Existenzielle Psychotherapie. Irvin D. Yalom

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Existenzielle Psychotherapie - Irvin D. Yalom EHP-Edition Humanistische Psychologie

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mit internalisierten bedeutsamen Erwachsenen, sondern stattdessen einen Konflikt, der aus der Konfrontation des Individuums mit den Gegebenheiten der Existenz hervorgeht. Und ich meine mit »Gegebenheiten« der Existenz bestimmte letzte Dinge, bestimmte intrinsische Eigenschaften, die ein Teil, und zwar ein unausweichlicher Teil der Existenz des menschlichen Wesens in der Welt sind.

      Wie entdeckt man die Natur dieser Gegebenheiten? In einer Hinsicht ist die Aufgabe nicht schwierig. Die Methode ist tiefes persönliches Nachdenken. Die Bedingungen sind einfach: Einsamkeit, Stille, Zeit und das Frei-Sein von alltäglichen Ablenkungen, mit denen jeder von uns seine oder ihre3 Erlebniswelt füllt. Wenn wir die alltägliche Welt wegwischen oder »im Zaum halten« können, wenn wir über unsere »Situation« in der Welt tiefgehend nachdenken, über unsere Existenz, unsere Grenzen, unsere Möglichkeiten, wenn wir den Grund erreichen, der unter jedem anderen Grund liegt, dann begegnen wir unvermeidlich den Gegebenheiten der Existenz, den »Tiefenstrukturen«, die ich von jetzt an als »letzte Dinge« (ultimate concerns) bezeichnen werde. Dieser Prozess des Nachdenkens wird oft durch bestimmte tiefgehende Erfahrungen ausgelöst. Diese »Grenz«-Situationen, wie sie oft genannt werden, schließen solche Erfahrungen mit ein wie die Begegnung mit dem eigenen Tod, eine bedeutende, nicht mehr rückgängig zu machende Entscheidung oder den Zusammenbruch eines grundlegenden sinngebenden Schemas.

      Dieses Buch handelt von vier letzten Dingen: Tod, Freiheit, Isolation und Sinnlosigkeit. Die Begegnung des Individuums mit jeder dieser Tatsachen des Lebens stellt den Inhalt des existenziellen dynamischen Konflikts dar.

       Tod. Die offensichtlichste, am leichtesten zu verstehende letzte Angelegenheit ist der Tod. Wir existieren jetzt, aber eines Tages werden wir aufhören zu sein. Der Tod wird kommen, und es gibt kein Entfliehen vor ihm. Es ist eine schreckliche Wahrheit, und wir antworten auf sie mit tödlicher Panik. »Alles«, in Spinozas Worten, »bemüht sich darum, auf seinem eigenen Dasein zu bestehen«4; und ein existenzieller Kernkonflikt ist die Spannung zwischen der Bewusstheit von der Unausweichlichkeit des Todes und dem Wunsch weiterzuexistieren.

      Freiheit. Ein anderes der letzten Dinge, ein weit weniger leicht zugängliches, ist die Freiheit. Gewöhnlich halten wir die Freiheit für einen eindeutig positiven Begriff. Hat das menschliche Wesen sich nicht während der gesamten uns überlieferten Geschichte nach Freiheit gesehnt und danach gestrebt? Aber die Freiheit ist aus der Perspektive des letzten Grundes an Furcht gebunden. In ihrer existenziellen Bedeutung heißt »Freiheit« die Abwesenheit von äußeren Strukturen. Im Gegensatz zur alltäglichen Erfahrung betritt (und verlässt) das menschliche Wesen kein wohlgeordnetes Universum mit einem ihm innewohnenden Plan. Das Individuum hat vielmehr die völlige Verantwortung – im Sinne von Urheberschaft – für seine oder ihre eigene Welt, den eigenen Lebensentwurf, für Entscheidungen und Handlungen. »Freiheit« in diesem Sinn hat eine erschreckende Bedeutung: Sie bedeutet, dass es unter uns keinen Grund gibt – nichts, eine Leere, einen Abgrund. Der Zusammenprall zwischen unserer Begegnung mit der Grundlosigkeit und unserem Wunsch nach Grund und Struktur ist eine existenzielle Schlüsseldynamik.

      Existenzielle Isolation. Eine dritte letzte Angelegenheit ist die Isolation – nicht die zwischenmenschliche Isolation, mit der sie begleitenden Einsamkeit oder die innerpersonale Isolation (Isolation von Teilen unserer selbst), sondern eine grundlegende Isolation, sowohl von anderen Geschöpfen als auch von der Welt – die jede andere Isolation noch unterläuft. Ganz gleich, wie nahe wir uns kommen können, es bleibt eine letzte unüberbrückbare Kluft; jeder von uns betritt seine Existenz allein und muss wieder allein von ihr scheiden. Der existenzielle Konflikt ist daher die Spannung zwischen unserer Bewusstheit von unserer absoluten Isolation und unserem Wunsch nach Kontakt, nach Schutz, unserem Wunsch, ein Teil von etwas Größerem zu sein.

