Existenzielle Psychotherapie. Irvin D. Yalom

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Existenzielle Psychotherapie - Irvin D. Yalom EHP-Edition Humanistische Psychologie

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eine neue Wertschätzung von Dingen, die ich einst für selbstverständlich hielt – mit einem Freund zusammen Essen gehen, Muffets Ohren kraulen und ihrem Schnurren zuhören, die Gesellschaft meiner Frau, ein Buch oder eine Zeitschrift in dem ruhigen Lichtkegel meiner Nachttischlampe lesen, den Kühlschrank plündern: ein Glas Orangensaft oder ein Stück Kuchen. Zum ersten Mal glaube ich, dass ich das Leben genieße. Schließlich werde ich mir bewusst, dass ich nicht unsterblich bin. Es schaudert mich, wenn ich an all die Gelegenheiten denke, die ich mir – selbst als ich bei bester Gesundheit war – durch falschen Stolz, künstliche Werte und eingebildete Kränkungen verdarb.20

      Wie verbreitet sind positive persönliche Veränderungen nach einer Konfrontation mit dem Tod? Die Krebspatienten, die ich untersuchte, waren eine von mir selbst ausgewählte Stichprobe von psychologisch interessierten Frauen mit Krebs, die sich entschieden hatten, eine Selbsthilfegruppe für Krebspatientinnen aufzusuchen. Um die allgemeine Verbreitung dieses Phänomens zu untersuchen, entwarfen mein Kollege und ich ein Forschungsprojekt, um Patienten in einem rein medizinischen Kontext zu studieren.21 Wir entwarfen einen Fragebogen, um einige dieser persönlichen Verwandlungen zu messen, und teilten ihn nacheinander an siebzig Patienten aus, die zur Behandlung ihrer Brustkrebsmetastasen Onkologen aufsuchten. Es handelt sich um ambulante Patienten: Nur wenige von ihnen hatten physische Schmerzen oder Behinderungen. Sie alle kannten die Diagnose und wussten auch, dass sie, obwohl sie noch einige Monate oder sogar Jahre leben konnten, schließlich an ihrer Krankheit sterben würden. Ein Teil des Fragebogens bestand aus siebzehn Aussagen über Persönlichkeitswachstum, jede der Patienten wurde gebeten, auf einer Fünferskala (die von »fast nie« bis »immer« reichte) Einschätzungen für zwei Zeitperioden zu geben: »vor« dem Ausbruch des Krebses und »jetzt«.

      1. Ich kommuniziere offen mit meinem Ehemann.

      2. Ich schätze die Schönheit der Natur.

      3. Ich habe ein Gefühl persönlicher Freiheit.

      4. Ich versuche, mit meinen Kindern offen zu reden.

      5. Es ist wichtig, dass mich jeder mag.

      6. Ich habe viel Spaß am Leben.

      7. Ich bin im Gespräch ehrlich und frei.

      8. Ich tue nur die Dinge, die ich wirklich tun will.

      9. Ich lebe mehr in der Gegenwart als in der Vergangenheit oder Zukunft.

      10. Ich habe Augenblicke tiefer Gelassenheit.

      11. Ich trete für meine persönlichen Rechte ein.

      12. Ich habe ein Empfinden für psychisches Wohlbefinden.

      13. Ich teile mich meinen Freunden offen mit.

      14. Ich habe das Gefühl, dass ich anderen etwas Wertvolles über das Leben beibringen kann.

      15. Ich bin in der Lage, das zu wählen, was ich tun will.

      16. Mein Leben hat Sinn und Zweck.

      17. Religiöser/spiritueller Glaube hat große Bedeutung für mich.

      Als wir die Ergebnisse überprüften, erfuhren wir, dass die Mehrheit der Patienten keinen Wandel zwischen »vorher« und »jetzt« eingeschätzt hatten. Bei denjenigen Patienten jedoch, die über Unterschiede zwischen »vorher« und »jetzt« berichteten, gingen die Unterschiede fast einheitlich in Richtung größeren Wachstums seit des Ausbruchs des Krebses. Mehr Patienten berichteten über positive statt negative Veränderungen bei vierzehn von siebzehn Items.

      Die einzigen zwei Items, die das Gegenteil anzeigten, waren Item 3 (»Ich habe ein Gefühl persönlicher Freiheit«), was wahrscheinlich, wie ich glaube, von den größeren physischen Beschränkungen beeinflusst war, unter denen die Krebspatienten litten, und Item 13 (»Ich teile mich meinen Freunden offen mit«). Die Erklärung für die gegenteilige Einschätzung bei letzterem mag in der Tatsache liegen, dass viele der Freunde der Patienten extremes Unbehagen zeigten; die Patienten fanden heraus, dass während einige enge Beziehungen gestärkt wurden, viele andere belastet waren.

      In einigen der Items wurden signifikante Unterschiede deutlich: Beispielsweise berichteten achtzehn Patienten bei Item 14 (»Ich habe das Gefühl, dass ich anderen etwas Wertvolles über das Leben beibringen kann«) eine positive Veränderung, drei eine negative; bei Item 11 (»Ich trete für meine persönlichen Rechte ein«) – zwölf positive, drei negative Veränderungen; bei Item 2 (»Ich schätze die Schönheit der Natur«) – elf positive, zwei negative Veränderungen. Wer würde vermuten, dass unheilbarer Krebs die »Augenblicke tiefer Gelassenheit« (Item 10) eines Menschen vermehren würde? Und doch berichteten achtzehn Patienten von solch einem Zuwachs (im Gegensatz zu acht, die von einer negativen Veränderung berichteten). Ein anderer Teil des Fragebogens untersuchte die Veränderungen in der Intensität verbreiteter Ängste. Neunundzwanzig Ängste wurden aus einer Standardliste von Ängsten ausgewählt, und die Patienten wurden gebeten, deren Ausmaß einzuschätzen (»vor« dem Krebs und »jetzt«).

      1. Tote Menschen

      2. Wütende Menschen

      3. Trennung von Freunden

      4. Geschlossene Räume

      5. Sich von anderen zurückgewiesen fühlen

      6. Sich missbilligt fühlen

      7. Ignoriert werden

      8. Dunkelheit

      9. Menschen mit Deformierungen

      10. Fehler machen

      11. Albern aussehen

      12. Die Kontrolle verlieren

      13. Mit Entscheidungen beauftragt oder dafür verantwortlich sein

      14. Geisteskrank werden

      15. Schriftliche Tests machen

      16. Von anderen berührt werden

      17. Sich anders als die anderen fühlen

      18. Allein sein

      19. An einem fremden Ort sein

      20. Öffentlich reden

      21. Schlechte Träume

      22. Fehlschläge

      23. Einen Raum betreten, in dem schon andere Menschen sitzen

      24. Von hohen Gebäuden herunterschauen

      25. Fremde

      26. Sich ärgerlich fühlen

      27. Autoritätspersonen

      28. Gesprächspausen

      29. Kriechende Insekten

      Die Ergebnisse dieses Fragebogens deuteten auf den gleichen Trend wie bei den persönlichen Wachstums-Items hin, jedoch nicht in der gleichen Größenordnung. Bei neun Items berichteten die Patienten von größerer Angst seit dem Ausbruch des Krebses; bei einem Item gab es eine gleichmäßige Umverteilung (genauso viele Patienten berichteten von weniger Angst »jetzt«,

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