Friedlaender / Mynona und die Gestalttherapie. Группа авторов

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Friedlaender / Mynona und die Gestalttherapie - Группа авторов EHP-Praxis

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Wille Dada Berlins« (Bergius 1993, 237), die Widersprüche zu bejahen, aufzudecken und aufeinanderprallen zu lassen. Dada Berlin verspottete und persiflierte die alten wie die neuen gesellschaftlichen Institutionen und die bürgerlichen Spießer, die sie trugen. Die Errichtung der Weimarer Republik war für sie, spätestens nach der brutalen Unterdrückung der revolutionären Massenaufstände durch reaktionäre nationalistische Truppen im Dienste der sozialdemokratischen Regierung, lediglich die Wiederkehr der alten Mächte im neuen Kleid. Dada Berlin parodierte selbst die Parolen der revolutionären Organisationen und gab seiner ersten Berliner Verlautbarung, mit Anspielung auf die Kommunisten, den Titel »Dadaistisches Manifest«. Bitter-groteske Dada-Revuen mit einer Vielzahl neuer künstlerischer Stilmittel (Simultangedicht, absurde Verkleidungen und Tänze mit Musik, gebrüllte Lautgedichte und Publikumsbeschimpfungen) führten zu regelmäßigen Saalschlachten zwischen aufgebrachtem Publikum und dadaistischen Performern und sorgten für Schlagzeilen und Popularität.

      Mitten in dieser unruhigen und blutigen Zeit eine Großdenkerpose einzunehmen, empfanden die Dadaisten als sinnlos, sie wollten »Geistesgegenwart im Chaos«, und nahmen immer wieder Position ein gegen die Vertreter des »Kunstblödsinns, der an der Welt vorüberschaut und sie damit zu überwinden meint« (Hausmann 1982a, 115). Hanne Bergius schrieb zur Gegenwartsorientiertheit der Berliner Dadaisten:

      »Das dadaistische Individuum für das die Geschichte zu einem endlosen Hier und Jetzt, zu perpetuierter Gegenwart im individualanarchistischen Selbstverständnis zusammengeschmolzen ist … ›will seiner Weltsekunde voll Mut gegenüberstehen‹ (Hausmann), glaubt sich als ›Gott des Augenblicks‹ (Hausmann).« (Bergius 1977, 43)

      Dada sagte Ja zur konkret erlebten Wirklichkeit, »um allem, was bloß ›schönes Denken‹ ist, ins Gesicht schlagen zu können« (Sloterdijk 1983b, 713). Perls hat dieses »bloß schöne Denken« später provokant »mind fucking« genannt.

      Richard Huelsenbeck, der als eine der dadaistischen Zentralfiguren den Begriff Dada aus dem Züricher Exil nach Berlin brachte, war Perls spätestens Anfang der Zwanziger-Jahre bekannt, da sich ihre Interessen im Bereich Psychoanalyse und Kunst überschnitten (vgl. L. Perls in Sreckovic 1999, 28; Peters 1992, 282). Huelsenbeck, der ebenfalls Mynonas Gedanken der schöpferischen Indifferenz aufnahm, war ein Jahr jünger als Perls, schloss sein Medizinstudium 1922 in Berlin ab und arbeitete einige Zeit bei Bonhoeffer in der Charité. Er war Maler und Schriftsteller, hatte Umgang mit Karen Horney, die eine Förderin von Perls wurde, und belegte in den Zwanziger-Jahren einige Kurse am Berliner Psychoanalytischen Institut (vgl. Peters 1992, 279 f.).

      Mit Friedlaender/Mynona und Huelsenbeck sind zwei persönliche Kontakte von Perls angesprochen, die darauf hinweisen, dass er sich in diesen Jahren im Umfeld der radikalsten Kräfte der Kunst-Avantgarde aufhielt, die sich in der Regel nie nur als Künstler, sondern immer auch als Lebenskünstler verstanden. Huelsenbeck hat mehrfach betont, dass Dada sich für seine Aktivitäten das kulturelle Gebiet gewählt hat, aber im Kern »eine emotionale Revolution war, deren Sinn in jedes Gebiet, Kunst, Kultur, Religion und menschliche Beziehungen projiziert werden konnte« (Huelsenbeck 1992, 109). Wenn er Verzweiflung, Zynismus und Aggression als für Dada charakteristisch benennt und von einer »Revolte der von vielen Seiten bedrängten Persönlichkeit« (ebd., 79) spricht, so trifft er hiermit auch Perls’ Gefühlslage nach dem Ersten Weltkrieg. Huelsenbeck hat dem Dadaismus eine existenzielle Deutung gegeben (vgl. ebd., 79), er war für ihn eine »Philosophie, die über die Kunst in das Leben selbst hinausschritt« (ebd. 95). Die Sehnsucht des modernen Menschen nach sich selbst, ob nun romantisch, expressionistisch, existenzialistisch oder eben dadaistisch gekleidet, tauchte in sich ähnelnden Kurzformeln immer wieder auf. Der Romantiker Schlegel forderte: »Werde, der du bist!« Und bei Johannes Baader hieß es dann: »Drum werde, was du bist, Dadaist.« (Baader in Bergius 1993, 19). Auch Raoul Hausmann beschrieb Dada als einen »Lebenszustand, mehr eine Form der inneren Beweglichkeit als eine Kunstrichtung« (Hausmann 1982a, 95). In diesem Sinn war Perls für mich Dadaist, hat Dada auf sein Gebiet »projiziert«, wie Huelsenbeck das nannte, und ist mit seiner Form der Gestalttherapie genau in dessen Sinne über die medizinische Behandlung »in das Leben selbst« hinausgetreten.