      Sinnlosigkeit. Eine vierte letzte Angelegenheit oder Gegebenheit der Existenz ist die Sinnlosigkeit. Wenn wir sterben müssen, wenn wir unsere eigene Welt schaffen, wenn jeder von uns letztlich allein in einem gleichgültigen Universum ist, welchen Sinn hat dann das Leben? Warum leben wir? Wie sollen wir leben? Wenn es keinen vorbestimmten Plan für uns gibt, dann muss jeder von uns seinen eigenen Sinn im Leben konstruieren. Aber kann der Sinn, den wir uns selbst geben, stabil genug sein, um unser eigenes Leben zu tragen? Dieser existenzielle dynamische Konflikt rührt von dem Dilemma eines sinnsuchenden Geschöpfes her, das in ein Universum hineingeworfen ist, das keinen Sinn hat.

      Existenzielle Psychodynamik: Allgemeine Merkmale

      »Die existenzielle Psychodynamik« bezieht sich daher auf diese vier Gegebenheiten, diese letzten Dinge, und auf die bewussten und unbewussten Befürchtungen und Motive, die von ihnen erzeugt werden. Der dynamische existenzielle Ansatz behält die grundlegende dynamische Struktur bei, wie sie von Freud entworfen wurde, ändert aber den Inhalt radikal. Die alte Formel wird durch eine neue ersetzt (s. Abb.).

      Beide Formeln gehen davon aus, dass Angst die Triebkraft für Psychopathologie ist; dass sich psychische Operationen, einige bewusst und einige unbewusst, entwickeln, damit wir mit der Angst umgehen können; dass diese psychischen Operationen (Abwehrmechanismen) die Psychopathologie ausmachen; und dass sie, obwohl sie Sicherheit verschaffen, unausweichlich das Wachstum und die Erfahrung beschränken. Ein wesentlicher Unterschied zwischen diesen beiden dynamischen Ansätzen ist, dass Freuds Sequenz am »Trieb« ansetzt, während ein existentielles Konzept an der Bewusstheit und der Angst ansetzt. Der Therapeut hat, wie Otto Rank wusste,7 weit mehr Einwirkungsmöglichkeit, wenn er den Menschen in erster Linie als ein angstvolles Leidwesen ansieht, statt als eines, das von den Instinkten getrieben wird.

      Diese vier letzten Dinge – Tod, Freiheit, Isolation, Sinnlosigkeit – machen den Korpus existenzieller Psychodynamik aus. Sie spielen eine außerordentlich wichtige Rolle auf jeder Ebene der psychischen Organisation des Individuums und haben höchste Bedeutsamkeit für die klinische Arbeit. Sie stellen auch das zentrale Organisationsprinzip dar; die vier Teile dieses Buches werden sich jeweils mit einem dieser letzten Dinge befassen und jeweils dessen philosophische, psychopathologische und therapeutische Implikationen erforschen.

      Existenzielle Psychodynamik: Die Frage nach der Tiefe

      Ein weiterer Hauptunterschied zwischen der existenziellen Dynamik und der Freudschen oder Neo-Freudianischen Dynamik betrifft die Definition von »Tiefe«. Für Freud bedeutete Erforschung immer Ausgrabung. Mit der Bedachtsamkeit und Geduld eines Archäologen legte er die vielschichtige Psyche frei, bis er auf das Grundgestein stieß, eine Schicht fundamentaler Konflikte, die die psychologischen Überreste der frühesten Ereignisse im Leben des Menschen waren. Tiefster Konflikt bedeutete frühester Konflikt. Freuds Psychodynamik ist also entwicklungsmäßig bedingt, und »grundlegend« oder »primär« müssen chronologisch verstanden werden: Beide Begriffe bedeuten »zuerst«. Dementsprechend werden die frühesten psychosexuellen Traumata als »grundlegende« Quellen der Angst betrachtet: Trennung und Kastration.

      Die existenziellen Dynamiken sind keinem Entwicklungsmodell verpflichtet. Es gibt keinen zwingenden Grund anzunehmen, dass »grundlegend« (das heißt wichtig, elementar) und »zuerst« (das heißt chronologisch zuerst) identische Konzepte sind. Aus einer existenziellen Perspektive tief zu forschen bedeutet nicht, dass man die Vergangenheit erforscht; es bedeutet vielmehr, dass man die alltäglichen Probleme beiseite lässt, und tiefgehend über seine existenzielle Situation nachdenkt. Es bedeutet, außerhalb der Zeit zu denken, über die Beziehung zwischen den eigenen Füßen und dem Boden unter uns, zwischen dem eigenen Bewusstsein und dem Raum um uns herum nachzu denken; es bedeutet, nicht über den Weg nachzudenken, wie man zu dem geworden ist, was man ist, sondern dass man ist.

      Die Vergangenheit – das heißt unsere Erinnerung an die Vergangenheit – ist insofern wichtig, als sie Teil unserer gegenwärtigen

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