Friedlaender / Mynona und die Gestalttherapie. Группа авторов

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Friedlaender / Mynona und die Gestalttherapie - Группа авторов EHP-Praxis

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(Vietta ebd., 41). Da, wo unterschiedliche Wirklichkeiten miteinander konkurrieren und es keine einheitliche Wahrheit mehr gibt, wird auch die Einheit des Ich fraglich und muss die Welt aus der eigenen Subjektivität heraus bewältigt, konstruiert und mit Sinn versehen werden.

      Erkenntnistheoretische Verunsicherung, Subjektdissoziation, Metaphysikverlust und Vereinzelung sind Kennzeichen eines vom Individuum zu bewältigenden Veränderungsprozesses, der sich auf immer größere Teile der Bevölkerung ausgeweitet hat und heute einen wichtigen Platz in den soziologischen und sozialpsychologischen Debatten um veränderte Sozialisationsbedingungen in einer globalisierten und individualisierten Gesellschaft einnimmt.

      Hannah Höch, die in engem Kontakt mit Mynona stand und unter den Berliner Dadaisten die einzige künstlerisch aktive Frau war, machte bereits 1929 deutlich, an welchem Punkt das Pionierdenken in dieser Zeit bereits angekommen war:

      »Ich möchte die festen Grenzen verwischen […]. Ich will dartun, dass klein auch groß und groß auch klein ist, nur der Standpunkt, aus dem wir urteilen, wird gewechselt, und jeder Begriff verliert seine Gültigkeit. Ich möchte weiter den Hinweis formen, dass es außer deiner und meiner Anschauung und Meinung noch Millionen und Abermillionen berechtigter Anschauungen gibt.« (in Dech et al. 1991, 57)

      Im wissenschaftlichen Hintergrund der simultanistischen Wahrnehmung der Dadaisten stand die Ersetzung der Newtonschen Sehweise durch die Relativitätstheorie Einsteins (vgl. Bergius in Siepmann 1977, 45 f.). Jedes Ding existiert hier nur im Kontext und in Relation mit anderen Dingen. Entsprechend postulierte Richard Huelsenbeck schon 1920 die »Gleichzeitigkeit auch in den Werten« (in Siepmann 1977, 45). Diese Denkfigur und Wahrnehmungsart taucht in der frühen Gestalttherapie als Kombination von Psychoanalyse und Gestalt/Feld-Theorie auf, nannte sich 1951 bei Perls/Goodman »kontextuelle Methode« und wurde dann von der deutschen Gestalttherapie ab den Achtziger-Jahren als Konstruktivismus und Systemtheorie wiedererinnert.

      Die Erfahrung der Simultanität der Wahrnehmung, des Disparaten und Unzusammenhängenden, spiegelte sich auch in der Kunst. Als Beispiel führe ich Jakob van Hoddis berühmtes Gedicht »Weltende« an, das sich ebenso wie das oben angeführte Gedicht von Wolfenstein in der ersten Anthologie expressionistischer Gedichte findet, die unter dem Titel »Menschheitsdämmerung« 1920 von Kurt Pinthus herausgegeben wurde:

      Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,

      In allen Lüften hallt es wie Geschrei,

      Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei

      und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.

      Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen

      An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.

      Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.

      Die Eisenbahnen fallen von den Brücken. (In: Pinthus 1995, 39)

      Die Generation der Expressionisten wuchs in die Auseinandersetzung um das Werk Nietzsches hinein. Nietzsches Nihilismus war der Endpunkt der Kritik der Aufklärung an allem metaphysischen Denken, am Glauben an eine höhere Macht und einen höheren Sinn und Zweck von Erde und menschlichem Leben. Ab hier war die Konfrontation mit der eigenen »transzendentalen Obdachlosigkeit«, wie der frühe Georg Lukács (vgl. Vietta 1993, 142) das einmal nannte, Bedrohung und Herausforderung für jeden sensiblen Geist. Sloterdijk formulierte das so:

      »Von da an verstehen die Klügeren, die sich selber gehörig auseinandergenommen haben, wie es um ihr bestes Stück, das liebe Ich, steht. Unter allen Gestalten liegt die Leere – das nimmt die Formen, die Fiktionen zurück. Mein Charaktertheater, mein Weltbild, mein Engagement – die Leere verschluckt solche Gebilde wie nichts.« (Sloterdijk 1996, 20)