      Perls’ Denken war durchdrungen von den Ereignissen und Themen seiner Zeit, und die ihn wie einen Teil seiner Generation bedrängenden Themen tauchten immer wieder in einem anderen theoretischen Gewand und Kontext auf, präzisierten sich und entwickelten sich weiter. Was sich in diesen ersten Nachkriegsjahren in ihm festgesetzt hat, ist nach meiner Vermutung das, was Sloterdijk den »kynischen Impuls« nannte. Perls war eine Art Kyniker, so wie Diogenes von Sinope und nach ihm Lukian von Samosata, den Sloterdijk im Kontext des imperialen Staatsapparates des römischen Kaiserreiches als einen Hippie und Führer einer Aussteigerbewegung ansieht. Der kynische Skandal war, dass die niedergedrückte Sinnlichkeit auf den öffentlichen Markt getragen wurde. Gegen die platonische Ideenlehre stand der Furz, gegen den feinsinnigen Eros die öffentliche Masturbation. Der Neokynismus des Dada griff »die Abspaltung und Diffamierung des Sinnlichen« (Sloterdijk 1983, 216) an und bemühte sich in der Tradition einer »grobianischen Aufklärung« (ebd., 205) darum, »aggressiv und frei (›schamlos‹) … die Wahrheit zu sagen« (ebd. 206). Im Aussprechen der Wahrheit (oder besser dessen, was der eigene Wahrnehmungsapparat als Wahrheit gerade anbietet), auch gegen die Großen, die Eltern, die Mehrheitsmeinung, die kulturelle Norm etc., liegt ein aggressives, besser produktiv-aggressives Moment. Bei der gemeinsamen Konzeption der Gestalttherapie, zusammen mit Paul Goodman, den man in diesem Zusammenhang durchaus als einen amerikanischen Kyniker bezeichnen kann, fand dann auch Aggressivität als konstruktive Kraft einen zentralen Platz.

      Es geht hier um eine weit zurückreichende, selbstkritische Linie innerhalb der Aufklärung, die mit dem Schlachtruf »Natur!« bis heute gegen eine Aufklärung aufbegehrt, die sich auf das Rationale, auf die instrumentelle Vernunft im Sinne von Adorno und Habermas reduziert. Gegen das sich im schönen Reden und Schreiben erschöpfende sogenannte Geistige will diese sinnliche Aufklärung Geist und Körper wieder in einen innerlichen Bezug und in tätigen und gestaltenden Kontakt mit der Umwelt bringen. Mit diesen Bezügen will ich Perls nicht idealisieren oder ihm höhere Weihen geben. Ich halte aber eine Sichtweise, die ein Individuum aus seiner historischen Zeit und seinem konkreten Lebens- und Erfahrungsraum nimmt und lediglich eine individuelle Pathologie oder einen genialischen Zug sieht, für zu eingeschränkt und unfruchtbar. Der im hier angesprochenen Sinn rebellische Kern des Gestaltansatzes transportiert gelebte Kritik an den jeweils vorgefundenen und an den als gespalten erlebten Lebensweisen.

      Beispiele für neo-kynische oder neo-dadaistische Aktionen von Fritz Perls finde ich in dem Buch von Gaines (1979). Joe Wysong erinnert sich dort an einen Kongress, auf dem Perls gebeten wurde, eine Erklärung zu geben, was denn Existenzielle Psychotherapie sei. Er tat dies anscheinend mittels eines Gedichtes:

      »I’m not a lady performing her farts,

      I’m a scoundrel, a lover of arts,

      I am who I am,

      I screw when I can.

      I’m Popeye the Sailor Man.« (Perls in Gaines ebd., 331)

      Es wird von einer Konferenz mit einem Auditorium von über tausend Personen berichtet, wo Perls zusammen mit namhaften Psychiatern an einer Podiumsdiskussion teilnahm und dort demonstrativ einschlief (vgl. ebd., 173). Auf einer Tagung im Esalen Institut, die sich dem existenziellen Thema ›Sein‹ widmete, kroch er plötzlich auf dem Bauch über den Boden und entlockte dem ebenfalls anwesenden Abraham Maslow die durchaus nachvollziehbare Reaktion und Formulierung: »This begins to look like sickness.« (ebd., 153)

      Zu den Hochzeiten der Popularität von Esalen wurde der gesamte Lehrer-Staff zu einer Hollywood-Party eingeladen, auf der zahlreiche bekannte Filmschauspieler anwesend waren. Perls »was playing havoc with Hollywood that night, and enjoying it because he did love films and he knew very well what he was doing.« (ebd., 201) Oskar Werner, Natalie Wood und andere Schauspieler bekamen Sätze zu hören wie: »You are a spoiled

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