Friedlaender / Mynona und die Gestalttherapie. Группа авторов

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Friedlaender / Mynona und die Gestalttherapie - Группа авторов EHP-Praxis

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und ist gebunden an die »Urform der Gemeinschaft« (Hausmann 1982a, 27), an die Familie, in der der patriarchalische Vater herrscht. Dem Ich stellt sich die Aufgabe der »Eroberung der eigenen Gesetzmäßigkeit« (ebd., 28) und des eigenen Erlebens, wozu es die »Technik des Wissens um sich Selbst« (ebd.) braucht, die die »Revolution gegen die eigenen Konventionen« (ebd.) beinhaltet. Es geht um nicht weniger als die »Umgestaltung der Welt durch den Menschen der Gemeinschaft, der die Aufhebung der fremden Macht in innerste eigene Autorität […] fordert« (ebd., 32).

      Als Polarist ging Hausmann davon aus, dass das Ich des »Einzeln-Einzigen« (ebd., 44) notwendig an sein »Wider-Ich« (ebd.), an den anderen, gebunden ist. So ist »Kompromissbildung« zwischen dem Willen des Ich und dem fremden Willen notwendig. Im Rahmen der damaligen politischen Diskussion verstand er die Gesellschaft, die Kommune, als diese Kompromissbildung, an der das Ich seinen »schöpferischen Trieb« (ebd., 29) betätigt. Es ging ihm dabei um den »Balancierpunkt von Freiheit und Gesetz« (ebd., 45), der aber nur gefunden werden kann (und hier denke ich wieder an Perls), wenn das Individuum den »Kampf um das eigene Erleben« (ebd., 44) aufnimmt, den Schritt »der Aufhebung der fremden Macht in innerste eigene Autorität« (ebd., 32) unternimmt und die »Freimachung des Erlebens aller fordert« (ebd.). Mit diesen Theorien hat Hausmann das Programm der kulturrevolutionären Psychoanalyse von Otto Gross im Mynonakreis verbreitet.

      3. Schluss

      Friedlaenders/Mynonas Polaritätsphilosophie hat Perls und Teilen der Berliner Kunstavantgarde positive Möglichkeiten der Bewältigung ihrer ›postmodernen‹ Identitätsproblematik8 geboten. Mit seiner Philosophie konstruierte Friedlaender die Möglichkeit, mit einer Art »Patchworkpersönlichkeit« (Keupp) zu leben, wie moderne Identitätsforscher das heute vielleicht nennen würden. Er entwickelte in Bezug auf sich selbst eine

      »sich traditionellen Mustern verweigernde Lebenshaltung, die es ihm erlaubte, ernster Philosoph und Groteskenschreiber, Familienvater und Bohémien, Lyriker und Didaktiker, Moralist und Narr zu sein, ohne ein schizoides Bild von sich zu haben. Vielmehr entwarf er Maximen, die von ihm verlangten, möglichst Extreme zu leben, um sich der eigenen Einheit, Identität und Macht zu vergewissern.« (Exner 1996, 236)

      Zum historischen Hintergrund des Gestaltansatzes gehört die Erfahrung, die die deutschen Juden in der »prima linea« der Großstadtavantgarde mit ihrer Mehrfachidentität und ihrer chronischen Nicht-Dazugehörigkeit machten: die Erfahrung, dass sie letztlich nur bei sich selbst zu Hause waren. Identität und Heimat mussten sie aus sich selbst heraus schaffen, und sie taten dies zumeist in einem kleinen menschlichen Bezugsnetz, einer »einbettenden Kultur« (Keupp et al. 1999, 296), die Halt, Dialogmöglichkeiten und Anerkennung bot und aufgrund der Emigration zum Teil mehrfach neu konstruiert werden musste. Perls’ verehrter Lehrer Mynona hat in einem seiner Briefe aus dem Exil diese Erfahrung auf den Punkt gebracht:

      »Wir brauchen … einen autonomen Individualismus mit sozialer Konsequenz. Eher wird es nicht gut.« (Friedlaender/Mynona 1986, 12)

      Ludwig Frambach

      Philosophie, Mystik, Psychotherapie

      Die Bedeutung Salomo Friedlaenders für die Gestalttherapie

      Warum beschäftige ich mich so intensiv mit Salomo Friedlaender und seiner Philosophie? Oder andersherum: Warum beschäftigen mich Friedlaender und seine Philosophie so intensiv? Was spricht mich da so an? Diese Fragen stelle ich mir immer wieder, vor allem im Kontext der Gestalttherapie. Denn dort finden viele Friedlaender überhaupt nicht interessant und für diese Psychotherapieform sogar so bedeutungslos, dass man ihn in Darstellungen der Gestalttherapie nicht mal erwähnen muss. Das gibt zu denken! Bin ich vielleicht wirklich auf dem Holzweg? Messe ich ihm eine geistige Bedeutung zu, die er gar nicht hat, weder allgemein als Philosoph, noch speziell für die Gestalttherapie? Die meisten in der Gestalttherapie-Szene, sofern sie an theoretischen Hintergründen interessiert sind, sehen Friedlaender nicht als grundlegend für diesen Ansatz an. Manche kennen nicht einmal seinen Namen. Warum sollte meine Einschätzung, die von einigen in verschiedenen Graden der Zustimmung geteilt wird, die richtige sein? Nun, nach eingehender kritischer – und hoffentlich auch selbstkritischer, denn das ist das Schwerste – Überprüfung bleibe ich dennoch bei meiner ausgeprägten Wertschätzung für Friedlaender und seine Philosophie und meiner Einschätzung seiner grundlegenden Bedeutung für die Gestalttherapie. Vielleicht bin ich ja auch einfach nur stur?

