Friedlaender / Mynona und die Gestalttherapie. Группа авторов

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organisierte 1924 den Verkauf von über 400 zur Verfügung gestellten Kunstwerken im Warenhaus Wertheim am Alexanderplatz. Der Erlös sollte für die Essenausgabestellen der IAH verwendet werden. Es wurde berichtet, dass sich »für das Ausmalen der Speisestellen« (Kunstamt Kreuzberg 1977, 596) namhafte Künstler angeboten hatten. Ihre tätige Mitarbeit hatten unter anderem angeboten: »Arthur Segal, Dr. Friedlaender (Mynona), 6 Johannes R. Becher, Prof. Käte Kollwitz, Max Liebermann, Kandinski, Paul Klee, Schlemmer, Feininger, die gesamten Professoren des Staatl. Bauhauses in Weimar.« (ebd.) Im gleichen Jahr, aus Anlass einer Streik- und Aussperrungswelle beim Kampf um die Erhaltung des Achtstundentages, gab es einen Aufruf der ›Künstlerhilfe‹, auf der auch wieder »Friedländer-Mynona« sowie Heinrich Zille, Ernst Toller, Erich Mühsam u. a. verzeichnet waren (vgl. ebd.). Es gab eine enge Verzahnung und häufige Kontakte von Intellektuellen und Künstlern unterschiedlicher linker Orientierung in diesen Jahren, und Perls bewegte sich in diesen Kreisen.

      Ich-Dissoziation und Menschheitserneuerung

      »Wir sind und wollen nichts sein als Dreck. Man hat uns belogen und betrogen Mit Gotteskindschaft, Sinn und Zweck.«

      (Benn 1982, 43)

      Wenn Exner schreibt, dass Friedlaender die »metaphysische Absicherung« (Exner 1996, 185) der expressionistischen Generation leistete und einer »ganzen Generation der Berliner Avantgarde« (ebd., 291) den Weg wies, so ist eine kurze Skizzierung der krisenhaften Selbst- und Welterfahrung der expressionistischen Generation angebracht.

      Was Perls einmal seine »existenzielle Verwirrung und Konfusion« nannte, war ein Erlebnisgeflecht, das sich aus frühen Kindheitserlebnissen und zeitgeschichtlichen Phänomenen zusammensetzte und das als eine Bedingung für individuelles Leid wie für schöpferische Bewältigungsversuche durchgängig bei der jungen und unruhigen Expressionistengeneration anzutreffen war. Vor dem Hintergrund des Verlustes von religiösen, philosophischen, gesellschaftlichen und psychologischen Ordnungskriterien sieht Vietta als Signatur der expressionistischen Epoche von 1910 bis 1925 zum einen die »Erfahrung transzendentaler und erkenntnistheoretischer Bodenlosigkeit« (Vietta 1994, 151) und zum anderen den Zusammenhang von erlebter Ich-Dissoziation und Versuchen der Ich- bzw. Menschheitserneuerung (vgl. ebd., 186). Für Vietta gehört es zu den Verdiensten des Expressionismus »dass er die latenten und offensichtlichen Zerstörungspotenzen moderner Zivilisation, Industrialisierung und rationalen Vernunft bloßgelegt hat« (ebd., 175). Im deutschen Sprachraum war es der (literarische) Expressionismus, der zum ersten Mal »die tiefgreifende Erfahrung der Verunsicherung, ja Dissoziation des Ich, der Zerrissenheit der Objektwelt, der Verdinglichung und Entfremdung von Subjekt und Objekt« (ebd., 21) dargestellt hat und gleichzeitig die damit einhergehende Suche nach Ganzheit, Heil sein, Totalität. Die hier angesprochenen Dissoziationserfahrungen sowie die damit verbundene Sehnsucht nach einer persönlich erlebten guten Gestalt haben Perls’ Leben und die Gestalttherapie, als ein spätes Kind dieser Epoche, nachhaltig geprägt.

      Vor der Folie von Viettas Expressionismusdeutung stellen sich die künstlerischen Werke des Expressionismus als sichtbarer Ausdruck einer Krise des Subjekts und der Erschütterung seiner weltanschaulich-metaphysischen Orientierung dar. Die von Freud weiterbetriebene nietzscheanische Auflösung der Einheit des Ich in unterschiedliche Ober- und Untereinheiten und seine ganz im Gegensatz zur Entwicklung der dominierenden Naturwissenschaft stehende Behauptung der Herrschaft des Unbewussten über das Rationale sowie die Auflösung des überkommenen Naturbegriffes durch Albert Einstein waren Eckpunkte der sich beschleunigenden Auflösungsdynamik der damals gültigen Selbst- und Weltanschauung. Wahrheit, Verbindlichkeit und Objektivität wichen Pluralität und sich ständig verändernder Wirklichkeitsbildung.

