Berufsabschluss für Erwachsene in der Schweiz. Markus Mäurer
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•Migranten und Migrantinnen mit einer guten, in der Schweiz aber nicht anerkannten Ausbildung wird geholfen, ihre Ausbildung anerkennen zu lassen und/oder vorhandene Lücken zu schliessen, was ihnen eine ausbildungsadäquate Tätigkeit ermöglicht (vgl. Schneider, 2015a).
•Stellenlosen wird ermöglicht, ihre Kompetenzen in Programmen zu vertiefen, die auch dann weitergeführt und beendet werden können, wenn sie wieder eine Arbeit gefunden haben (→ Abschnitt 7.2).
EXKURS 1: Einwände
In Diskussionen um die Förderung von Berufsabschlüssen für Erwachsene kreisen die Fragen und Einwände oft um folgende Aspekte:
–Wir konzentrieren unsere Kräfte darauf, möglichst vielen Jugendlichen einen Abschluss zu ermöglichen. Es ist sicherlich richtig, möglichst vielen Jugendlichen einen Abschluss zu ermöglichen. Für einige ist aber das Alter zwischen 16 und 20 nicht die richtige Zeit für eine Ausbildung. Dann ist es sinnvoller zu warten, bis die jungen Menschen selbst die Kraft und Motivation finden, eine Grundbildung in Angriff zu nehmen. Weiter ist zu beachten, dass das Fehlen eines Abschlusses mehrheitlich nicht damit zusammenhängt, dass die Betroffenen nie in eine Ausbildung eingestiegen wären, sondern damit, dass die Ausbildung abgebrochen wurde. 30 bis 50 Prozent aller Lehrvertragslösungen führen zu einem Ausbildungsabbruch, das sind 6 bis 10 Prozent eines Altersjahrgangs (Wettstein, Schmid & Gonon, 2014, S. 186, Fussnote).
–Nicht jeder Mensch kann einen Abschluss machen. Das ist wohl richtig. Aber jeder, der die Fähigkeiten dazu hat und irgendwann im Leben die nötige Motivation aufbringt, soll die Möglichkeit dazu bekommen, auch wenn er oder sie bereits weit über 20 ist. Und zudem gibt es für Erwachsene auch Angebote mit bescheidenerem Niveau (→ Abschnitt 5.5).
–Wir benötigen Spitzenkräfte. Unter Ausbildungsverweigerern befinden sich immer wieder Personen, die sich durch ihre Unternehmungslust und/oder eine gewisse Rebellion gegenüber Hierarchien und konventionellen Strukturen auszeichnen. Darunter sind durchaus potenzielle Spitzenkräfte zu finden, wie etwa Karrieren von «68ern» gezeigt haben. Im Übrigen zeigt die neuste Manpower-Umfrage, dass heute «Facharbeitende» gesuchter sind als Ingenieure, IC-Spezialisten und Gesundheitspersonal. (Manpower, 2015).
–Man kann niemanden zu seinem Glück zwingen. Gewiss. Wenn jemand aber einsieht, dass er oder sie etwas verpasst hat, dann ist es nicht nur im Interesse der Person selbst und der Wirtschaft, sondern der ganzen Gesellschaft, dass er oder sie einen Abschluss nachholen kann, denn Ungelernte sind in hohem Masse gefährdet, immer wieder arbeitslos und oft auch abhängig von der Sozialhilfe zu werden: Von den Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern im Alter von 25 bis 34 Jahren verfügt mehr als die Hälfte über keinen Abschluss der Sekundarstufe II. Das sind etwa 18 000 junge Menschen, die noch dreissig und mehr Berufsjahre vor sich haben. Mit einer «systematischen Integration von Problemfällen in die Berufswelt» können u. a. die Sozialversicherungen entlastet werden. Der Bundesrat schätzt die Einsparungen auf bis zu 18 Millionen Franken pro 1000 Jugendliche und Jahr (Schweizerischer Bundesrat, 2000, S. 5740).
–Mit dem Validierungsverfahren und der direkten Zulassung zur Abschlussprüfung haben wir gute Möglichkeiten zur Anerkennung von Gelerntem. Das gilt für Personen mit einschlägigen Vorkenntnissen. Wer nicht bereits über einen grossen Teil der für einen Abschluss erforderlichen Kompetenzen verfügt, dem bleibt heute nicht viel anderes übrig, als eine Grundbildung zu absolvieren.