      Auf die Frage, was mich an Friedlaender und seiner Philosophie so anzieht, gibt es natürlich eine ganze Reihe von Antworten. Aber drei Aspekte, die mir persönlich besonders wichtig sind, möchte ich an den Anfang meiner Überlegungen zur Bedeutung Friedlaenders für die Gestalttherapie setzen: Bohème, Humor, Mystik.

      1. Die Bohème

      Friedlaender hat in Berlin in Künstlerkreisen gelebt, in der sogenannten Bohème, hergeleitet von der Bezeichnung »Zigeuner aus Böhmen«. Maler, Schriftsteller, Musiker, Schauspieler, Philosophen, Querdenker bildeten in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine lebendig-kreative Szene unbürgerlicher Existenzen, eine experimentierfreudig-freigeistige gesellschaftliche Avantgarde (Bocian 2007, 134 ff.). Friedlaender selbst hat sie so beschrieben: »Zigeuner des Geistes – eine Fülle abenteuerlich mit dem Leben experimentierender Männer und Frauen, berühmter, obskurer, ruhmwürdiger.« (M 1965, 227) Und er fühlt sich in dieser abenteuerlich bunten Melange wohl, die sich in Ateliers traf und in Cafés, wie dem »Café des Westens«, im Volksmund »Café Größenwahn« genannt, vornehmlich zu fortgeschrittener Stunde. »Ich habe nämlich niemals in den Tag, sondern immer mal wieder tief in die Nacht hineingelebt. Vereinsmeier war ich nie, gehöre aber jetzt dem Verein ehemaliger Eunuchen […] an. Denn stets wohnten (mindestens) zwei Brüste in meiner Seele.«1 So ironisiert er seinen ausgeprägten Hang zu amourösen Abenteuern, typisch nicht nur für ihn, sondern für die Bohème insgesamt.

      In akademisch-universitären Kreisen bewegt sich Friedlaender kaum. Und bei den professoralen akademischen Philosophen stößt er auch auf fast keine Resonanz, bis auf wenige Ausnahmen wie z. B. Georg Simmel. Er bezeichnet die Mitglieder des akademisch-universitären Bildungsmilieus mit dem ihm eigenen Sprachwitz als die »Akadämlichen« (GS 1, 79). Ihm war das »akadämliche« Geistesmilieu wohl schlicht zu langweilig. Der spezifisch freigeistige Esprit der Bohème lag ihm da weit mehr. Hier fühlte er sich inspiriert und geistig herausgefordert. Er hat das konsequent gelebt mit all den Problemen einer finanziell ungesicherten Existenz und der fehlenden Anerkennung von Seiten der etablierten Philosophenzunft der Universitäten.

      Dieser Bohème-Aspekt spricht mich bei Friedlaender besonders an. Ich wollte anfänglich einmal Kunst studieren, da ich für das Bildnerische ein gewisses Talent habe. Als mich die Kunstakademie ablehnte, überlegte ich kurze Zeit, Diktator zu werden, entschied mich aber dann doch für ein Studium der Philosophie und Kunstgeschichte und wechselte dann nach zwei Semestern zur evangelischen Theologie. Mein Freundeskreis in Nürnberg und Umgebung besteht zu einem großen Teil aus Künstlern, aus Malern und Musikern, Schriftstellern, aus unbürgerlichen kreativen Menschen. Es ist eine Art fränkischer Bohème. Von meinem Beruf her müsste ich mich wohl eher im kirchlichen und akademischen Milieu bewegen, unter Studierten, unter Theologen, Psychologen, Medizinern usw. Aber mir geht es da wie Friedlaender, mir ist das meist zu langweilig, zu unlebendig, auch wenn es dort natürlich auch sehr interessante Menschen gibt. Unter dem Titel »Ein munteres Völkchen« habe ich für einen Ausstellungskatalog meiner fränkischen Künstlerszene einen Text geschrieben, der sie aus sozial-psychologischer Perspektive in den Blick nimmt:

      »Jedes Volk braucht ein Völkchen. Das Volk der Normal-Bürger braucht die unangepassten Kreativen, die Künstler. Die ›Normalen‹ brauchen die ›Ver-rückten‹, die zeigen, dass es möglich ist, kreativ anders ›ver-rückt‹ zu sein, nicht

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