Al Qanater. Hannes Führinger
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Wir folgten dem Plan, den wir uns für diesen Fall zurechtgelegt hatten. Marko brachte alle Mitglieder der Crew, die wir nicht für die Steuerung des Schiffes benötigten, in einen Schutzraum. Dort würden sie selbst dann einigermaßen sicher sein, wenn die Piraten das Schiff kapern würden. Beim Betreten des Raumes mussten sie auf einer Anwesenheitsliste neben ihren Namen unterschreiben.
Die Punkte auf dem Radar wurden schneller. Edward wies den Kapitän an, ebenfalls die Geschwindigkeit zu erhöhen.
»Okay, alle drin«, sagte Marko über Funk.
»Maximum Speed«, sagte Edward.
Der Kapitän schob den Geschwindigkeitsregler bis zum Anschlag nach oben.
Ethan hatte inzwischen unsere Ausrüstung aus einem abgesperrten Lagerraum geholt und vor uns ausgebreitet. Er setzte einen Funkspruch ab, um alle militärischen Schiffe in unserer Nähe zu informieren.
Ich war in unserem Team der Waffenoffizier, also bat ich den Kapitän um Erlaubnis, die Waffenkoffer zu entsperren. Er sah mich irritiert an. »Do what you are here to do«, sagte er.
Die Piratenabwehr war international genau geregelt. Deshalb hielt ich mich ans Protokoll. Der Kapitän und ich schlossen die Waffenkoffer auf und vermerkten die Öffnung schriftlich mit Uhrzeit und Begründung. Danach händigte ich Edward, Marko und Ethan gegen Unterschrift je ein Gewehr samt Munition aus. »Hat jeder seine Weste gesichert und überprüft?«, fragte ich, während ich mir selbst ein Gewehr nahm. Ich sah in die Runde. Alle nickten stumm. »Okay, dann los.«
Marko und ich nahmen links und rechts von der Brücke unsere Abwehrpositionen ein, während Edward auf der Brücke blieb und Ethan im Heck des Schiffs Stellung bezog. Ich kauerte mich hinter die Reling, die mit Stahlplatten verstärkt war.
So warteten wir. Niemand sagte ein Wort. Die Funkgeräte blieben still. Wir wussten nicht, ob sich die Piraten eine Taktik überlegt hatten, oder ob sie einfach auf uns zustürmen würden. Unser Schiff, die nach der Reederei benannte Warnow Star, war einigermaßen gut ausgerüstet. Wir hatten Wasserwerfer an Bord und Leuchtkugeln, die wir ebenfalls zur Piratenabwehr einsetzen konnten.
Ich überprüfte noch einmal, ob meine Waffe richtig geladen war. Ich hatte uns mit großkalibrigen Gewehren ausgerüstet, um die kleinen, wendigen Schnellboote der Piraten rasch außer Gefecht setzen zu können. Mit so einer Waffe reichte dafür ein einziger Treffer in den Motor.
Bald tauchten sie am Horizont auf. Ich zurrte meine kugelsichere Weste enger, während ihre Silhouetten größer wurden. Ich konnte schon das Brummen der Motoren hören.
Ich hatte die erlaubte Vorgehensweise im Abwehrfall, die sogenannten Rules of Engagement, im Kopf. Jeder Verstoß dagegen war strafbar. Zu dieser Vorgehensweise gehörte es, dass wir nicht als erste das Feuer eröffnen durften. Wenn die Angreifer bewaffnet waren und selbst schossen, durften wir Warnschüsse abgeben, um zu zeigen, dass wir zurückschießen konnten. Wenn sie weiterschossen, durften wir auf die Boote zielen, nicht auf die Piraten selbst. Erst wenn wir alle nicht tödlichen Abwehrmaßnahmen ausgeschöpft hatten und die Piraten weiterschossen, durften wir das Feuer auf sie selbst eröffnen.
Ein Surren übertönte das Brummen der Motoren. Ich hob den Kopf lang genug, um die Raketen auf unser Schiff zukommen zu sehen. »Deckung!«, schrie ich in mein Funkgerät.
Treffer.
Der Aufprall der Rakete riss mich von den Beinen. Meine Kollegen gaben Warnschüsse ab. Ich sah zur Brücke. Sie war unversehrt. Die Rakete war in einen Kran-Ausleger eingeschlagen und hatte dort wenig Schaden angerichtet. Ich stand wieder auf, gab ebenfalls einen Warnschuss ab und lud durch.
