Herausforderungen für die Berufsbildung in der Schweiz. Markus Mäurer

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Herausforderungen für die Berufsbildung in der Schweiz - Markus Mäurer

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Hier plante der Bildungsrat zur Erhöhung der Zahl von FaGe-Abschlüssen die Schaffung eines Profils «Gesundheit und Naturwissenschaften» an Fachmittelschulen, deren Lernende nach drei Jahren einen Fachmittelschulabschluss und nach einem weiteren Schuljahr einen FaGe- und einen Berufsmaturitätsabschluss hätten erwerben können. So wollte man erreichen, dass die Lernenden nach Abschluss der Fachmittelschule direkt in den Arbeitsmarkt eintreten könnten und gleichzeitig die Möglichkeit erhielten, auf Stufe der höheren Berufsbildung eine Ausbildung (etwa als Pflegefachfrau/-mann) zu absolvieren (Bildungsrat des Kantons Zürich, 2006). Der Ausbildungsgang konnte allerdings nie angeboten werden. Dies lag primär an Vorbehalten des BBT, das diesen Weg zum Abschluss als FaGe als nicht mit den Vorgaben des BBG konform betrachtete, vor allem was den Anteil der Bildung in beruflicher Praxis betraf. Entsprechend wurde das geplante Studienprofil zwar geschaffen, doch führt es nun nach vier Jahren lediglich zur Fachmaturität und nicht zum EFZ FaGe (Bildungsrat des Kantons Zürich, 2011).

      Eine doppelte Herausforderung ergibt sich auch für die Fachmittelschulen in der Westschweiz, deren Ausbildungen im Gesundheitsbereich im Vergleich zur Deutschschweiz überproportional grosse Nachfrage erzeugt haben. Zum einen erwerben die meisten Studierenden bloss den Fachmittelschulausweis, der sie in Zukunft nur noch dazu berechtigen soll, ihre Ausbildung an einer höheren Fachschule (HF) fortzusetzen – und nicht an Fachhochschulen, wie dies zurzeit noch Praxis ist. Allerdings gibt es bis heute in der Westschweiz nur eine einzige höhere Fachschule im Pflegebereich – bezeichnenderweise im französischsprachigen Teil des Kantons Bern –, da die Westschweizer Kantone auf den Ausbau der Fachhochschulen setzen (BBT, 2010, S. 23). Zum anderen ist besonders für die Westschweizer Kantone auch der Zugang zur Fachhochschule über die Fachmittelschule noch mit grossen Unsicherheiten behaftet, da er grundsätzlich nur jenen Absolventinnen und Absolventen von Fachmittelschulen offensteht, die auch die Fachmaturität erworben haben. Da dies jedoch nur nach einem Praxisjahr in entsprechenden Einrichtungen der Gesundheitswesens möglich ist und Praktikumsstellen besonders in der Westschweiz rar sind, erwerben in der Westschweiz unterdurchschnittlich viele Schülerinnen und Schüler von Fachmittelschulen die Fachmaturität. Die Bundesbehörden, insbesondere das BBT, sind daher der Ansicht, dass die Westschweizer Kantone auf den Aufbau von höheren Fachschulen setzen sollten (BBT, 2010, S. 20, 23). Doch selbst in der Deutschschweiz ist der Status von Abschlüssen an vielerorts erst im Aufbau befindlichen höheren Fachschulen nicht ganz klar, was wegen der grossen Zahl von Arbeitskräften aus dem Ausland bei möglichen Studierenden Unsicherheit schafft und sicherlich auch seinen Teil dazu beiträgt, dass die Nachfrage nach HF-Ausbildungen hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist (BBT, 2010, S. 23).

       Ausblick

      Die Beurteilung der Frage, wie gut das Berufsbildungssystem auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts in der Schweiz ausgerichtet sei, hängt letztlich von der Perspektive ab: Die Befürworter der starken Stellung der Berufsbildung im schweizerischen Bildungssystem weisen mit einigem Recht darauf hin, dass die dual organisierte Berufsbildung in der Schweiz wesentlich dazu beiträgt, dass der Eintritt junger Menschen in den schweizerischen Arbeitsmarkt mit deutlich weniger Reibungen verbunden ist als in vielen anderen Ländern. Sicherlich trägt die gegenwärtige Form der beruflichen Grundbildung mit der starken Gewichtung der beruflichen Praxis auch dazu bei, dass die Kompetenzen der Absolventinnen und Absolventen im Wesentlichen den Erwartungen der Betriebe in den betreffenden Branchen entsprechen – und dass sich deshalb ihre Beteiligung an der Berufsbildung für sie auch lohnt. Umgekehrt ist die Kritik berechtigt, dass die Berufsbildung, insbesondere die Grundbildung, ungenügend auf den Dienstleistungsbereich ausgerichtet ist, und ebenso ist wohl korrekt, dass die starke Stellung der beruflichen Grundbildung auf der Sekundarstufe II zu einem gewissen Grad dazu beiträgt, dass die Zahl potenzieller Interessentinnen und Interessenten für akademische Ausbildungen insbesondere im MINT-Bereich der Nachfrage nach Fachkräften in diesem Bereich nicht entspricht.

      Wie aber wird sich die Ausrichtung des Berufsbildungssystems in den nächsten Jahren vor dem Hintergrund solcher Herausforderungen weiterentwickeln?