      Was im Berliner Leben kulminierte, war die sich in der Großstadtmetropole zusammenballende und auf das Individuum einstürzende neue Welt: Die Bedrohung und Attraktivität der Großstadt, mit ihrem Tempo und ihrer Menschenmasse; die zunehmende Technologisierung aller Lebensbereiche und die Dominanz einer rationalen Vernunft in den Wissenschaften; das unaufhaltsame Wachsen der großen Industrie, die den Menschen in Massen zum Anhängsel der Maschine machte und ihn verdinglichte. Unterlegt war das alles mit dem Verlust der religiösen Gewissheit in irgendeinem Glauben, seit Nietzsche den Gott, der Sinn gibt, für tot erklärt hatte. Damit war der Mensch frei und allein. Auslöser für die persönliche Krise war in vielen Fällen das Trauma eines Krieges, der den Einzelmenschen und die herrschenden Mächte in ihrer Brutalität und ihrem Machtstreben offenbart und das einzelne Ich auch persönlich und physisch versehrt und bedroht hatte.

      Mit der das moderne, technisierte und vermasste Großstadtleben begleitenden Vereinzelung und Beschädigung des Ich gingen der Wunsch und die Sehnsucht nach individueller Ganzheit und Verbindung mit den anderen, nach einer neuen und harmonischen Menschengemeinschaft einher. Diese Sehnsucht hatte sich im Frühexpressionismus noch mit der Suche nach einer Gemeinschaft in der Natur, nach der Kriegserfahrung aber vorwiegend mit der Vision eines Sozialismus der Menschheitsverbrüderung verbunden.

      Was innerhalb dieser Entwicklung den Marxismus zunehmend für die Avantgarde interessant machte, war zum einen die gesellschaftliche Realität des sowjetischen Russland, die damals überwiegend noch als Gegenrealität zum Kapitalismus begriffen wurde. Zum anderen war es die in der bürgerlichhumanistischen Tradition stehende marxistische Kritik an den Entfremdungs- und Verdinglichungsphänomenen im Produktionsprozess, der den Menschen zum Anhängsel der Maschine machte und alles Leben an Produktivität und Quantität ausrichtete. Bei den Linksintellektuellen hatte hier der an Hegel orientierte Marxismus von Georg Lukács und insbesondere dessen Buch »Geschichte und Klassenbewusstsein« Einfluss. Auf seine Bedeutung für Perls werde ich an späterer Stelle eingehen. So manches isoliert leidende Großstadtindividuum fühlte sich hier verstanden und sah sein Leiden in eine größere Gesellschaftsanalyse eingebettet, was wiederum Orientierung und Hoffnung auf Abänderung und Schaffung neuer, besserer, eben sozialistischkommunistischer Zustände gab.

      Friedrich Engels hatte bereits 1845 über das Londoner Großstadtleben geschrieben:

      »Und doch rennen sie aneinander vorüber, als ob sie gar nichts gemein, gar nichts miteinander zu tun hätten […]. Die brutale Gleichgültigkeit, die gefühllose Isolierung jedes einzelnen auf seine Privatinteressen tritt umso widerwärtiger und verletzender hervor, je mehr diese Einzelnen auf kleine Räume zusammengedrängt sind.« (Engels in Vietta 1994, 40)

      Alfred Wolfensteins Berlin-Gedicht »Städter« verdeutlicht die in den Zwanziger-Jahren immer noch aktuelle humanistische Klage Engels’ über die »Atomisierung und Isolierung der Menschen« (Engels ebd.) in der Großstadt, an der sich bis heute nichts Wesentliches geändert hat:

      Nah wie Löcher eines Siebes stehn

      Fenster beieinander, drängend fassen

      Häuser sich so dicht an, dass die Straßen

      Grau geschwollen wie Gewürge sehn.

      Ineinander dicht hineingehakt

      Sitzen in den Trams die zwei Fassaden

      Leute, wo die Blicke eng ausladen

      Und Begierde ineinander ragt.

      Unsre Wände sind so dünn wie Haut,

      Dass ein jeder teilnimmt, wenn ich weine,

      Flüstern dringt hinüber wie Gegröhle:

      Und wie stumm in abgeschlossner Höhle

      Unberührt und ungeschaut

      Steht doch jeder fern und fühlt: alleine. (In: Pinthus 1995, 45 f.)

      Nach

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