildung für Fachleute Gesundheit (FaGe), die im Jahr 2010 schweizweit am viertmeisten Antritte von Lehrverhältnissen verzeichnete (Blanchard, 2012; BBT, 2010, S. 14; 2012a, S. 15). Gleichzeitig nahm in den ersten Jahren nach der Revision des BBG die Zahl der Abschlüsse von Pflegeassistenten (nach altem Reglement) ab, was noch nicht durch die erst 2010 eingeführte EBA-Ausbildung für Assistenten Gesundheit und Soziales aufgefangen wurde (BBT, 2010, S. 14). Während der ersten Jahre nach der BBG-Revision sank auch die Zahl der Abschlüsse im Pflegebereich auf Tertiärniveau B. Dieser Rückgang konnte zahlenmässig jedoch durch den Aufbau von Angeboten von Fachhochschulen ausgeglichen werden, die vor allem in der Westschweiz als Schlüssel zu mehr Qualifikationen im Gesundheitsbereich betrachtet werden (BBT, 2010, S. 14; Seiler, 2012).
Auch wenn die Reform der Gesundheitsberufe dank der Einführung der FaGe-Ausbildung insgesamt zu mehr Abschlüssen im Gesundheitsbereich geführt hat, wird immer noch deutlich zu wenig Personal für den Gesundheitsbereich der Schweiz ausgebildet. So errechneten die Behörden auf der Basis der Anzahl zwischen 2000 und 2009 im Mittel ausgestellter Diplome, dass in den Jahren bis 2020 ein zusätzlicher jährlicher Nachwuchsbedarf von 2103 Abschlüssen auf der Sekundarstufe II und 2415 Abschlüssen auf der Tertiärstufe bestehe, was einem zusätzlichen Bedarf von 48 bzw. 51 Prozent entspricht (BBT, 2010, S. 38). Aus diesem Grund wurde 2010 der «Masterplan Gesundheitsberufe» lanciert, dessen Umsetzung vom BBT koordiniert wird. Dabei stehen zwei Aspekte im Vordergrund, auf die im Folgenden näher eingegangen werden soll: Zum einen soll eine bedarfsgerechte Zahl an Ausbildungs- und Praktikumsplätzen geschaffen werden. Zweitens soll die im Gesundheitsbereich noch nicht stark verwurzelte Bildungssystematik besser umgesetzt werden, und drittens sollen Massnahmen zur besseren Qualifizierung ausländischer Fachkräfte getroffen werden (BBT, 2010, S. 47–53).
Die Bereitstellung einer bedarfsgerechten Zahl an Ausbildungs- und Praktikumsplätzen ist deshalb wichtig, weil nur so mehr Abschlüsse auf der Sekundarstufe II möglich sind. Tatsächlich übertrifft die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen für die FaGe-Ausbildung das entsprechende Angebot um fünf bis zehn Prozent. Dieser Mangel an Ausbildungsplätzen wird mittlerweile mit dem Hinweis auf effektive Nettokosten für die ausbildenden Spitäler erklärt (BBT, 2010, S. 6, 16). Aus diesem Grund hat etwa der Kanton Bern beschlossen, die Spitäler zwar zur Beteiligung an der beruflichen Grundbildung zu verpflichten (Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern, 2010b, S. 163), jedoch gleichzeitig deren dadurch entstehende Mehrkosten über Zuschüsse aus dem Etat der Gesundheits- und Fürsorgedirektion zu decken. So werden seit 2009 sogenannte FaGe-Pauschalen ausbezahlt, die je nach Ausbildungstyp zwischen 5000 (Ausbildungsplatz ohne Berufsmaturität) und 20 000 Franken (Ausbildungsplatz mit Berufsmaturität) betragen (Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern, 2010a, S. 2). Der Kanton Zürich geht anders vor. Auch er verpflichtet die Spitäler zwar zur Ausbildung; die dadurch entstehenden Mehrkosten werden aber nicht von der Gesundheitsdirektion gedeckt, vielmehr wird von den Spitälern erwartet, dass sie die zusätzlichen Kosten im Rahmen der durch die Fallpauschalen gegebenen Möglichkeiten selbst übernehmen. Spitäler, die sich nicht an der Ausbildung beteiligen, haben eine Entschädigung in einen entsprechenden Fonds zu bezahlen (Kantonsrat des Kantons Zürich, 2011; Regierungsrat des Kantons Zürich, 2012).
Herausforderungen ergeben sich auch bei der Umsetzung der Bildungssystematik, wobei der Bund und die Behörden zum Teil unterschiedliche Vorstellungen haben, wie diese zu bewerkstelligen sei. Besonders kontrovers wird in diesem Zusammenhang die Rolle der Fachmittelschulen diskutiert, die nach drei Jahren über den Fachmittelschulabschluss – als Alternative zur FaGe-Ausbildung – direkt zu höheren Fachschulen (HF) und nach einem zusätzlichen, stark praxisorientierten Jahr über die