Klingen, um in sich zu wohnen 2. Udo Baer
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Lauscht dem Rhythmus eures Atems …“
Bei dieser Möglichkeit haben meistens die beiden Töne unterschiedliche Klangfarben und Dynamik. An dieser Stelle liegen die Fragen nahe:
„Wie erlebst du deinen Atemrhythmus? Welche Bilder, welche Assoziationen ruft er bei dir hervor?“
„Was hat dieser Rhythmus mit dem Rhythmus deines Lebens zu tun? Ist er Teil deines Lebens oder gehört er eher zur Wunschseite?“
In der Einzeltherapie führt die Arbeit mit dem Atemrhythmus zumeist zu einer Zentrierung, zu einer Achtsamkeit nach Innen. Rhythmen bestimmen unser Leben, werden zum Teil unseres Lebens. Auch der Atemrhythmus, der ja nicht statisch ist und sich je nach Lebensbedingungen verändert, ist Teil der Lebensrhythmen und regt an, über die verschiedenen Rhythmen nachzudenken, Probleme zu erkunden, Wünsche wahrzunehmen und dergleichen mehr.
Der eigene Atemrhythmus einer Klientin oder eines Klienten kann auch Auftakt für einen musikalischen Dialog zwischen Therapeut/Therapeutin und Klient/Klientin werden. In der beschriebenen Weise lässt die Klientin oder der Klient den eigenen Atemrhythmus ertönen. Der Therapeut bzw. die Therapeutin lässt dies auf sich wirken, spielt Töne dazu, „klingt sich ein“. Die Klientin oder der Klient kann das zum Anlass nehmen, ihre oder seine Töne zu variieren, die wiederum Resonanz bei der Therapeutin oder dem Therapeuten finden, so dass eine gemeinsame Improvisation entsteht.
In der Gruppe ist es für viele Menschen eine besondere Erfahrung, wenn der eigene Atemrhythmus Grundlage einer gemeinsamen Gruppenimprovisation wird, wenn andere Menschen sich (musikalisch) auf den eigenen Atemrhythmus einstellen, ihn ernst nehmen, ihn zum Ausgangspunkt ihrer eigenen Klänge machen:
„Eine oder einer von euch lässt den eigenen Atemrhythmus erklingen … Fahre damit fort, während die anderen diesen Atemrhythmus auf sich wirken lassen und darauf achten, welche Resonanzen er in ihnen hervorruft.
Lasst nun aus diesen Resonanzen und aus den Wirkungen des Atemrhythmus, den ihr hört, Impulse entstehen, musikalische Impulse, und lasst diese erklingen …
Nun lasst daraus eine gemeinsame Improvisation entstehen, diejenige oder derjenige von euch, die mit ihrem oder seinem Atemrhythmus den Anfang gemacht hat, kann seinen oder ihren Rhythmus beibehalten, kann aber auch freier spielen und dem folgen, was nun entstehen möchte, unabhängig davon, ob dies noch mit dem Rhythmus des Atems etwas zu tun hat. Der Atemrhythmus ist indirekt Grundlage des gesamten Spiels. Improvisiert …“
13
Aktives Symbolisieren
13.1 Symbole und Symbolisieren in der Musiktherapie
Symbole sind Zeichen, Gegenstände oder Sinnbilder, die ihre Bedeutung über den Moment und über die konkrete Situation hinaus innehaben. Zumeist sind es Kennzeichen oder Erkennungszeichen wie z. B. das Kreuz des Christentums. In unserer Zivilisation werden aus Symbolen häufig Markenzeichen, der Stern von Bethlehem ist mittlerweile vielleicht weniger bekannt als der Mercedes-Stern als Statussymbol für Wohlstand und Erfolg. Viele Gegenstände können Symbole sein, z. B. der Ehering als Zeichen der Verbundenheit zweier Menschen, die sie sich zumindest einmal versprochen haben.