Unter lautem Geschrei eröffneten die Piraten das Feuer. Das Rattern ihrer Schnellfeuergewehre zerfetzte die Luft, gefolgt vom metallischen Trommeln der Einschläge auf unserer Bordwand. Ich hörte Edwards Stimme aus dem Funkgerät. »Backbord! Zurückfeuern! Los!«
Er sprintete heran und warf sich neben mich. Auch Marko und Ethan kamen zu uns an die Backbordseite und gingen hinter der verstärkten Reling in Deckung. Edward nickte uns zu. »Jetzt!«
Wir standen auf und feuerten.
Die Durchschlagskraft unserer Gewehre überraschte die Piraten offenbar. Unsere Kugeln rissen Löcher in die Wände ihrer Boote. Ich hörte sie durcheinander schreien. Neben mir dröhnte Edwards Stimme.
»Laden, Feuer!«
Die nächste Salve unserer Gewehre prasselte auf die Schnellboote nieder.
Die Maschinengewehre der Piraten verstummten. Die Motoren ihrer Schnellboote brüllten auf.
Nach wenigen Minuten, in denen wir alle verschwitzt und verstaubt hinter der Reling gekauert waren, klopfte mir Edward auf die Schulter und grinste. »Gut gemacht, Leute. Gut gemacht.«
Der Kapitän streckte zaghaft den Kopf aus der Tür zur Brücke. »Are they gone?«
Edward nickte. »Yes, they are gone.«
In Aden hörten wir, dass die gleichen Piraten drei Stunden später ein anderes Schiff gekapert hatten.
Während ich jetzt die letzten Vorkehrungen für meine bevorstehende Reise nach Suez traf, dachte ich daran, wie ich damals aus Aden kommend am Flughafen in Wien gelandet war. Lisa hatte auf mich gewartet, mit Leonie, ihrer Tochter aus einer früheren Beziehung, die ich liebte wie mein eigenes Kind. Ich hatte auch eine eigene kleine Tochter, Melissa, doch sie lebte in Tirol. Ihre Mutter und ich hatten uns nicht gerade im Guten getrennt, weshalb ich Melissa selten sah. »Geht es dir gut?«, hatte Lisa bei meiner Heimkehr gefragt. »Bist du verletzt?«
Ich war glücklich gewesen, wieder bei meiner kleinen Familie zu sein. Sie war das Wichtigste für mich und ich wollte uns allen ein schönes, unbeschwertes Leben ermöglichen.
2
Als mir Edward kurz nach unserem Abenteuer im indischen Ozean vorschlug, gemeinsam eine Firma zu gründen, nahm ich deshalb an. Ich war groß, gesund, 31 Jahre alt, gut ausgebildet und nun auch kampferfahren. Das passte offenbar in Edwards Konzept. Ich absolvierte einige ergänzende Ausbildungen in Kampftaktiken am Schiff. Gleichzeitig nutzte ich meine Kontakte aus meiner Zeit beim Militär, um Einsatzteams für die junge Firma aufzubauen.
Der Schaden, der den Reedereien durch Piratenangriffe erwuchs, war beträchtlich. Sie mussten die Schiffe oft monatelang reparieren und in manchen Fällen die Crew komplett ersetzen. Denn wer einmal in der Geiselhaft von Piraten gewesen war, hatte wenig Lust, weiter zur See zu fahren. Dazu kam, dass sich Piratenüberfalle damals häuften, weshalb die Versicherer der Reeder auf bewaffneten Schutz bestanden. Die Reedereien zahlten dementsprechend gut für professionelle maritime Security.
Meine Firma war die erste dieses Metiers im deutschsprachigen Raum, weshalb wir uns erst einen Namen machen mussten. Deshalb strengte ich mich an. Ich bereitete jeden Einsatz bis ins kleinste Detail vor. Reiseplanung. Bewilligungen für den Waffentransport. Ausrüstung. Die Qualität der Ausrüstung war mir besonders wichtig. Manchmal ließ ich Teile davon von meinen ehemaligen Militär-Kollegen testen.
Ich fand heraus, dass in der privaten Sicherheitsbranche kaum Konkurrenzdenken herrscht. Sicherheitsfirmen waren in dem Punkt ziemlich entspannt. Sie unterstützten einander sogar. Sie tauschten ihr Wissen aus und veranstalteten gemeinsam Schulungen. Mir hatte dieses amikale Klima schon beim Militär gefallen.
Bereits