Die Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik zeigt, dass der monatliche Bruttolohn von Personen mit einer abgeschlossenen Berufsbildung um fast 1200 Franken höher liegt als der von Personen ohne Berufsbildung (→ Abbildung 3-3).
Abbildung 3-3 Zusammenhang zwischen durchschnittlichem monatlichen Bruttolohn und Ausbildung. Quelle: BFS, Lohn-Strukturerhebung, Standardisierter Monatslohn 2010.
Die Grafik zeigt auch, dass eine interne Ausbildung, zum Beispiel eine Kurzausbildung (→ Abschnitt 5.5), Vorteile bringt: Der Medianlohn von Personen mit einer solchen Ausbildung ist immerhin um gut 600 Franken höher als jener von Personen ohne. Weiter wird auch der Lohnzuwachs deutlich, den Ausbildungen auf nächsthöheren Bildungsstufen mit sich bringen, für die eine abgeschlossene formale Berufsbildung Voraussetzung ist. Gleichzeitig erhöht sich durch einen Berufsabschluss die Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, was das Risiko, arbeitslos zu werden, verringert.
3.2.4 Gleichberechtigung, Gleichwertigkeit
Wie in Abschnitt 3.1.5 beschrieben, ist auch die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Gleichwertigkeit von sogenannt «männlichen» und «weiblichen» Kompetenzen ein wichtiges Ziel. Folgende Vorgehensweisen werden in diesem Bereich heute eingesetzt:
•Die Erarbeitung eines Dossiers mit einer vollständigen Auflistung der in verschiedenen Lebensabschnitten erworbenen Kompetenzen. Als Beispiel seien Kindererziehung, Haushaltsmanagement, Verantwortlichkeiten in Vereinen oder im Sport erwähnt. Doch diese informell erworbenen Kompetenzen werden oft nicht als solche erkannt. Erst mit professioneller Unterstützung wird den Teilnehmenden die Fülle ihres Könnens und ihrer Erfahrungen bewusst gemacht. Es erfolgt in der Regel in geleiteten Gruppen und mithilfe von Instrumenten, die den Prozess unterstützen.
•Schliesslich ist auf Bildungsmassnahmen an der Grenze zwischen pädagogischem Arrangement und Coaching-Situation hinzuweisen, in denen es in erster Linie um die Stärkung der eigenen Identität geht.
3.2.5 Integration
Berufsbildung ist – unabhängig vom Alter der Lernenden – ein anerkanntes Mittel zur Förderung der Integration von Migranten und Migrantinnen und von Personen am Rande der Gesellschaft. Wichtig sind hier vor allem Massnahmen, in denen im Rahmen einer qualifizierenden Arbeitstätigkeit in einer Gruppe von lokal verwurzelten Arbeitenden nicht nur berufsspezifische Kompetenzen vermittelt, sondern auch der Gebrauch der Lokalsprache und die Arbeit in gemischten Teams geübt werden.
3.2.6 Bildung anerkennen, Bildung vermitteln
Berufsbildung zur Reduktion des Fachkräftemangels oder zur Bekämpfung von Armut verfolgt utilitaristische Ziele: Bildung ist hier Mittel zum Zweck. Wie jede andere Bildung dient Berufsbildung aber auch der Persönlichkeitsentwicklung, wobei insbesondere Massnahmen wertvoll sind, die Erwachsene unterstützen, sich die im Laufe des Lebens informell erworbenen Kompetenzen bewusst zu machen und so der «Erfahrung einen Wert zu geben» (Valida, 2003).
In diesem Zusammenhang rufen wir gerne in Erinnerung, dass es bei der Berufsbildung von Erwachsenen oft nicht primär um die Vermittlung von neuen Kompetenzen geht, sondern darum, sich bereits erworbene Kompetenzen bewusst zu machen und durch Experten anerkennen zu lassen. Es geht, mit anderen Worten, nicht zuletzt um die Gleichstellung von informell, nichtformal und formal erworbenen Kompetenzen.
Elvira Besirovic