Auch in der Musik gibt es Symbole. Das ta-ta-ta-taaa eröffnet nicht nur eine Sinfonie, sondern steht für Beethoven, ja für Klassik. Oder denken wir an die Erkennungsmelodien von „Bonanza“, von „Spiel mir das Lied vom Tod“, des „Tatorts“, der „Tagesschau“, der Eurovision oder an die Nationalhymne: Alle bislang genannten musikalischen und anderen Symbole, vom Ehering bis zur Nationalhymne, haben gemeinsam, dass sie Bedeutung für viele Personen, ja für ganze Kulturen haben. Welche konkrete Bedeutung der einzelne Mensch ihnen gibt, ist unterschiedlich. Der Ehering kann für den einen Glück und Liebe symbolisieren, für den anderen Unterdrückung und Gefängnis. Die Erkennungsmelodie von „Bonanza“ symbolisiert für viele Menschen Kindheit und 60er-Jahre. „Spiel mir das Lied vom Tod“ mag ein Symbol sein für tiefes Entsetzen oder verliebtes Händchenhalten im Kino, die Erkennungsmelodie des „Tatorts“ für einen gemütlichen Sonntagabend oder die Einsamkeit. Die Nationalhymne kann Stolz oder Heimatgefühle oder Ekel und Schuldgefühle hervorrufen oder belanglos sein. Wenn solche Symbole in der therapeutischen Arbeit auftauchen, gilt es, die individuelle Bedeutung herauszufinden, die das jeweilige Symbol für die Klientin oder den Klienten hat. Dies möchten wir an dieser Stelle ausdrücklich betonen, denn uns scheint besonders bei der Beschäftigung mit Symbolen, die einen hohen Verbreitungsgrad haben, die Gefahr zu lauern, dass Menschen mit großer Selbstverständlichkeit davon ausgehen, dass sie das Gleiche meinen, hören und empfinden wie andere bzw. dass andere das Gleiche meinen, hören und empfinden wie sie selbst.
Es gibt auch Symbole, die von vorneherein und ganz deutlich nur für eine bestimmte Person Bedeutung haben können und sollen. So der Talisman der Freundin, den man in der Tasche trägt, oder das Schmuckstück, das man vom Geliebten erhalten hat. Im Kapitel „Die musikalische Biografie“ (s. Kap. 2) sind mehrere Beispiele aufgeführt, welche Bedeutungen Musikstücke oder Lieder für Menschen haben können. Auch in der Arbeit mit traumatisierten Menschen erfahren wir oft, dass bestimmte Klänge oder Geräusche Symbole für Bedrohung, Todesangst, Ohnmacht o. Ä. sind und Auslöser von Flashbacks, erlebten Wiederholungen traumatischer Erfahrungen, sein können. Werden musikalische Symbole eines Klienten oder einer Klientin im therapeutischen Prozess hörbar, heißt es, sie ernst zu nehmen und näher zu erkunden. Häufig weist die Existenz eines musikalischen Symbols auf einen bedeutenden Lebensabschnitt oder auf Szenen im Leben der Klientin oder des Klienten hin, die nachhaltig wirken und Leiden hervorrufen oder verstärken. Hier ist es notwendig, den Kontext zu erkunden, das Feld, in dem das Symbol entstanden ist, wieder lebendig werden zu lassen und aus diesem Erleben heraus Veränderungen des Erlebens und Handelns zu suchen.
In der musikalischen Improvisation hören TherapeutInnen und manchmal auch KlientInnen, dass sich bestimmte Themen oder andere Klangfolgen wiederholen. Ein solches Thema kann auf vieles verweisen, es kann auch ein musikalisches Symbol sein. Ein Klient spielte in seinen Improvisationen, die er gerne am Klavier vornahm, häufig die Tonfolge c d e g g. Ihm selbst fiel es nicht auf. Als der Therapeut ihm dieses Motiv spiegelte, meinte er: „Ja, das kenne ich, das ist mir vertraut.“ Der Therapeut bat ihn, nur dieses Motiv zu spielen, es mehrmals zu wiederholen, vielleicht verschiedene Rhythmen, Phrasen, Oktavensprünge und Tempi auszuprobieren. Er spielte, er probierte und blieb schließlich dabei, mit der rechten Hand diese Tonfolge zu wiederholen, wieder und immer wieder, wie in Trance. Dabei veränderte sich sein Gesichtsausdruck, er wurde blasser, die Augen schauten ins Leere. Der Therapeut vermutete, dass im Klienten eine andere Zeit seines Lebens lebendig geworden war und fragte: „Wie alt sind Sie jetzt?“ Der Klient sagte: „Sieben Jahre, acht Jahre, elf Jahre, vielleicht auch jünger, fünf Jahre, drei Jahre …“, und er spielte sein Tonfolge weiter.
Plötzlich unterbrach er, klappte den Klavierdeckel zu und trommelte mit seinen Fingern den gleichen Rhythmus, in dem er eben seine Tonfolge gespielt hatte. Zeigefinger c, Mittelfinger d, Ringfinger e – dann mit dem Zeigefinger zwei mal g. Und wieder und wieder und wieder.
Er schaute auf und sagte: „Jetzt weiß ich es. So habe ich immer mit den Fingern getrommelt, wenn ich mich als Kind beruhigen wollte. Ich war sehr unruhig und habe mich aufgeregt und bekam dafür ständig eins auf den Kopf. Allen Menschen fiel ich auf den Wecker, also riss ich mich zusammen. Die Unruhe blieb in den Fingern, blieb in der rechten Hand.“ Die Tonfolge war Symbol für diese Zeit, war Ausdruck seiner Unruhe, symbolisierte seine Bemühungen, diese Unruhe bzw. die Folgen dieser Unruhe zu bewältigen.
Wir