      Die großstädtische Avantgarde der Weimarer Jahre war für Sloterdijk die Vorhut der Moderne, und seiner Ansicht nach gibt es »kein Thema der 80er und 90er Jahre, das nicht in den 20ern vorgebildet worden wäre, mit Ausnahme der elektronischen Medien, die tatsächlich die Neuheit des letzten Jahrhundertdrittels bringen.« (ebd., 27) In dem hier zitierten Interview sagte Sloterdijk weiter:

      »Wer etwas lernen will über Entformungsgefühle, muss Benn studieren. Er war der Meisterformulierer für das zersetzte Ich, wenn man ihn mit Zwanzig gelesen hat, dann kann einen keine Dekonstruktion überraschen.« (ebd., 20)

      Er wird möglicherweise Zeilen wie die folgenden im Kopf gehabt haben:

      »Nur ich, mit Wächter zwischen Blut und Pranke,

      Ein hirnzerfressenes Aas, mit Flüchen

      Im Nichts zergellend, bespien mit Worten,

      Veräfft vom Licht –« (Benn ebd., 109)

      Das Zerlegen der scheinbar festen Realität, einschließlich des eigenen Ich, haben die »Pioniere unter den Experimentatoren, die Angehörigen der expressionistischen Generation« (Sloterdijk ebd., 21) intensiv betrieben. Erst im Rahmen dieser dekonstruierenden Atmosphäre gab es dann auch wieder ein Bewusstsein »für die Fragilität der positiven Lebensformen vor dem nihilistischen Grund« (ebd., 22), für die »Kostbarkeit von Figur, von Gestalt, von Lebensform, von lokalen Sprachspielen, also von all dem, woraus das konkrete Leben besteht, auch wenn man unendlich darüber hinausdenken kann und alles Konstruierte als dekonstruierbar erkannt hat« (ebd.).

      Sloterdijk sprach in diesem Zusammenhang auch von der »Nullpunktsituation« und merkte an: »Friedländer-Mynonas berüchtigte schöpferische Indifferenz – das war seinerzeit der Geheimtipp.« (ebd., 23)

      2. Die Dadaistische Revolte und »der Kampf um das eigene Erleben«

      »Ideal, Ideal, Ideal, Erkenntnis, Erkenntnis, Erkenntnis, Bumbum, bumbum, bumbum.«

      (Tristan Tzara)

      Gegen das expressionistische Pathos vom neuen Menschen und der neuen Zeit trat mitten in Elend, Hunger, Revolutionsunruhen und konterrevolutionärem Terror zwischen 1918 und 1920 die europäisch zusammengesetzte Künstlergruppe »Dada Berlin«7 auf. Selbst aus der expressionistischen Bewegung kommend, erlebten die jungen Rebellen die nun spätexpressionistische messianische Utopie einer neuen Menschheit und den Glauben an die wirklichkeitsverändernde Kraft der Kunst und des Dichterwortes als absurd. Die Expressionisten standen für die Dadaisten nun im bürgerlichen Lager. Im Unterschied zum hohen Pathos, mit dem die Spätexpressionisten ihre Läuterungsbotschaft an die Menschen und die Gesellschaft richteten, zeigte sich bei den Dadaisten ein »im Wesen grundverschiedenes Weltgefühl, das von Enttäuschung, Bitterkeit, Zerstörungslust und fast nihilistischer Respektlosigkeit durchtränkt war« (Schuhmann Hg. 1991, 146). Sie wollten das Ende aller Kultur zynisch zur Schau stellen. Huelsenbeck betitelte eines seiner Bücher »Deutschland muss untergehen!« und schrieb: »Alles soll leben – aber eins muss aufhören – der Bürger, der Dicksack, der Freßsack, das Mastschwein der Geistigkeit, der Türhüter der Jämmerlichkeit.« (in Riha 1977, 14) Die Dadaisten rannten gegen die expressionistische Kunst an, die sich ihnen, inmitten all der hässlichen bürgerlich-kapitalistischen Wirklichkeit der gerade geborenen Weimarer Republik, als Ersatzreligion und Beschönigungsmittel der gesellschaftlichen Zustände darstellte. Hausmann schrieb in »Der deutsche Spießer ärgert sich« gegen das expressionistische Unbestimmte und »allgemeine Weltgedusel« des schreibenden oder malenden Spießers und den schönen Schein an. Es klingt bitter und verzweifelt und nach der Kraft und dem Willen der Realität ins Auge zu sehen, wenn es bei ihm heißt: »Und nun erhebt uns nichts mehr, nichts mehr!« (ebd., 67)

      Im harten Berliner Klima, in dem sich

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