      Es ist davon auszugehen, dass die auch durch das BBG abgesicherte duale Ausbildungsform im Bereich der beruflichen Grundbildung – und damit besonders die starke Gewichtung der Bildung in beruflicher Praxis – massgebend bleibt. Eine Reform der entsprechenden Gesetzesbestimmungen würde durch die Arbeitgeber insbesondere aus Gewerbe und Industrie, die wichtigsten Stützen der herkömmlichen Berufsbildungspolitik in der Schweiz, nicht akzeptiert. Darüber hinaus müssten für eine stärker schulisch organisierte Berufsbildung auch die Ausgaben des Bundes – zumindest im Rahmen der aktuellen Gesetzgebung – ganz wesentlich erhöht werden, was im Rahmen des regulären Budgetprozesses nur schwer zu bewerkstelligen wäre.

      Es spricht daher einiges dafür, dass der Druck steigen könnte, die durchaus offenen Bestimmungen des BBG zur zeitlichen Gewichtung der drei Lernorte in der beruflichen Grundbildung (vgl. Art. 16, Abs. 3) noch stärker berufsspezifisch auszugestalten; dies würde bedeuten, dass bei einigen Berufen der Anteil schulischen Lernens weiter zunähme, während er bei anderen Berufen stagnierte. Hierbei ist zentral, wie die Bundesbehörden bei der Erlassung von Bildungsverordnungen mit ihrem Handlungsspielraum umgehen. Bleiben die Behörden eher restriktiv, indem sie den Anteil der beruflichen Praxis in allen Berufen auf einem möglichst hohen Niveau zu halten versuchen, wird insbesondere eine stärkere Ausrichtung der Berufsbildung auf den Dienstleistungssektor kaum gelingen.

      Wie die Ausführungen zu den stark von Fachkräftemangel betroffenen Bereichen Informatik und Gesundheit gezeigt haben, scheinen die Behörden um eine klare Linie zu ringen: In beiden Branchen sind alle wichtigen Akteure der Ansicht, dass es an Fachkräften fehlt und dass die Berufsbildung ihren Teil zur Lösung des Problems beitragen sollte, und doch trifft die Schaffung von zusätzlichen Ausbildungsplätzen auf hohe Hürden, da die nötige Ausbildungsbereitschaft der Betriebe fehlt. In der Informatikbranche zeigten sich die Behörden relativ flexibel: Zwar stellt sich das BBT gegen eine Förderung des Basislehrjahrs, doch nicht gegen die Errichtung von Informatikmittelschulen, deren Mehrkosten im Wesentlichen von den Kantonen selbst getragen werden. Dieses Modell trägt sicherlich dazu bei, den Überhang der Nachfrage nach Ausbildungen in der Informatikbranche etwas aufzufangen. Ob das Angebot allerdings genügen wird, Firmen längerfristig davon zu überzeugen, dass sie Informatiker weniger aus dem Ausland oder von Universitäten rekrutieren, wird sich in den nächsten Jahren noch herausstellen.

      Weniger Flexibilität zeigten die Behörden bisher im Gesundheitsbereich, wie die Ausführungen zu den Fachmittelschulen zeigten. Zentrales Anliegen scheint es zu sein, die FaGe-Ausbildung mit einem wesentlichen Anteil beruflicher Praxis als wichtigste Ausbildung im Gesundheitsbereich und als Pforte zu weiteren Ausbildungen in der Branche zu etablieren. Dies ist wohl vor allem deshalb ein vorerst gangbarer Weg, weil sich im Gesundheitsbereich durch politischen Druck die Ausbildungsbeteiligung der Spitäler eher steigern lässt als in anderen Branchen. Ähnlicher Druck lässt sich im stärker privatwirtschaftlich organisierten Dienstleitungssektor jedoch nicht aufbauen, und schon gar nicht denkbar ist in diesen Bereichen die Subventionierung von Ausbildungsplätzen durch die öffentliche Hand, wie dies bei Spitälern zum Teil bereits der Fall ist.

      Eine zentrale Bedeutung für die Ausrichtung auf den Dienstleistungssektor spielt natürlich die zukünftige Entwicklung der kaufmännischen Grundbildung (vgl. dazu den Beitrag von Maurer und Pieneck zur Reform der Berufsbilder in diesem Band, S. 81ff.), zu deren kontinuierlichen Expansion zurzeit vor allem schulisch organisierte Vollzeitangebote an von den Kantonen getragenen Handelsmittelschulen und an privaten Handelsschulen (z. B. HSO oder Minerva) beitragen. Auch dieses Beispiel macht deutlich – wie das der Informatikmittelschule –, dass eine Erhöhung der Zahl von auf den Dienstleistungssektor ausgerichteten Abschlüssen in der beruflichen Grundbildung letztlich wohl nur durch eine stärkere Verschulung der entsprechenden Ausbildungen erkauft werden kann.

      All dies zeigt, dass die ideale Ausrichtung der Berufsbildung auf den Arbeitsmarkt eine trickreiche Angelegenheit ist. Zunächst deshalb, weil umstritten ist, ob die Berufsbildung eher an wachstums- oder an beschäftigungspolitischen Zielen zu orientieren sei. Dann jedoch auch, weil die Ausrichtung

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